Germanwings: Expertin – Eine "einfache Depression" ist unwahrscheinlich

Allem Anschein nach hat der Co-Pilot der Germanwings-Maschine den Absturz bewusst verursacht. Wie kann es zu einer so krassen Form von Selbstmord kommen, bei der 149 Menschen mit in den Tod gerissen werden?

Dr. Roth-Sackenheim: Es ist natürlich schwierig eine konkrete Aussage über diesen Piloten zu treffen, da ich ihn persönlich nicht kannte und nicht betreut habe. Aber es lassen sich verschiedene psychologische Aspekte festhalten. Und das beginnt schon in der Begrifflichkeit. So muss man klar sagen, dass es sich bei diesem Fall nicht mehr um einen reinen Selbstmord handelt. Auch das Wort erweiterter Suizid trifft es eigentlich nicht. In der Fachsprache reden wir hier vielmehr von einem Mord mit Selbstmord.


Die Unglücksstelle am Tag nach dem Absturz

FOTO: dpa, sh

Aber ein Mord ist ja in der Regel eine geplante und gezielte Handlung, die sich gegen andere richtet. Gehen Sie davon aus, dass der Pilot die Tat geplant haben könnte?

Dr. Roth-Sackenheim: Im Grund ja. Nach allem was man bislang weiß, hat er ja die Tür bewusst verriegelt und bewusst den Sinkflug eingeleitet - wohlwissend, dass sich die Passagiere in der Maschine befanden. Und das ist der wesentliche Unterschied zum Suizid. Bei einem Suizid ist einem die Welt sozusagen egal, man will sich selbst zerstören. Aber dem Co-Piloten ging es ja anscheinend durchaus darum, maximal vernichtend zu handeln und zwar gegen sich und andere.

Aus diesem Grund fällt in diesem Zusammenhang auch immer wieder das Wort "Amoklauf". Schätzen Sie die Situation auch so ein, dass der Täter so etwas wie plötzlich durchgedreht ist?

Dr. Roth-Sackenheim: Nein, alles was wir bislang wissen, weist nicht daraufhin, als wäre hier ein Amoklauf passiert. Ein Amoklauf zeichnet sich dadurch aus, dass es ein lang aufgestautes psychisches Problem gibt. Dann entfesselt ein spontaner Trigger eine starke emotionale Reaktion. Das ist sehr irrational. Der Co-Pilot scheint seine Handlungen aber eher ruhig ausgeführt zu haben. Die meisten Amokläufer zeigen außerdem vorher schon Gewaltpotenzial, indem sie sich zum Beispiel mit Waffen kaufen und entsprechende Videospiele spielen. Es muss sich bei dem ursprünglichen Problem des Amokläufers aber nicht um eine psychische Erkrankung handeln. Im Fall des Co-Piloten ist aber stark davon auszugehen, dass er sehr wohl unter einer psychischen Erkrankung litt.

Es gibt derzeit mehrere Medienberichte, die ebenfalls in diese Richtung deuten. Die Rede ist da von Depression und Burnout. Aber kann eine Depression wirklich so stark sein, dass ein Mensch den Drang verspürt sich selbst und so viele andere umzubringen?

Dr. Roth-Sackenheim: Das ist eben genau der Punkt. Der Co-Pilot kann eigentlich keine einfache Depression gehabt haben. Dafür gibt es mehrere Anhaltspunkte: So richtet sich die Aggression bei einer Depression eigentlich nur gegen den Depressiven selbst und nicht gegen andere. Wenn sie sich gegen andere richtet, dann meist nur gegen nahestehende Personen. Dann meint jemand beispielsweise, dass er es der Familie nicht antun kann, in so einer furchtbaren Welt weiter zu leben, und nimmt sie deshalb mit in den Tod. Aber hier richtet sich die Aggression ja gegen fremde Menschen. Das deutet daraufhin, dass der Co-Pilot wahnhaft war. Das heißt, er könnte entweder gedacht haben, dass er die Menschen von ihrem Schicksal erlöst. Er könnte aber auch Stimmen gehört haben, die ihm die Tat befohlen haben. Wenn das der Fall war, könnte er auch gar nicht mehr wahr genommen haben, dass so viele Passagiere in der Maschine saßen.

Das würde aber auch bedeuten, dass der Co-Pilot sogar sehr schwer psychisch erkrankt gewesen sein könnte. Es gibt auch Berichte, die beschreiben, dass er über ein Jahr in einer Psychiatrie zur Behandlung war. Müssten die Psychiater die Behörden in so einem Fall nicht darauf hinweisen, dass der Mann seinen Beruf als Pilot nicht mehr ausüben kann?

Dr. Roth-Sackenheim: Nein. Ein Psychiater ist an seine Schweigepflicht gebunden. Wenn er sie nicht einhält, wird das strafrechtlich verfolgt. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist, wenn ein Arzt mitbekommt, dass ganz konkret ein Mord geplant wird. Aber es muss ganz eindeutige Fakten geben. Außerdem war es ja anscheinend so, dass der Co-Pilot damals als ausgeheilt galt.

Das Alter um die 30 Jahre gilt in der Psychologie als ein kritischer Zeitpunkt. Das heißt, wenn jemand die Veranlagung für eine psychische Erkrankung hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in diesem Alter auch ausbricht - und der Pilot war 28.

Dr. Roth-Sackenheim: Das stimmt, darüber habe ich auch nachgedacht, als ich sein Alter gelesen habe. Es ist gut möglich, dass er eine starke Episode einer psychischen Erkrankung erlebt hat, die auch für ihn noch relativ neu war. Gerade wahnhafte Störungen gehen oft mit diffusen

Vorboten-Symptomen einher. Er kann vorher auch einfach einen Leistungsknick gehabt haben. Andererseits muss man auch sagen, dass Selbstmorde meist Vorboten haben, die Außenstehende oft erst als solche erkennen, wenn die Tat schon passiert ist. Es kann also gut sein, dass doch noch mehr Hinweise in diese Richtung auftauchen.

Kann man denn unter diesen Vorzeichen überhaupt davon ausgehen, dass es einen spontanen Trigger gab, etwa ein unangenehmes Gespräch oder so etwas? Immerhin könnte man auch sagen, dass es vielleicht nie zu diesem schrecklichen Ereignis gekommen wäre, wenn der andere Pilot nicht die Kabine verlassen hätte.

Dr. Roth-Sackenheim: Das ist natürlich Spekulation. Keiner von uns war dort. Aber bei einer Psychose ist nicht auszuschließen, dass er den anderen Piloten vielleicht auch tätlich angegriffen hätte, um das Flugzeug zum Absturz zu bringen. Der Flug war ja so kurz, dass vermutlich nicht damit zu rechnen war, dass der andere Pilot das Cockpit überhaupt verlässt. In seiner Fantasie hat der Täter das Szenario vermutlich schon durchgespielt, und bei diesem Flug spielten einfach alle Faktoren so zusammen, dass er den Plan auch in die Tat umgesetzt hat. Was immer er glaubte, warum er das tut.


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