Für Sie gelesen – Václav Havels leise Töne

Michael Zantovsky ist ein umtriebiger, beneidenswert vielseitiger Mann. 1949 in Prag geboren, studierte er dort und in Montreal Psychologie, bis 1980 arbeitete er im Psychiatrischen Forschungsinstitut in Prag, danach als freier Autor. Er übersetzte und schrieb für Untergrundzeitschriften. Im Januar 1990 wurde er Pressesprecher und Berater des neuen Präsidenten Václav Havel. Danach war er Botschafter in den USA, in Israel und seit Oktober 2009 in Großbritannien. Daneben übersetzte er über 50 Bücher von Autoren wie Nadine Gordimer, Joseph Heller und Toni Morrison.

Im Propyläen-Verlag ist nun seine Biografie Václav Havels erschienen. 680 Seiten. Also deutlich mehr, als man zunächst einmal wissen möchte über den Autor, Dissidenten und Staatsmann. Zantovsky erinnert einen freilich schnell daran, was für eine Ausnahmeerscheinung Havel war: ein Künstler, der Prinzipien hatte, und sich darauf verstand, sie auch einmal zu vergessen. Einer, der wusste, dass man nicht vergessen durfte, wenn man vergeben wollte.

Mit solchen Allgemeinheiten hält Zantovsky sich aber nicht auf. Er erzählt. Zum Beispiel vom Prager „Theater am Geländer“, an dem Havel nicht nur arbeitete, sondern an dem sein erster großer Erfolg „Das Gartenfest“, eine Satire auf die sozialistische Tschechoslowakei, Premiere hatte. „Als die Aufführungen des ‚Gartenfests‘ 1963 begannen, waren Karten für das 140 Sitzplätze umfassende Theater ebenso schwer zu bekommen wie eine Reisegenehmigung in den Westen.

Sobald am 23. eines Monats der Verkauf der Karten für den Folgemonat startete, bildete sich vor der winzigen Kasse eine lange Schlange von müden, jungen Leuten, die schon die ganze Nacht vor dem Theater ausgeharrt hatten.“ Solche Szenen wiederholten sich bei denkwürdigen Aufführungen von Eugène Ionesco, Samuel Beckett und Alfred Jarry. Solche Passagen rufen in Erinnerung, wie sehr viel anders die Situation in der DDR war.

Manchmal hält Zantovsky zudem mit einer Geschichte aus der Vergangenheit unserer Gegenwart einen Spiegel vors Gesicht. Zum Beispiel Václav Havels erster Besuch in den USA. Am 21. Februar 1990 hielt Havel eine Rede vor den versammelten Mitgliedern von Kongress und Senat. Ein Medienberater kritisierte im Vorfeld den zögerlichen, stockenden und halb gemurmelten Vortrag, die Vermeidung von Blickkontakt und die Abwesenheit von dramatischen Betonungen und Pausen.

Aber Havel bekam trotz alledem siebzehnmal stehende Ovationen, schreibt Zantovsky. Der Dramatiker Václav Havel war doch ein um Längen besserer Stratege. Denn wenn man etwas zu sagen hat, sagt man es besser leise.

Michael Zantovsky: Václav Havel. In der Wahrheit leben. Propyläen Verlag, Berlin 2015, 680 S., 26 Euro

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