Group-Thinking Die derzeitigen kognitiven Verzerrungen unserer politischen … – Freitag

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Vielleicht wird das Jahr 2014 psychologische Geschichte schreiben. Nicht, weil irgendetwas besonders neues auf dem Gebiet der Psychologie entdeckt wurde. Viel eher sieht man Entdeckungen der letzten Jahrzehnte wie in einem Brennglas in konzentrierter Form bestätigt.

Was Menschen für wahr oder für unwahr halten, hängt sehr stark von ihrer Interessenslage ab. Erstaunlich aber, dass die eigenen Interessen vollkommen irrelevant werden können, wenn man sich in einer Gruppe befindet, die ein gemeinsames Ziel gefunden hat. Je größer die Anstrengung, in dieser Gruppe einen Konsens zu finden, desto höherwertiger und wahrer erscheinen danach die gemeinsamen Einschätzungen.

Wir sitzen, vertreten durch unsere Regierung. in diversen internationalen Gruppierungen, die allesamt auf Konsens getrimmt sind. Die EU-28 sind so ein Beispiel, wenn man den europäischen Rat (neben der Europäischen Kommission das machtvollste Gremium) als Gruppe betrachtet. Die G7 sind ein anderes Beispiel. Der Gruppen-Konsens, den man auch als Group-Thinking in der Psychologie verschiedentlich problematisiert hat, weist dabei bestimmte Eigenschaften auf.

Der Konsens wird immer in irgendeiner Form für wahr gehalten, die Entscheidungen, die daraus resultieren für richtig, aber auch für „alternativlos“.  Der Gruppenkonsens erzeugt fast zwangsläufig absolutistische Sichtweisen und Entscheidungsmuster.

Die Gegenspieler des Group-Thinking sind die Einzelmeinung, das Individuum also, und der Crowd, eine Menge oder Masse von Personen, die es zu einer erheblichen statistischen Weisheit bringen können. Der Wisdom of Crowds-Effekt wurde in dem 2004 erschienenen gleichnamigen Buch von Surowiecki erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und löste heftige Diskussion auch im Fachpublikum aus. An vielen Fallbeispielen diskutierte Surowiecki die mögliche Überlegenheit von nicht oder schwach organisierten Gruppen mit den Merkmalen Dezentralität und Diversität gegenüber Einzelnen in Hinsicht auf intelligente Entscheidungsfindung.

Damit aber noch nicht genug.  In einer 2011 erschienenen Untersuchung berichteten Lorenz et al. über den Einfluss von Konformität und Diversität in Gruppen auf den „wisdom of crowds effect“. Hier zeigte sich, dass dezentral organisierte Gruppen mit den Merkmalen der Diversität in ihren Entscheidungen nicht nur Einzelpersonen überlegen sind, sondern vor allem auch gut organisierten Gruppen, die intensiv an einem Konsens arbeiten.

Hauptvorteile von Crowds sind dabei das breite Meinungsspektrum, welches sie beinhalten, wobei die Entscheidung letztlich statistisch durch die Ermittlung eines Mittelwertes gefällt wird. Extrempositionen gehen auf diese Weise in die Entscheidungen mit ein und sind wichtiger Bestandteil des Entscheidungsprozesses.

Auf der anderen Seite tendieren Gruppen, die nach dem Konsensprinzip handeln, dazu, schnell auf eine gemeinsame Meinung zu konvergieren, gewissermaßen in den Median zu flüchten, und dabei Extrempositionen auszuschließen oder zu ignorieren. Das Team von Lorenzen fand heraus, dass die richtige Lösung (Entscheidung) zu Gunsten der Konvergenz in einer Gruppe aus dem Meinungsspektrum regelrecht herauswandern kann. Die richtige Antwort oder, wenn man so will, die Wahrheit, steht dann gar nicht mehr zur Wahl!

Gleichzeitig kommt es zu einer unrealistischen Selbstüberschätzung solcher Gruppen, die sich in einem Indikator abbilden lässt. Diese Selbstüberschätzung der Korrektheit der eigenen Position der Gruppe hängt dabei nicht von der Korrektheit der Entscheidung ab, sondern vom Grad der Konvergenz der Einzelmeinungen. Anders ausgedrückt, sind die Gruppenmitglieder umso überzeugter von ihrer Entscheidung, je stärker der Konsens ist. Solche Gruppen lassen sich auch von gegenläufigen Informationen, die nach der Konsensfindung eintreffen, nicht mehr von ihrer Meinung abbringen und glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein. Die Wahrheit wird also zuletzt am Grad der Übereinstimmung der Gruppenmitglieder festgemacht und nicht an objektiven Informationen.

Ich würde sogar vermuten, dass eine solche Gruppe in der Lage ist, einen Krieg zur Durchsetzung ihrer Wahrheit anzufangen.

Was hat das nun mit dem Brennglas zu tun, in dem sich derzeit diese wissenschaftlichen Untersuchungen politisch validieren lassen?

