Größe: Auf den Hunger kommt es an

28.02.2012 - (idw) Julius-Maximilians-Universitt Wrzburg

Macht Fasten sensibel? Beeinflusst Hunger die Wahrnehmung? Und wenn ja, wie? Diese Fragen haben die Wrzburger Sozialpsychologen Sascha Topolinski und Philippe Trk Pereira experimentell untersucht. Das Ergebnis ihrer Studie drfte die Anhnger des Fastens bestrken.
Menschen, die fasten, schwrmen davon: Hungern erhhe die Sensibilitt fr Gerche und Geschmcker. Selbst ein Stck Apfel werde zum Festmahl, habe man vor dem Verzehr nur ausreichend gehungert. Ob das tatschlich stimmt, haben die Sozialpsychologen Dr. Sascha Topolinski und Dr. Philippe Trk Pereira untersucht.

Topolinski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl fr Psychologie II der Universitt Wrzburg; Trk Pereira ein ehemaliger Mitarbeiter des Lehrstuhls, der jetzt als Forensischer Therapeut in der Psychiatrie des Krankenhauses Schloss Werneck arbeitet. In insgesamt vier Experimenten haben die beiden getestet, ob Hunger die Wahrnehmung tatschlich beeinflussen kann. Mastab fr sie war die Grenwahrnehmung im Mund.

Widersprchliche Theorien

Die Frage, ob eine hungrige Person ein Objekt im Mund anders einschtzt als eine satte Person, mag wie ein Party-Gag klingen. Tatschlich ist sie aber gar nicht so simpel, sagt Topolinski. Immerhin lieferten verschiedene psychologische Theorien und das Alltagserleben unterschiedliche, sich widersprechenden Vorhersagen:

Eine Hypothese der Gier kme zu der Vorhersage, dass hungrige Menschen Objekte im Mund kleiner empfinden als satte, so Topolinski. Wer Hunger hat, dem erscheint ein Bissen Nahrung mglicherweise wie der berhmte Tropfen auf den heien Stein. Fr diese Theorie spricht auch die Alltagserfahrung, dass Menschen, die hungrig sind, sich am Buffet in der Regel viel zu viel auf den Teller laden. Oder, wie der Volksmund sagt: Da waren die Augen mal wieder grer als der Magen.

Eine Hypothese der Sensibilisierung hingegen kommt zum entgegengesetzten Ergebnis: hnlich wie es von der Fastenbewegung propagiert wird, besagt diese Theorie, dass durch die seltenen sensorischen Erfahrungen im Mund beim Hungern das Mundgefhl sensibler wird, und dann kleine Objekte grer wirken als sie sind, erklrt Trk Pereira. Welche der beiden Hypothesen nun tatschlich zutrifft, haben die beiden Psychologen experimentell untersucht.

Das erste Experiment: Trinkhalme schtzen

In einem ersten Experiment sollten 30 Freiwillige vor dem Experiment entweder drei Stunden lang keine Nahrung zu sich nehmen (hungrige Gruppe) oder eine Mahlzeit essen (satte Gruppe). Im Labor bekamen die Probanden dann kurze Stcke von handelsblichen Trinkhalmen, die in drei Zentimeter lange Schnipsel geschnitten worden waren. Die Probanden sollten die Lnge dieser Stcke entweder nur mit dem Mund oder mit der Hand einschtzen, ohne das jeweilige Stck sehen zu knnen.

Das Resultat war eindeutig: Hungrige Teilnehmer schtzten die Lnge des Plastikstckes ungefhr 0,4 Zentimeter lnger ein als satte Probanden, wenn sie die Messung mit dem Mund vorgenommen hatten. Kein Unterschied zeigte sich hingegen bei der Wahrnehmung mit der Hand. 0,4 Zentimeter klingt nach wenig, entspricht aber immerhin 13 Prozent der eigentlichen Lnge, sagt Topolinski. Auerdem sei der menschliche Mund ja selbst nur wenige Zentimeter breit und lang.

Darber hinaus zeigte das Experiment einen deutlichen Zusammenhang zwischen Grenwahrnehmung und Hungergefhl: Je mehr Hunger die Probanden empfanden, desto grer schtzten sie das Plastikstck ein.

