Genesungsbegleiter in der Psychiatrie

Wenn Mareike Jansen über die Flure der Psychiatrie-Station im Bremerhavener Klinikum Reinkenheide läuft, spürt man schnell das Vertrauen, das man ihr dort als Genesungsbegleiterin entgegenbringt. Die 29-Jährige hat stets ein fröhliches "Hallo" oder "Wie geht es Ihnen heute?" auf den Lippen. Und ihre positive Ausstrahlung überträgt sich auf Patienten und Pflegepersonal, die ihren Gruß ebenso freundlich erwidern.

Dabei hat es Mareike Jansen selbst nicht leicht. 2008 mit der Diagnose Borderline-Störung konfrontiert, kennt sie Probleme psychisch Erkrankter nur zu gut. Gerade ihre Erfahrung und eigene Betroffenheit sind es, die anderen Patienten helfen.

Davon ist Angelika Lacroix, Initiatorin des Projekts "Experienced-Involvement – Beteiligung Psychiatrie-Erfahrener" am Klinikum Reinkenheide, überzeugt. Für die langjährige Pflegedienstleiterin mit sozialpsychiatrischer Fachausbildung stand früh fest, dass sich die Psychiatrie verändern und die Therapie auf Augenhöhe mit den Patienten erfolgen muss. "Man sollte den Patienten entscheiden lassen, wie sein Genesungsweg aussehen kann", sagt die Pflegedienstleiterin.

Genesungsbegleiter als neue Berufsgruppe

Dementsprechend war für sie klar, dass das "Ex-In"-Projekt, das aus einem europäischen Projekt hervorgegangen ist, eine gute Sache ist: Psychiatrie-Erfahrene, die dann eine spezielle Ausbildung durchlaufen haben, in die Therapie der Erkrankten mit einzubinden. "Die Genesungsbegleiter sollen als neue Berufsgruppe Pflegekräfte nicht ersetzen, sondern ergänzen. Sie übernehmen Anwaltschaften für Patienten, um deren Bedürfnisse noch besser zu berücksichtigen", erklärt Lacroix.

Ehemalige Patienten als Genesungsbegleiter

Das Klinikum Reinkenheide stellte als erste Klinik in Deutschland im Oktober 2010 ehemalige Patienten als Genesungsbegleiter fest ein. Waren es zunächst nur zwei, sind auf der psychiatrischen Station inzwischen sechs Männer und Frauen als Genesungsbegleiter beschäftigt. Anfängliche Vorbehalte von Pflegekräften, Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und Ergotherapeuten hätten sich schnell aufgelöst, so Lacroix. "Wir lernen voneinander." Mittlerweile arbeiten mehrere Hundert Genesungsbegleiter bundesweit an Kliniken, Gesundheitseinrichtungen und Beratungsstellen.

Voraussetzung für die Arbeit als Genesungsbegleiter ist nicht nur die eigene Erfahrung mit einer psychischen Erkrankung, Alkohol- oder Medikamenten-Abhängigkeit bei mehrjähriger Abstinenz, ausreichende psychische Stabilität und die Fähigkeit zur Integration in eine Arbeitsgruppe. "Es muss jemand sein, der voll und ganz hinter dem Projekt steht", sagt Angelika Lacroix.

Nach der einjährigen Ausbildung zum "Ex-In" folgt eine sechswöchige Einarbeitung auf der jeweiligen Station, in der die Genesungsbegleiter "ankommen", ihre Umgebung und Mitarbeiter kennenlernen, bevor sie ihre Aufgaben übernehmen. Diese seien vielfältig, sagt Mareike Jansen: "Einen typischen Arbeitstag gibt es nicht." Die Genesungsbegleiterin arbeitet entweder in Früh- oder Spätschicht. Zweimal wöchentlich gibt es zudem eine Morgenrunde mit Teambesprechung. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen ist Mareike Jansen sehr wichtig.

Auch Genesungsbegleiter brauchen Unterstützung

Ihre Arbeit mit Patienten sieht sie in der praktischen und in der seelischen Unterstützung: Es wird gemeinsam gefrühstückt, manchmal gebacken oder gekocht, wobei die Patienten Aufgaben erhalten. Sie bietet Patienten Unterstützung bei Behördenangelegenheiten an, ermutigt bei der Therapie. Auch wenn man nicht mit jedem Patienten gleich in Kontakt kommen könne, tue es den meisten seelisch Kranken gut, jemanden zum Reden zu haben. "Oft genügt es schon, einfach nur da zu sein und zuzuhören", sagt die Genesungsbegleiterin.

Und was ist ihre Motivation? "Ich möchte aus meiner Erfahrung den Patienten behilflich sein, an ihr Recht zu kommen. Es hat niemand verdient, blöd behandelt zu werden, nur weil er seelisch in einer Krise steckt. Dabei gebe ich mein Möglichstes, damit die Patienten sich so wohl fühlen, wie es nur geht." Auch ihr gebe die Arbeit sehr viel: "Ich stehe morgens auf und freue mich auf meinen Job. Schließlich gibt es Menschen, die auf mich warten und auch mir etwas Menschliches zurückgeben, sei es ein Lächeln, eine Umarmung oder ein ?Guten Morgen?."

Bei all dem Engagement dürfe man jedoch nicht vergessen, dass Genesungsbegleiter ihrerseits auf Unterstützung angewiesen seien, sagt Angelika Lacroix. "Es muss jemand da sein, der die Gruppe coacht." Daher gebe es auch regelmäßige Gruppen-Treffen und bei Bedarf zusätzlich einen direkten Austausch mit dem jeweiligen Genesungsbegleiter, bei dem auch dessen persönliche Probleme besprochen werden können. Diese Möglichkeit nimmt auch Mareike Jansen gern in Anspruch, die sich noch in ambulanter Behandlung befindet und Antidepressiva einnimmt. "Ich muss wie die Patienten jeden Tag neu an mir arbeiten. Stabil sein, heißt schließlich nicht, gesund zu sein. Doch durch meine Arbeit als Genesungsbegleiterin habe ich auch gelernt, besser mit meiner eigenen Erkrankung umzugehen."

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