Die Hauptargumente, mit denen derzeit in der EU28 und den G7 gearbeitet wird, sind Konsens-Ergebnisse über die Einschätzung der politischen Situation, beispielsweise in der Ukraine-Krise. Hier wird vor allem mit einer Mehrheit argumentiert, die mit Crowds nichts zu tun hat, sondern mit dem Group-Thinking der jeweiligen Organisation. Wenn 28 Außenminister der Meinung sind, dass Russland die Krise in der Ukraine zu verantworten hat, dann ist das so, weil schließlich 28 Außenminister gegen einen Außenminister stehen. Ähnlich läuft es bei den G7, die unter Ausschluss Russlands ständig 7:1-Ergebnisse produzieren, die einen Konsens gegen Russlands Version der Wahrheit darstellen.

Bemerkenswert ist dabei nicht nur, wie informationslos und schlagwortartig dabei gegen Russland argumentiert wird, so als hätte man eine echte Diskussion gar nicht nötig, es ist auch hochgradig auffällig, dass die eigentlichen Crowds, welche die Bevölkerungen der EU28-Staaten und der G7 darstellen, in vielen Umfragen erheblich von den Einschätzungen ihrer  Führungsgruppen abweichen.

Faszinierend, wie dabei wichtige Informationen über die Meinungslage in der Bevölkerung, die beispielsweise in Deutschland erhebliche Überschneidungen mit der russischen Einschätzung aufweist, nicht mehr als Information von der Regierung herangezogen wird. Man ist sich in seiner Konsens-Gruppe so sicher, dass die Position der Bevölkerung grundsätzlich für unwahr gehalten wird.

Der Stein der Weisen liegt also für die Regierung nicht bei den Crowds, die immerhin über ihren Wisdom of Crowds-Vorteil verfügen, der aber ausgeblendet wird, sondern im Konsens der Führungsgruppe.  Folgerichtig wird in einem beispiellosen top-down-Prozess die Meinung der Bevölkerung durch massive Gegenpositionen der regierungsabhängigen Medien bekämpft. Alle, die sich in diesem Group-Thinking-Modus befinden, sind also gezwungen, die Einengung der Führungsgruppe zu übernehmen und die Diversität der Meinungen in der Bevölkerung möglichst weg zu manipulieren.

In diesem Zustand gibt es dann auch keine objektive Berichterstattung mehr, wie zahlreiche Pressekonferenzen und die Berichte in den Leitmedien zeigen. Merkel wurde gestern beispielsweise überhaupt nicht mehr gefragt, wie sie die Rolle des Westens beim Regierungsumsturz in der Ukraine beurteilt. Die Lesart, dass es sich um einen Freiheitskampf der Ukraine gegen einen Diktator handelte, wird im Rahmen der Meinungskonvergenz einfach übernommen. Die Wahrheit wandert auf diese Weise aus dem Meinungsspektrum heraus.

Man könnte das auch als Meinungshegemonie bezeichnen, was ja eine offizielle und nicht geächtete Strategie unserer politischen Eliten darstellt. Gemeint ist natürlich auch Meinungshegemonie gegenüber dem Volk, ebenso wie Meinungshegemonie gegenüber Russland. Gleichzeit wird die amerikanische Meinungshegemonie, welche die G7-Treffen bestimmt, mitgemacht. Obama ist sogar stolz darauf und erklärte kürzlich vor der Militär-Akademie in West-Point, dass die USA jetzt die Meinung in der Welt bestimmen können.

Es ist also etwas mehr, als Group-Thinking, wenn aus einer kognitiven Verzerrung eine politische Strategie zur Ausblendung anderer Wahrheiten, als der der eigenen Gruppe, wird. An diesem Punkt befinden sich derzeit sowohl die EU28, als auch die G7 in der Ukraine-Krise.

Die russische Einschätzung der Situation, ihrer Ursachen und Hintergründe, gilt dabei als vollkommen abwegig. Der russische Präsident würde in einer anderen Welt leben und schließlich könne er nicht Recht haben, weil alle anderen gegen ihn seien.

Das erinnert nicht nur an kognitive Verzerrungen, sondern auch an einen Kinderspielplatz, wobei  diese Art des Ausschlusses von anderen Einschätzungen nicht nur auf dem Kinderspielplatz äußerst wirkungsvoll ist. Auf diese Weise lässt sich nicht nur die eigene Position halten, sondern auch die Wahrheit im großen Stil vermeiden.

Russland wäre der dringend benötigte kognitive Antagonist dieser westlichen Wirklichkeitsvermeidung, wenn es denn gehört würde.

Wird es aber nicht.

Die große Gefahr besteht darin, dass sich diese Führungsgruppen des Westens weiter radikalisieren und auf einen Wirtschaftskrieg zusteuern, der dann auch in einer militärischen Auseinandersetzung gipfeln kann. Dabei geht es, wie gesagt gar nicht immer um Einzelinteressen, schon gar nicht um die Interessen Deutschlands, sondern um die pure Durchsetzung der eigenen „Wahrheit“. Eine solche Situation gab es im Vorfeld beider Weltkriege im letzten Jahrhundert.

Die kognitive Verzerrung unsrer politischen Eliten ist somit nicht nur komisch.

Sie ist hoch gefährlich!

 

Surowiecki J. The wisdom of crowds. Why the many are smarter than the few and how
collective wisdom shapes business, economies, societies and nations. Little, Brown, London
2004, ISBN 0-316-86173-1

Lorenz J, Rauhut H, Schweitzer F, Helbing D. How social influence can undermine the
wisdom of crowd effect. PNAS, 2011, vol. 108 no. 22 , 9020–9025

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