Gentech bei Embryonen – die 11 wichtigsten Fragen und Antworten – Tages

Britische Forscher dürfen menschliche Embryonen gezielt gentechnisch verändern. Die zuständige Behörde HFEA (Human Fertility and Embryology Autho­rity) hat am Montag einem Team um Kathy Niakan vom Francis Crick ­Institute in London dazu grünes Licht gegeben. Mit den geplanten Experimenten wollen die Wissenschaftler herausfinden, warum die Überlebensraten von im Reagenzglas gezeugten Embryonen so niedrig sind. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um die geplanten Versuche.

Welches wissenschaftliche Ziel verfolgen die Forscher?
Das Team untersucht, welche Gene wichtig sind, damit ein Embryo nach der ­Befruchtung normal und gesund heranreift. Bei der künstlichen Befruchtung (IVF) entwickelt sich ein Grossteil der befruchteten Eizellen gar nicht erst zu einem Embryo, oder wenn doch, wachsen viele der Embryonen nicht heran. Das Ziel der Wissenschaftler ist es, die Rate der Fehlgeburten künftig zu reduzieren und damit die Erfolge von Fruchtbarkeitsbehandlungen zu verbessern.

Was machen die Forscher genau?
Die Gruppe wird eine elegante neue Technik mit dem etwas sperrigen ­Namen Crispr/Cas9 dazu verwenden, das Erbgut gezielt und präzise zu verändern. Niakan und ihr Team betreiben Grundlagenforschung. Sie möchten wissen, welche Gene wichtig für die Entwicklung sind. So gibt es zum Beispiel Gene, die darüber bestimmen, ob eine ­embryonale Zelle zum Mutterkuchen wird oder zum Kind. Der Plan ist, diese entscheidenden Gene gezielt auszuschalten und zu prüfen, welchen Effekt das in der Embryonalentwicklung hat.

Warum sind für die Forschung menschliche Embryonen nötig?
Einige Gene sind bei der Embryonalentwicklung von Maus und Mensch ähnlich gesteuert. Sie sind einfacher bei Tieren zu untersuchen. Andere Gene werden jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiv. Diese Gene können nur am Menschen erforscht werden.

Wie laufen die Versuche ab?
Das Team wird im Labor verfolgen, wie sich menschliche Embryonen vom ersten bis siebten Tag nach der Befruchtung entwickeln. Nach einer Woche besteht ein menschlicher Embryo aus rund 250 Zellen. Nach den Versuchen werden die Embryonen zerstört.

Woher stammen die Embryonen?
Die Wissenschaftler verwenden ­Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung übrig geblieben sind und eigentlich vernichtet worden wären. Paare haben nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung ihre überzähligen Embryonen der Forschung gespendet.

Wie viele Embryonen brauchen die Forscher?
Das Team vom Francis Crick Institute konzentriert sich bei den Versuchen auf drei bis vier Gene und wird für die Untersuchung jedes einzelnen Gens 20 bis 30?Embryonen einsetzen. Insgesamt also bis zu 120?Embryonen.

Sollen hier erstmals menschliche Embryonen gezielt gentechnisch verändert werden?
Nein, bereits im April 2015 berichteten chinesische Forscher, sie hätten dies geschafft. Sie verwendeten dafür allerdings nur defekte, nicht überlebens­fähige Embryonen. Das Experiment zeigte vor allem eines: Die verwendete Crispr/Cas9-Technik ist (noch) zu unzuverlässig, um gezielt einzelne Gene zu verändern. Auch anderswo, so munkelt man, hantieren Forscher, meist hinter verschlossenen Türen privater Labors, mit der «Crispr/Cas9-Genschere» an menschlichen Embryonen. Die geplanten Versuche in England sind allerdings die ersten, die von einer staatlichen Behörde offiziell bewilligt wurden.

Sind solche Experimente eigentlich nicht verboten?
In der Schweiz und in rund 40?anderen Staaten sind Experimente an menschlichen Embryonen tatsächlich verboten. In den USA, China und anderen Ländern gibt es keine entsprechenden Gesetze. In den USA sind solche Experimente derzeit aber von einer staatlichen Förderung ausgenommen. In Grossbritannien ist die Forschung an menschlichen ­Embryonen erlaubt, genetisch veränderte Embryonen dürfen aber keiner Frau eingepflanzt werden.

Wann können die Forscher starten?
Nach der Behörde HFEA muss auch noch eine Ethikkommission über die geplanten Versuche befinden. Dieser Entscheid steht aus. Die Forscher gehen aber davon aus, noch dieses Jahr loslegen zu können.

Wie umstritten sind die geplanten Versuche?
In der Forschergemeinde kaum. Anfang Dezember 2015 traf sich ein hochkarätiges Panel zur Konferenz «Human ­Genome Editing». Die Wissenschaftler befanden, dass Forschung an menschlichen Embryonen mit der Crispr/Cas9-Genschere wichtig und nötig sei. Für einen gentechnischen Eingriff in die menschliche Keimbahn (Eizellen, Spermien und Embryonen) sei es allerdings noch viel zu früh, das Risiko dafür zu gross. Ausserhalb der Wissenschaft sind die geplanten Versuche an menschlichen Embryonen aber sehr wohl umstritten, aus ethischen und moralischen Gründen.

Sind solche Experimente der erste Schritt zu Designerbabys?
Vielleicht indirekt. Bei den geplanten Experimenten geht es «nur» um Grundlagenforschung. Natürlich werden die Erfahrungen der Londoner dazu bei­tragen, die Technik zu verbessern und sicherer zu machen. Und so könnte der Druck, Embryonen vor der ­Einpflanzung gentechnisch zu verbessern (und so ­Designerbabys herzustellen), künftig steigen. Medizinisch besteht derzeit ­allerdings kaum Bedarf für solche Eingriffe. Denn erstens ist die Technologie alles andere als ausgereift. Und zweitens kann man heute bei Fruchtbarkeits­behandlungen Embryonen mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) schon auf Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder Muskeldystrophien testen und allenfalls aussortieren. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

(Erstellt: 01.02.2016, 20:26 Uhr)

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