Das zweite Experiment: Kaubonbons schtzen

In einer zweiten Studie wiederholten die Psychologen das Experiment an 50 weiteren Freiwilligen diesmal aber mit tatschlich essbaren Objekten, nmlich mit kleinen lnglichen Kaubonbons von 3,8 Zentimeter Lnge. Die Teilnehmer wussten, dass die Objekte essbar waren, und durften sie nach der Greneinschtzung auch zerkauen.

Ergebnis: Auch in diesem Fall schtzten hungrige Probanden die Kaubonbons mit ihrem Mund als lnger ein im Vergleich zu satten Probanden. Diesmal betrug der Unterschied 0,3 Zentimeter (acht Prozent der tatschlichen Gre). Bei der Lngenschtzung mit der Hand zeigte sich erneut kein Effekt des Hungers.

Drittes Experiment: Unterschiedliche Lngen

In einem dritten Experiment an 60 weiteren Freiwilligen sollten die Teilnehmer quasi zur Kontrolle mehrere Trinkhalmstcke mit unterschiedlichen Lngen, nmlich ein, zwei und drei Zentimetern, einschtzen. Wieder zeigte sich, dass bei Grenschtzungen mit dem Mund hungrige Teilnehmer die Lngen berschtzten.

Interessanterweise zeigte sich aber auch, dass dieser Effekt nach mehreren Durchgngen verschwand, sagt Topolinski. Hatten die Probanden schon einige Plastikstcke im Mund befhlt und beurteilt, glichen sich satte und hungrige Teilnehmer in ihren Lngenschtzungen einander an. Das war fr uns ein erster Hinweis darauf, dass die berschtzung durch Hunger vor allem mit Sensibilitt zu tun hat, denn durch wiederholte Greneinschtzungen wird der Mund desensibilisiert, so der Psychologe.

Viertes Experiment: Nach Kaugummigenuss

Um diesen Effekt genauer zu untersuchen, fhrten Topolinski und Trk-Pereira ein viertes Experiment mit 44 Freiwilligen durch, in dessen Zentrum die Sensibilisierungshypothese stand. Wiederum traten an: Hungrige und satte Probanden in gleicher Zahl. Diesmal bekam ein Teil von ihnen allerdings vor der eigentlichen Aufgabe, der Greneinschtzung, einen Kaugummi zum Kauen. Der macht nicht satt, im Gegenteil: Er verstrkt sogar den Hunger. Aber das Kauen desensibilisiert den Mund, macht ihn also weniger empfindlich, erklrt Trk Pereira.

Resultat: Hungrige und satte Probanden, die zuvor Kaugummi gekaut hatten, schtzten die Testobjekte hnlich gro ein. Das lag daran, dass bei Hungrigen die Mundschleimhaut zwar vom Fasten empfindlicher geworden war, diese Empfindlichkeit aber durch das Kaugummikauen wieder aufgehoben worden war, und sie sich daher von satten Teilnehmern nicht mehr unterschieden, schlussfolgern die Psychologen. Folgerichtig zeigte sich in dem Experiment, dass bei den Teilnehmern, die keinen Kaugummi gekaut hatten, hungrige noch immer ein Objekt im Mund berschtzten.

Fazit: Die Fastenbewegung hat recht

Dieser Punkt geht also an die Fastenbewegung lautet somit das Fazit der beiden Psychologen. Hungern mache den Mund tatschlich empfindlicher fr Reize und fhre daher zu einer Grenberschtzung. Ein Befund, der ihrer Meinung nach sogar unsere traditionelle Esskultur erklre: Vorspeisen und Suppen sind in der Regel zarter und feiner als Hauptspeisen. Das liegt wohl daran, dass wir am Anfang einer Mahlzeit hungriger sind und unser Mund noch keine groben und intensiven Erfahrungen vertrgt, wir also zarte und delikate Speisen bevorzugen, sagt Topolinski. Erst, wenn der Mund an die Nahrungsaufnahme gewhnt sei, knne die Hauptmahlzeit mit krftigeren Sinneneindrcken genossen werden. Wre die Gier-Hypothese richtig, msste es anders herum sein: Die Vorspeisen mssten ppig und krftig und die Hauptspeisen leicht und zart sein.

Topolinski, S., Trk-Pereira, P: Mapping the Tip of the Tongue - Deprivation, Sensory Sensitization, and Oral Haptics. Perception, doi:10.1068/p6903

Kontakt
Dr. Sascha Topolinski, T: (0931) 31-82285, E-Mail: sascha.topolinski@psychologie.uni-wuerzburg.de

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