Grenzen des Gehirndopings

Mit Medikamenten oder Drogen Höchstleistungen aus dem eigenen Gehirn herausholen – das war die Zukunft. Gehirndoping schien zum Massenphänomen zu werden: Ritalin, eigentlich eine Arznei für Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen, für bessere Uni-Noten; Modafinil, eigentlich gegen die Schlafstörung Narkolepsie zugelassen, für Nachtschichten im Büro; illegale Amphetamine, um das Gehirn so richtig auf Touren zu bringen.

Chemische Leistungssteigerer für den Geist würden in ein, zwei Jahrzehnten so verbreitet sein wie Kaffee, wurde vor ein paar Jahren prophezeit. Der ­Nobelpreisträger Eric Kandel machte 2003 sogar Hoffnungen, das Gehirn binnen fünf Jahren mit einem neuen Mittel vor altersbedingten Gedächtnisproblemen schützen zu können.

Das hat nicht geklappt, und auch sonst macht sich Ernüchterung breit – oder ­Erleichterung, je nach Standpunkt. Die Mittel halten oft nicht, was sie zu versprechen schienen, und von massenhaftem Gehirndoping kann keine Rede sein. Doch Experten warnen davor, das Phänomen für erledigt zu erklären. Für manche Menschen könnten die Mittel durchaus zur Versuchung werden.

Gelegentlicher Konsum

Manche frühen Studien behaupteten, 50 Prozent der US-amerikanischen Studenten nähmen ohne Rezept Medi­kamente fürs Gehirn. Doch diese Untersuchungen waren wenig wissenschaftlich und nicht repräsentativ. Tatsächlich sind es eher sieben Prozent, und auch von denen greifen viele nur gelegentlich zur Tablette.

Schweizer versuchen noch seltener, die Leistungen ihres Gehirns künstlich zu steigern. Nur sechs Prozent der befragten Studierenden von drei grossen Unis haben das jemals probiert, so eine vor zwei Jahren erschienene Studie eines Teams um Larissa Maier von der Universität Zürich.

In der Gesamtbevölkerung sind es sogar nur 1,4 Prozent, wie die gleiche Forschergruppe in einer gerade erschienenen grossen Studie herausgefunden hat (siehe Kasten). Dabei werden die Substanzen meist nicht etwa regelmässig genommen, um womöglich zum geistigen Überflieger zu mutieren. Studierende schlucken sie vielmehr vor Prüfungen, Angestellte versuchen, den Stress der Arbeit zu bewältigen.

Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Zwar sehen in der neuen Schweizer Studie zwei Drittel der Konsumenten ihre Erwartungen erfüllt (im Fall von Modafinil lediglich ein Drittel). Doch gerade Stimulanzien wie Ritalin und Amphetamine sind für ihre Placebowirkungen bekannt. Die Tablettenschlucker fühlen sich aktiviert und halten sich einfach deswegen für geistig leistungsfähiger.

Bei genauen Untersuchungen fallen die Ergebnisse ausgesprochen gemischt aus. Das Kindern gegen Aufmerksamkeitsprobleme verschriebene Ritalin beispielsweise hilft gesunden Erwachsenen bestenfalls manchmal.

So erleichtert es das Lernen und hilft, neue Aufgaben besser zu lösen. Bei bereits gut bekannten Aufgaben schadet es dagegen eher. Sein Nutzen sei «geringer und weniger verlässlich als allgemein angenommen», resümierte die Gehirndoping-Expertin Martha Farah von der University of Pennsylvania. Trotzdem warnt sie davor, die Mittel zu unterschätzen: «Eine kleine Wirkung ist nicht das Gleiche wie keine Wirkung, und ein kleiner Vorteil kann in vielen Situationen entscheidend sein.»

Dopamin als Schlüsselsubstanz

Auch Gerhard Gründer, Professor für Experimentelle Neuropsychiatrie am Universitätsklinikum Aachen, hält die neuen Zweifel an den Mitteln für voreilig. Denn er ist überzeugt, dass die Stoffe manchen Menschen deutlich mehr helfen als Anderen. Die Wirkungen sind «ganz wesentlich genetisch bestimmt», so Gründer.

So gibt es im Gehirn ein genetisch programmiertes Enzym, das beeinflusst, wie viel von dem Nervenbotenstoff Dopamin verfügbar ist. Dieses Enzym existiert in zwei Varianten, die sich nur an einer einzigen Stelle unterscheiden. Die Variante mit der Aminosäure Valin an der entscheidenden Stelle sorgt für weniger Dopamin. Wer gleich doppelt mit der Valin-Variante ausgestattet ist, schneidet bei etlichen Aufgaben schlechter ab als Menschen ohne sie, denn Dopamin ist wichtig.

Martha Farah hat untersucht, was passiert, wenn Menschen mit diesen unterschiedlichen Varianten eine Amphetaminmischung bekommen, die in den USA gegen Aufmerksamkeitsprobleme verschrieben wird und für mehr Dopamin sorgt. Die durchschnittliche Leistung der Teilnehmer in verschiedenen Tests änderte sich nicht.

Besser Wörter merken

Das ist kein Wunder, denn wer von ­Natur aus bereits einen optimalen Dopaminspiegel besitzt, verschlechtert sich eher, während Menschen mit der sub­optimalen Valin-Variante gewinnen sollten. Und das passiert auch: Letztere schnitten in verschiedenen Tests mit Amphetaminen besser ab als ohne – sie konnten sich Wörter besser merken, ­waren kreativer und bekamen in einem nichtsprachlichen Intelligenztest mehr Punkte.

Trotzdem sollten Menschen mit dieser Variante nicht einfach Amphetamine verschrieben bekommen: Das könnte ihr Risiko erhöhen, eine Wahnerkrankung zu entwickeln, fürchtet Gründer, denn auch daran ist Dopamin beteiligt.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 19.10.2015, 19:39 Uhr)

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