Genie in der Forschung – Chauvinist im Labor

Dass wissenschaftliche und soziale Intelligenz bei einem Menschen nicht zwingend deckungsgleich sein müssen, bewies der britische Krebsforscher Tim Hunt eindrücklich an einer Konferenz von Wissenschaftsjournalisten in Seoul: Vor versammelter Menge palaverte Hunt, der für seine Arbeit über die Kontrolle des Zellzyklus 2001 den Nobelpreis für Medizin erhielt, über seine anachronistischen Rollenbilder.

«Lassen Sie mich von meinen Problemen mit Mädchen berichten. Drei Dinge passieren, wenn sie im Labor sind: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich, und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen.»Tim Hunt, Nobelpreisträger

Aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen mit Kolleginnen forderte der Nobelpreisträger eine allgemeine Geschlechtertrennung im Labor. Ginge es nach Hunt, sollten die Experimentierstuben, ähnlich wie Toiletten, in Herren- und Damenlabore aufgeteilt werden. Dass der 72-jährige Krebsforscher ein Chauvinist der alten Schule ist, gab Hunt dann auch gleich selber zu und bezeichnete sich als «Chauvi-Schwein».

Welle der Entrüstung

Sein Eingeständnis vermochte die Kritiker jedoch nicht zu beschwichtigen. Connie St Louis, Dozentin für Wissenschaftsjournalismus an der City-Universität in London, empörte sich via Twitter über Hunts öffentlich zur Schau gestellten Chauvinismus und fragte, ob «der Preisträger denke, dass er noch im viktorianischen Zeitalter lebe»:

Die Dozentin löste auf dem Kurznachrichtendienst damit eine Welle der Entrüstung aus. Zahlreiche Nutzer beschwerten sich in der Folge über die Stumpfsinnigkeit des renommierten Wissenschaftlers. John Graham-Cumming zog Hunts Aussagen mit einem Verweis auf Marie Curie ins Lächerliche:

Und Lucy Inglis stellte fest, dass es für unangenehme Deppen offenbar keine IQ-Obergrenze gebe:

Sogar die altehrwürdige britische Gelehrtengesellschaft Royal Society, der in ihrem über 350-jährigen Bestehen nicht eine einzige Frau als Präsidentin vorstand, distanzierte sich vom sexistischen Krebsforscher:

«Die Wissenschaft muss die forscherischen Fähigkeiten der gesamten Bevölkerung nutzen», schrieb die Gesellschaft und fügte deutlich hinzu: «Die Wissenschaft braucht Frauen.» Zu viele talentierte Menschen nutzten ihr Potenzial wegen Problemen mit Sexismus nicht, und die Royal Society sei entschlossen, dies zu ändern, hiess es.

Unbeholfene Reaktion

Tim Hunt reagierte gegenüber der BBC recht unbeholfen auf die Kritik. «Was ich gesagt habe, tut mir sehr leid. Es war dumm von mir, das vor so vielen Journalisten zu sagen», so Hunt. Der Wissenschaftler versuchte seine Aussagen damit zu rechtfertigen, dass er «bloss ehrlich» sein wollte.

Denn er hätte tatsächlich Probleme mit Mitarbeiterinnen gehabt, die sich in ihn verliebt haben, da er sie dann nicht mehr sachlich kritisieren konnte. Diese ungleichen Voraussetzungen hätten sich sehr störend auf seinen Prozess der Erkenntnisgewinnung ausgewirkt.

Wieso die Frauen dafür büssen sollten, dass Hunt seinen Job nicht von seinem Privatleben trennen kann, beantwortete der Nobelpreisträger jedoch nicht. (DerBund.ch/Newsnet)

(Erstellt: 10.06.2015, 20:39 Uhr)

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