Fürchte dich nicht vor dem Risiko

08.08.2014 | 08:21 | 

Andrea Lehky (Die Presse)

Psychologie. Man sagt uns Österreichern nach, wir seien risikoavers. Was in uns vorgeht, wenn wir mit Ungewissheit konfrontiert sind, und wie wir dabei manipuliert werden können.

Ein Steinzeitmensch sieht sich einem Löwen gegenüber. Er erstarrt – ein archaischer Totstellreflex. Der wird auch im Kopf eines modernen Homo managementicus ausgelöst, wird er mit einem plötzlichen Risiko konfrontiert. Dem Steinzeitmenschen hilft das regungslose Verharren, um den Löwen nicht auf sich aufmerksam zu machen. Es gibt ihm Zeit zu überlegen: Ist er stark genug, es mit ihm aufzunehmen? Oder soll er besser loslaufen? 

Auch im Großstadtdschungel heißt es nach der ersten Schrecksekunde: Kampf oder Flucht. Wozu man neigt, ist eine Mischung aus Veranlagung, Sozialisierung und eingelernten Heurismen. Das sind Faustregeln, schnelle Entscheidungshilfen, mit denen wir die Komplexität des Alltags reduzieren. An ihnen halten wir selbst dann noch fest, wenn sie sich längst als falsch erwiesen haben.   

Wie wir Risken beurteilen
► Lang andauernde Risken unterschätzen wir tendenziell, weil wir uns an sie gewöhnt haben (Eurokrise). Plötzlich auftretende überschätzen wir, weil sie uns unvorbereitet treffen (Ukraine-Krise).
► Vor natürlichen Gefahren (Naturkatastrophe) haben wir weniger Angst als vor vom Menschen verursachten (Reaktorunfall).
► Wir werden mutig, wenn wir denken, das Risiko im Griff zu haben und/oder  wissenschaftliche Beweise für seine Beherrschbarkeit zu besitzen (Expertenmeinung).  
► Gehen wir ein Risiko freiwillig ein, stufen wir es niedriger ein.
► Sind die Konsequenzen überschaubar, werden wir risikofreudig.
► Ist die Entscheidung jedoch größer, als wir psychisch bewältigen können, erleiden wir ein Burn-out, verfallen in Apathie, Zynismus, blinden Aktionismus oder – im Extremfall – Fundamentalismus. 

Manipulation leicht gemacht
Außenstehende Dritte können Interesse daran haben, uns ein Risiko schmackhaft zu machen. Hier ein paar Tricks: 
► Framing setzt Aussagen in einen gewünschten Rahmen. Wir entscheiden anders, wenn wir mit einer Maßnahme „vier von zehn Jobs retten“ oder „sechs von zehn Jobs nicht retten“ können. 
► Mit Prozentzahlen lässt sich wunderbar tricksen. Ein marginales Risiko bleibt ein marginales Risiko, auch wenn es sich um 100 Prozent erhöht. Immer den Bezug zu absoluten Zahlen suchen!
► Verspricht eine Alternative Gewinne, werden wir risikofreudig; drohen Verluste, schrecken wir davor zurück. Das gilt selbst dann, wenn wir nachrechnen und feststellen, dass beide Varianten dasselbe Ergebnis haben. Wir greifen trotzdem zu der, die Gewinne verspricht (Finanzdienstleister).
► Alle Lotterien der Welt arbeiten mit dem Prinzip des Zusatzgewinns. Lässt sich on top etwas dazubekommen, gehen wir gerne ein Risiko ein. Gleichzeitig fürchten wir uns davor, etwas bereits Besessenes wieder abgeben zu müssen. 
► Je mehr Gedankenanker wir zu einer Information schon haben, desto höher bewerten wir sie. Trägt ein Manager im Meeting eine neue Idee vor und bewertet sie der erste Kommentator positiv, wird sie wahrscheinlich angenommen, weil die Zuhörer bereits zwei positive Gedankenanker haben. Dass die beiden sich abgesprochen haben, weiß ja niemand. 
► Gefährlich sind Repräsentationsschlüsse, Entscheidungen auf Basis (zu) weniger Einzelfälle. Suchmaschinen verstärken diesen Effekt: Weil sie lernfähig sind, zeigen sie uns nur Suchergebnisse, die mit unserer Meinung konform gehen. Damit gaukeln sie uns vor, es gäbe keine andere.
►  Nahezu unmöglich ist es, sachlich Risken zu bewerten, wenn Gefühle im Spiel sind. Je emotionaler ein Thema (Sorge um die Kinder), desto mehr sind wir „blind vor Angst“ – und damit manipulierbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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