Gute Laune ist ansteckender als depressive

Englische Forscher wollen errechnet haben, dass bei Jugendlichen fünf gesunde Freunde reichen, um gegen Depressionen immun zu sein

Warwick/Wien – Weltweit leiden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 350 Millionen Menschen an einer Depression. Und: Die Zahlen sind stark steigend. Die Erkrankung droht zur Epidemie zu werden. Doch wie ansteckend sind Depressionen? Und wie wahrscheinlich ist es, dass sich die psychische Erkrankung bei jungen Menschen und unter Freunden ausbreitet?

Diesen Fragen gingen Forscher um den britischen Mathematiker Edward Hill (Uni Warwick) nach – und kamen zu einem nicht unumstrittenen Ergebnis. Grundlage der Studie waren Daten von 3.084 Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren, die in den USA in den Jahren 1994 und 1995 befragt wurden. In der Untersuchung gaben die Teilnehmer Auskunft über Traurigkeit und Interesselosigkeit, Appetit, Schlaf oder das Gefühl von Wertlosigkeit.

Die britischen Forscher haben die Angaben anhand mathematischer Modelle, mit denen auch die Ausbreitung infektiöser Krankheiten untersucht wird, neu ausgewertet. Das in den "Proceedings B" der Royal Society veröffentlichte Ergebnis ist jedenfalls auf den ersten Blick erfreulich: Wer mindestens fünf gesunde Freunde hat, hat eine doppelt so hohe Chance wie jemand ohne gesunde Freunde, innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nicht depressiv zu werden. Und depressive Jugendliche erholen sich zweimal so häufig, wenn sie zehn statt drei gesunde Freunde haben.

Bisher galt der Studie zufolge das Umgekehrte: dass sich Depression wie eine ansteckende Krankheit verbreitet, ein gesunder Gemütszustand aber nicht. Die Forscher haben auch einige konkrete Empfehlungen: Die Zahl der Fälle von Depression bei Jugendlichen könne gesenkt werden, indem die Gesellschaft zum Beispiel durch Jugendclubs Freundschaften fördere. Dann steige die Wahrscheinlichkeit, genügend gesunde Freunde zu haben.

Skepsis bei Psychiatern

In der psychiatrischen Praxis stoßen die Schlussfolgerungen allerdings auf Skepsis. "Die Studie ist klinisch nicht wirklich relevant, da sie etwas beschreibt, was wir schon wissen: Stabile Kinder haben gute soziale Kontakte und werden weniger depressiv", sagt Martin Jung, der Vorsitzende der deutschen Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Zudem fehle in der Studie ein Maß für den Schweregrad der Depression. Schwerer depressive Kinder brächen den Kontakt mit gesunden Freunden ab und umgekehrt, so Jung: "Positive Kontakte sind sicherlich ein Schutzfaktor, aber dass dadurch eine Heilung möglich wäre, ist mit der Studie nicht nachgewiesen."

Sibylle Winter, Psychiaterin an der Charité-Klinik in Berlin, kann ebenfalls "nicht nachvollziehen, dass sich depressive Stimmung nicht ausbreiten soll. Das sollte man zumindest noch mal überprüfen". Zudem fänden sich in Freundeskreisen eher Gleichgesinnte.

Zumindest diesen Vorwurf jedoch hatten die Forscher aus England vorab ausgeräumt. Sie wollen sichergestellt haben, dass die Methode nicht von Homophilie – also der Tendenz, sich mit ähnlichen Menschen anzufreunden – beeinflusst wurde. (tasch, dpa, 19.8.2015)

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