Gerichtsgutachter Egg – "Manche Gewalttäter sind wie Alkoholiker"

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Ist Anders Breivik krank? Oder ist er böse? Wie konnten sich die Gutachter bei Gustl Mollath so irren? Und warum hatte die Psychologie keine Antwort auf die NSU-Morde? Rudolf Egg, außerplanmäßiger Professor für Psychologie in Erlangen und ehemaliger Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, arbeitet seit Jahrzehnten als Kriminalpsychologe.

Im Auftrag der Justiz muss er entscheiden, ob ein Straftäter schuldfähig ist, ob ein Häftling rückfällig wird - und ob ein Zeuge lügt. Nun hat er ein Buch über die Macht der Sachverständigen geschrieben. Im Gespräch erzählt er, wie er bei seiner Arbeit vorgeht - und wann er sich geirrt hat.

Anna Fischhaber, Jahrgang 1981, ist Redakteurin für Panorama/Leben/Stil. Aufgewachsen im beschaulichen Landkreis Starnberg, hat sie in Bamberg und Madrid Literaturwissenschaften und Politik studiert und anschließend die Deutsche Journalistenschule absolviert. Nach Stationen bei Spiegel Online in Berlin und der dpa in Buenos Aires berichtet sie jetzt am liebsten aus dem Gericht. Wenn sie genug von den menschlichen Abgründen hat, reist sie durch die Welt. Oder ist an der Isar.

Herr Egg, Sie sind Gerichtsgutachter. Gibt es den typischen Verbrecher?

Statistisch gesehen, ist der typische Verbrecher männlich, jung und ledig. Und gewalttätig. Zumindest die, mit denen ich zu tun habe. Als Gutachter befasse ich mich nahezu ausschließlich mit Gewalt- und Sexualdelikten.

Was reizt Sie an diesem Beruf?

Nicht alles, was ich mitbekomme, ist schrecklich. Ich finde es immer wieder erstaunlich, in welche Konflikte Menschen hineingeraten. Aber auch, wie sie wieder herausfinden. Als Gutachter hebe oder senke ich ja nicht nur den Daumen, sondern ich verschaffe mir ein komplettes Bild. Demnächst treffe ich einen Straftäter zum vierten Mal seit 2009. Er ist seit 1999 im Gefängnis wegen schweren Raubes, hat einen langen und schweren Weg hinter sich und hofft, dass er nun entlassen werden kann.

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Wie gehen Sie bei der Arbeit vor?

Ich muss versuchen, das Verbrechen von dem Menschen, der vor mir sitzt, zu trennen. Viele Straftäter sind zunächst nicht sehr umgänglich. Aber auch zu einem Mörder kann man, wenn man mit ihm über seine Kindheit und sein Leben redet, eine gewisse Nähe entwickeln. Ich schaue mir nicht nur die Tat an, sondern die gesamte Biografie, die Personen, die ihm wichtig sind, die Haftzeit, die Chancen für einen Neuanfang.


Rudolf EggBild vergrößern

Begutachtet vor allem Gewalt- und Sexualtäter: Rudolf Egg.


(Foto: Kriminologische Zentralstelle Wiesbaden)

Wie oft liegen Sie mit Ihrer Einschätzung daneben?

Bislang ist mir kein Fehler bekannt, jedenfalls kein grober. Aber oft bekomme ich gar nicht mit, wie sich jemand nach meinem Gutachten entwickelt. Ich kann nur aktiv werden, wenn ein Gericht oder eine Vollzugsanstalt mich darum bitten. Ich sehe also meine eigenen Fehlern nicht automatisch, dafür lerne ich manchmal aus den Fehlern anderer Gutachter. Gerade habe ich einen Fall, in dem ein Vergewaltiger nach mehrjähriger Strafe entlassen wurde und nur Wochen später wieder eine Frau überfallen hat. Damit hatte niemand gerechnet, weder sein Therapeut noch sein Gutachter. Ich muss klären, was schief gelaufen ist. Und natürlich frage ich mich, ob mir der Fehler auch passiert wäre.

Wäre er?

Wenn ich ehrlich bin: Ich weiß es nicht. Die Kollegen gingen damals davon aus, dass es sich um eine einmalige Tat in einer krisenhaften Situation handelte. Der Mann war nicht vorbestraft und arbeitete in der Therapie gut mit, machte sogar erstmals eine Ausbildung im Gefängnis. Man hat sich aber nur den Täter angesehen, weniger seine Tat. Dabei war die erste Vergewaltigung sehr massiv. Es ging ihm dabei nicht nur um Sex, sondern um Dominanz, um Demütigung, um seelische Verletzung - dieser Mann hat einen Kick erlebt, den er wieder haben wollte.


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