Grundsätzlich und Grundlegend X: Das schmutzige Geschäft der Politik mit Emotionen

Emotionen spielen im menschlichen Leben und Erleben eine fundamentale Rolle. Emotion kommt von dem lateinischen Wort „emovere“ und beschreibt eine Bewegung und Wallung. Gefühle und Emotionen können unseren Verstand als Geisel nehmen und uns zu Handlungen verleiten, die uns sonst nie in den Sinn gekommen wären. Sie stellen unser Bewusstsein von Normalität in Frage und ermöglichen erst politische Machtausübung.

Der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo von der Stanford University ist auf diesem Gebiet ein Experte, er erforscht seit langem die „dunklen Abgründe“ der menschlichen Psyche, die Urtriebe und –instinkte des Homo sapiens sapiens. Beim Stanford-Prison-Experiment von 1971 hat er demonstriert, wozu eine gezielte Manipulation führen kann. Der Forscher unterteilte 24 Studenten per Zufallsprinzip in die Rollen von Wärtern oder Gefangenen ein. In einem fiktiven Gefängnis im Keller der Stanford University ließ er die Studenten schalten und walten. Die Gefangenen wurden dabei, wie in normalen Gefängnissen auch, jede Nacht eingesperrt und erklärten, vorübergehend auf ihre Grundrechte zu verzichten. Kontakt zur Außenwelt gab es keinen. Zimbardos Befürchtungen wurden übertroffen: Die Studenten gingen vollkommen in ihren Rollen auf, durchdachten und durchfühlten sie. Schrittweise passten sie sich immer mehr ihren Vorgaben an, der Versuch entartete. Es kam zu schweren Misshandlungen. Nach wenigen Tagen musste Zimbardo das Experiment abbrechen.

Normalität ist immer eine Frage des Ermessens

Dieser Meilenstein der experimentellen Psychologie zeigt, dass Begriffe wie Normalität und Abnormalität äußerst dehnbar sein können. Keineswegs bleibt menschliches Verhalten immer dem Verstand unterworfen. Beliebt und billig wirkt der Dünkel der Zeitgenossen gegenüber dem Verhalten vorheriger Generationen, getreu dem Motto: „Ich wäre immer der Eine gewesen, der nicht weggeschaut hätte. Dabei sieht das Ergebnis oft anders aus. Verstanden werden muss immer im Kontext der jeweiligen Situation und der damit verbundenen emotionalen Lage. Diese hermeneutische Vorgehensweise leuchtet auch heute nicht jedem ein. Wie wir uns verhalten, hängt auch mit der Situation, in der wir uns befinden, zusammen. Sie erweckt Emotionen, die im Verbund mit unseren Erfahrungen und unserem Verstand, unserer „ratio“, Verhalten katalysieren. Aus diesen Gründen kann ein Psychologe auch niemals Verhalten vorhersagen, sondern immer nur Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse bestimmen.

Emotionen steuern und beeinflussen Menschen unterschwellig, ohne dass diese im Traum auf die Idee kämen, nicht Herr ihrer selbst zu sein. Vor allem aus Angst lässt sich sehr gut politisches Kapital schlagen. Angst ist das Fett, mit dem unliebsame Maßnahmen am besten gelingen und eine Falle für reflexives Denken. Die Kampagne um den „War on Terror“, den die USA nach 9/11 vom Zaun brach, ließe sich ohne eine gehörige Portion an Panikmache nicht erklären. Auch in Deutschland wird diese Praxis angewandt – man denke nur an den Blödsinn, der zur EU-Rettung propagiert wurde. Wissenschaften, die die emotionale Steuerung von Politik bewusst machen, z. B. die Politische Psychologie, spielen in angelsächsischen Ländern eine wesentlich größere Rolle als in Deutschland. So überrascht es wenig, dass man hierzulande oft genug den ernst gemeinten Satz hört, ohne Euro gebe es in Europa bald wieder Stacheldraht und Schützengräben.

Das politische Erfolgsrezept: Wähler projizieren ihr Ich-Ideal auf Kandidaten

Angst wird im Wesentlichen im Gehirn erzeugt, sofern man bei einem derart komplexen Gebilde solch ein simples Wort in den Mund nehmen darf. Eine paarige Struktur namens Amygdala, tief unterhalb des Neokortex, beeinflusst unser Verhältnis zur Angst. Der Neokortex ist, wie der Name schon vermuten lässt, die stammesgeschichtlich jüngste Struktur im Gehirn und bei Vertretern der Gattung Homo sapiens am stärksten ausgeprägt. Hier finden sich Persönlichkeit und Verstand zugleich. Dagegen lassen sich im limbischen System die Emotionen ausmachen. Hier entsteht auch Angst.

Limbisches System und Neokortex sind durch Faserzüge wechselseitig miteinander verbunden. Die Verbindungen zum limbischen System sind jedoch weitaus geringer als diejenigen, die zum Zentrum des Verstands führen. Deswegen kann der Mensch Angst nur sehr begrenzt unterdrücken. Angst kann sich des Verstandes weit besser bemächtigen, als dies umgekehrt möglich wäre. Einem Spinnenphobiker nützt es herzlich wenig, ihn über die Harmlosigkeit der meisten Spinnen aufzuklären. Seine Panik verschwindet deswegen nicht.

Politische Führer können Macht ausüben, indem sie bei ihren Anhängern einen Prozess in Gang setzen, den Psychologen Ich-Identifikation nennen. Bei diesem verschmelzen das Ich-Ideal, das Bild von der Person, die wir gerne wären, mit dem des Politikers. US-amerikanische Politiker greifen gerne auf diese Erkenntnis zurück. Bei den Kampagnen zur Präsidentschaftswahl wird besonders stark auf die Außenwirkung der Kandidaten geachtet. Ohne Massenwirkung funktioniert wenig, das beschrieb schon Gustave Le Bon in seinem Klassiker Psychologie der Massen.

Hass und Angst können ein kollektives Bewusstsein erzeugen

Aber auch mit Hass können Politiker Menschen zusammenschweißen. In George Orwells dystopischen Roman 1984 gibt es Hasswochen und 2-Minuten-Hass, in denen ein Einpeitscher von einer großen Bühne aus auf die Massen einspricht. Das Ziel besteht in der Erzeugung riesigen Hasses. Die Menschentrauben stimmen grölend mit ein. Der Hass auf ein konkretes Objekt eint, seien dies nun Juden, Kapitalisten, Amerikaner, Moslems, Buddhisten oder einfach nur die Finanzmärkte. Die Emotion breitet sich in einer Gruppe auf alle aus, Psychologen nennen das emotionale Kontagion.

Diese Form der affektiven Infektion lässt sich bereits bei Säuglingen beobachten. Sie ist also angeboren. Weint ein Säugling, fangen andere in seiner Nähe ebenfalls an zu krakeelen. Aber, und das zeigt gerade Orwells Roman, vereint das Kollektiv nicht nur ein gemeinsamer Feind, sondern auch eine gemeinsame Angst: Die Angst, selbst zu einem Hassobjekt zu werden.

Politik spielt mit Emotionen. Sie bleibt ein schmutziges Geschäft. Politiker sind meist nicht psychologisch blind, sondern gut geschult – z. B. durch Berater. Das sollte jeder wissen, der sich mit Wahlen, Politik und vor allem der „Psychologie der Massen“ beschäftigt. Politik wird nicht zuletzt als Seil zwischen Manipulation und Wirklichkeit geknüpft. Wer sich ein bisschen dafür sensibilisiert, braucht keine Angst zu haben.

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