Gerät erkennt Frühchen frühzeitig

Beobachtet man Sabrina Badir bei ihrer Forschungsarbeit, sieht das auf den ersten Blick fast amüsant aus: Konzentriert bewegt sie mit der linken Hand eine Sonde in einem nachgebauten weiblichen Becken, bewegt sie vorsichtig in der Kunstvagina und beobachtet gleichzeitig genau, was auf dem Bildschirm vor ihr abläuft. Was sie dabei tut, ist jedoch alles andere als zum Lachen: Sie testet ein Gerät, das helfen soll, frühzeitig das Risiko einer Frühgeburt abzuwenden, indem es die Festigkeit des Gebärmutterhalses von schwangeren Frauen misst.

Die 30-jährige Biomechanikerin, die an der ETH Zürich doktorierte, hat mit dem Gerät eine Fachjury überzeugt und beim internationalen Ideenwettbewerb «Falling Walls Lab» den Sieg davongetragen. 1300 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 41 Ländern hatten sich beworben, 100 konnten ihre Projekte in dreiminütigen Kurzvorträgen präsentieren. Badir stach sie alle aus. «Ich hätte nicht gedacht, dass ich es gegen die starke Konkurrenz schaffe», sagt sie.

Vielleicht hat die Einfachheit des Verfahrens die Jury überzeugt, oder die Sicherheit: Bevor das Gerät an Frauen – schwangeren und nichtschwangeren – getestet werden durfte, verlangte die kantonale Ethikkommission Zürich einen unfehlbaren Sicherheitsnachweis. Niemals dürfte das Gerät plötzlich das Gewebe verletzen oder so irritieren, dass sogar eine Fehlgeburt ausgelöst würde. Das Prinzip ist simpel: Eine Sonde saugt mittels Unterdruck Gewebe vom Gebärmutterhals an, misst exakt, wie leicht es sich verformen lässt, und zeigt die Daten auf dem Display an.

Sicher und simpel

Sabrina Badir testete die Sonde sorgfältig aus, zuerst an Fleischstücken aus der Metzgerei, an zarten Filets und an faserigen Stücken, danach an sich selber, saugte Haut am Unterarm an, an der Wange oder in der Mundhöhle. Und es zeigte sich: Die Handhabung ist so sicher wie simpel. Das Gerät produziert klare Zahlen, 300 Millibar bei nichtschwangeren Frauen beispielsweise, 50 Millibar bei hochschwangeren, die einen erstaunlich eindeutigen Verlauf anzeigen.

«Bis anhin hatten wir kaum verlässliche Daten über die Festigkeit des Gebärmutterhalses», sagt Badir. «Jetzt haben wir gesehen, dass die Ergebnisse reproduzierbar sind.» Das ganze Forschungsteam habe gestaunt, dass so klar zu sehen ist, wie die Gewebefestigkeit im Verlauf einer Schwangerschaft kontinuierlich abnimmt – und nicht erst im letzten Trimester, wie zuerst vermutet.

Das Bedürfnis nach einem verlässlichen Messgerät, auch das wohl ein Pluspunkt für die Jury, ist eindeutig vorhanden: Die Zahl der Frühgeburten nimmt zu, als Gründe vermuten Experten zum einen die häufigeren Mehrlingsgeburten nach künstlicher Befruchtung und zum anderen das steigende Alter der werdenden Mütter. «Es ist bestechend, jetzt objektive Messdaten zu haben», sagt Gynäkologe Michael Bajka, der sich seit 20 Jahren an ähnlichen Untersuchungen der ETH beteiligt und jetzt bei Badirs Gerätestudie mitmacht. «Vorher beurteilten Gynäkologen und Gynäkologinnen diese Festigkeit je nach Fingerspitzengefühl subjektiv und total unterschiedlich.»

Läuft die Studie wie erwartet, gibt das Gerät eindeutige Hinweise auf eine drohende Frühgeburt, sobald ein bestimmter Messwert gegeben ist. Welcher Wert zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft das exakt anzeigen könnte, wird mit der grossen Studie an bis zu 1000 Frauen getestet. Inzwischen hat Gynäkologe Bajka schon weit über 100 Frauen untersucht, «und keine von ihnen hat sich über die geringsten Nebenwirkungen beklagt». Bei der Untersuchung sei bloss das Spekulum spürbar, das kurze Saugen der Sonde hätte kaum eine Frau überhaupt bemerkt.

Rasches Reagieren

Die meisten Frauen willigen ohne Zögern ein, bei der Studie mitzumachen, denn vielleicht können dank dieser in nicht allzu ferner Zeit Frühgeburten verhindert werden: «Ist ein Gebärmutterhals zu weich, können wir künftig rasch reagieren und schwangerschaftserhaltende Massnahmen ergreifen», erklärt Bajka. Manchmal genügt dann etwas Schonung, andere Frauen brauchen eine Hormontherapie mit Gestagen, welches das Gewebe versteift, oder eine sogenannte Cerclage, bei der ein stützendes Band um den Gebärmutterhals geschlungen wird.

Andererseits könnte das Gerät auch jenen Frauen nützen, die ihr Kind übertragen: Zeigt sich, dass der Gebärmutterhals zu fest ist, müsste nicht unnötig eine Geburt eingeleitet werden, weil sich der Muttermund ohnehin nicht genügend öffnen könnte – dann kann ohne unnötige Umwege ein Kaiserschnitt angesetzt werden.

Während die klinischen Untersuchungen noch laufen, ist Sabrina Badir schon einen Schritt weiter: Sie meldet ihr Start-up-Unternehmen Pregnostics im Handelsregister an. Statt die Sonde an Filets zu testen, überlegt sie jetzt, wie sie aussehen muss, damit Gynäkologinnen und Gynäkologen das Gerät für ihre Praxen und Spitäler auch anschaffen möchten, wer die Untersuchung bezahlt, wie die Zulassungsbedingungen aussehen und ob die Messung von den Krankenkassen bezahlt wird.

Bis das Gerät auf dem Markt ist, habe die Forschung sie «viel Schweiss und manchmal auch Tränen gekostet», sagt Sabrina Badir. «Aber es war sehr schön, mit schwangeren Frauen zu arbeiten. Mein Forschungsbereich berührt ein emotionales Thema, hinter dem ich persönlich voll stehen kann.»
(Berner Zeitung)

(Erstellt: 12.01.2016, 11:49 Uhr)

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