Gleichstellung: «Eltern sollen Jungs auch mal Puppen in die Hand drücken»

Die Gleichstellung der Geschlechter ist nur zum Teil realisiert. Dies die Essenz aus dem Nationalen Forschungsprogramm 60. Hürden und Stolperfallen gibt es für Frau und Mann auf dem ganzen Lebensweg.

Brigitte Liebig, Professorin für Psychologie und Leiterin des Nationalen Forschungsprogramms 60.

Brigitte Liebig, Professorin für Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Leiterin des Nationalen Forschungsprogramms 60, erklärt den Umgang mit Kindern in
einer gleichberechtigten Welt.

Wollen Sie alle gleichmachen?
Brigitte Liebig: Nein, wir wollen aber allen die gleichen Chancen und dieselben Wahlfreiheiten gewähren.

Aus Mädchen sollen Ingenieurinnen werden. Warum ist das so wichtig?
Sie sollten es werden können. Der Schweizer Arbeitsmarkt fragt derzeit viele Ingenieure nach. Es geht aber nicht allein um Ingenieure, sondern genauso gut um Menschen, welche den steigenden Bedarf an pflegerischen Dienstleistungen decken können.

Jungs sollen also Pfleger werden.
Ja, auch. Aufgrund der tiefen Löhne wählen heute aber nur wenige Männer einen solchen Weg. An der Aufwertung und besseren Entlohnung von Sorgearbeit führt letztlich also nichts vorbei. Anerkennung im Berufsleben läuft nun mal vor allem über den Lohn.

Gibt es überhaupt keine biologisch bedingte geschlechtsspezifische Veranlagungen?
Sozio-biologische Erklärungsansätze finden in letzter Zeit tatsächlich vermehrt Zuspruch. Hirnstrukturen sollen also primär dafür verantwortlich sein, dass Frauen schlechter einparken als Männer. Solche Ansätze sind nicht ernst zu nehmen. Denn wir wissen, dass die biologische Komponente kaum Einfluss hat. Viel wichtiger sind Prägungen, die wir im Zuge der Sozialisation erfahren. Natürlich kommen Kinder mit bestimmten Voraussetzungen zur Welt, sie werden aber schnell von gesellschaftlichen Einflüssen überdeckt.

Trotzdem finden sich auf dem Bau, wo körperlich anstrengende Arbeit gefragt ist, fast nur Männer.
Ja, und in der Pflege fast nur Frauen. Einer Tätigkeit also, die körperlich zum Teil ebenso anstrengend sein kann wie eine auf dem Bau; etwa wenn Menschen vom einen zum anderen Ort gelegt werden müssen. Beim einen Berufsfeld geht es um Stahl, Gerüste und Baumaschinen, geprägt von Männern, im anderen um Pflege, Fürsorge und Menschlichkeit, typischerweise Frauen zugeschriebene Eigenschaften also.

Sollen Eltern ihren Töchtern die Puppen wegnehmen, damit diese sich für Technik interessieren?
Eltern sollen Jungs tatsächlich auch mal Puppen in die Hand drücken und Mädchen Spielzeugautos. Mit der Zeit werden die Jungen aber feststellen, dass das Mit-Puppen-Spielen von ihrer Umwelt gar nicht belohnt wird oder sogar zu Ausgrenzungen führt. Aus Gleichstellungsoptik gibt es hier viel zu tun.

Der Einfluss der Eltern ist also beschränkt.
Ja, denn auch die Gleichaltrigen haben einen beträchtlichen Einfluss. Es gibt ganz viele verschiedene Einflussfaktoren, die von ganz früh bis zur Berufswahl eine Rolle spielen. Mädchen und Jungen, die geschlechtsuntypische Berufe wählen, stammen mehrheitlich aus Familien, in welchen die Väter über einen höheren Bildungsgrad verfügen. Sie profitieren also von einer bestimmten Offenheit gegenüber Veränderungen.

Ist ein vollzeitig beschäftigter Vater ein schlechtes Vorbild, wenn er seine Frau den Haushalt schmeissen und die Kinder erziehen lässt?
Das hat zum Teil gar nicht so sehr mit der Entscheidungsfreiheit von Männern zu tun. Unsere Studien zeigen, dass vor allem jüngere Männer Teilzeit arbeiten wollen, aus finanziellen, betrieblichen oder karriereplanerischen Gründen aber nicht können.

Warum wurden Sie selber eigentlich Psychologie-Professorin und nicht Ingenieurin?
Meine Generation kämpfte darum, studieren zu können. Die Frage frauen- und männertypischer Studienfächer wurde damals nicht diskutiert. Psychologiebücher weckten mein Interesse. Sie standen in den Regalen meines Vaters, der Ingenieur tatsächlich war.

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