Forscher kritisieren fehlende Studien zu Ritalin

Seit über 50 Jahren werden Psychostimulanzien mit dem Wirkstoff Methylphenidat geschluckt. Anfangs ausschliesslich als Ritalin, heute existiert eine ganze Palette gleichartiger Medikamente zur Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). Ärzte verweisen oft auf diesen langen Zeitraum als Beleg für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieser Medikamente.

Doch dies ist ein Missverständnis. Das zeigt eine neue Analyse aller verfügbaren kontrollierten Studien durch die renommierte Cochrane Collaboration, ein weltweites Netz von Fachleuten, die mit systematischen Übersichtsarbeiten die Wirksamkeit von medizinischen Therapien bewerten. Ihr Fazit: Die Studienlage bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Methylphenidat ist dünn und wenig aussagekräftig.

Wenig Vertrauen in die Befunde

Die Cochrane-Fachleute analysierten 185 Studien mit insgesamt über 12'000 Kindern und Jugendlichen, die ein diagnostiziertes ADHS hatten. Dabei fanden sie eine moderate Verbesserung typischer ADHS-Symptome, des allgemeinen Verhaltens sowie der Lebensqualität durch Methylphenidat. Und sie bestätigten Schlafprobleme und Appetitverlust als Nebenwirkungen.

Doch die 18 Forscher um den dänischen Psychiater Ole Jakob Storebø haben wenig Vertrauen in diese Befunde. In den Studien, von denen fast 40 Prozent industriefinanziert waren, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Probanden wussten, ob sie den Wirkstoff, ein Placebo beziehungsweise keine Behandlung erhielten. Dies kann Resultate stark verfälschen. Ausserdem bemängeln die Forscher unter anderem in vielen Studien unvollständige Angaben.

Nicht unüberlegt absetzen

Aussagen zu Langzeiteffekten ist den Cochrane-Forschern nicht möglich. Die Studien untersuchten im Durchschnitt einen Behandlungszeitraum von nur 75 Tagen, je nach Studie von 1 bis 425 Tagen. Die Auswertung mache deutlich, dass es längere und qualitativ bessere Studien brauche, um die Wirkung von Methylphenidat zuverlässiger bestimmen zu können, wird Storebø in einer Mitteilung zitiert. Co-Autorin Camilla Groth fordert Ärzte dazu auf, dass sie bei der Verschreibung von Psychostimulanzien die schlechte Beweislage berücksichtigen und die Behandlung sorgfältig überwachen sollten. «Einige Patienten mögen profitieren, aber wir wissen immer noch nicht, welche», so Groth.

Die Cochrane-Forscher warnen vor Überreaktionen. Familien und Behandler sollen Medikamente jetzt nicht unüberlegt absetzen. «Wenn die Behandlung bei einem Kind oder Jugendlichen einen Nutzen ohne negative Auswirkungen bringe, dann dürften die Voraussetzungen vorhanden sein, die Behandlung fortzusetzen», fügt Morris Zwi, ebenfalls Co-Autor, hinzu.

In der Schweiz gehen Berichte des Bundes und des Kantons Zürich davon aus, dass im Jahr 2012 1 bis 2,4 Prozent aller Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren Ritalin und andere Psychostimulanzien eingenommen haben. Umgerechnet sind dies landesweit bis zu 17'000 Kinder. Die Zahlen könnten allerdings noch höher liegen. Darauf deutet der Vergleich mit Deutschland, wo die Menge Methylphenidat pro Kopf halb so hoch ist. (Bernerzeitung.ch/Newsnet)

(Erstellt: 25.11.2015, 15:20 Uhr)

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