Familientragödien: Psychologie-Expertin: "Männer töten anders"

Was für Konflikte stecken dahinter, wenn ein Mensch Kinder, Partner und vielleicht auch noch sich selbst umbringt?

«Man muss von vorneherein unterscheiden, ob sich der Täter selbst tötet oder nicht. In Neuss hat der Ehemann seine Frau und Kinder erschossen und ist auf der Flucht. Die üblichen Motivationslagen für solche Taten sind Rache am Ehepartner oder Eifersucht. In Berlin scheint die Lage anders zu sein. Hier hat ein Vater vermutlich wegen großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Familie und sich selbst umgebracht - das klingt nach einer klassischen Verzweiflungstat.»

Aber das jüngste Kind hat er vorher in einer Babyklappe abgegeben - was bedeutet das?

«Das ist merkwürdig und wirklich atypisch, dass ein Täter ein Kind ausklammert. Das habe ich noch nie gehört und kann es nicht erklären. Sonst ist es immer so, dass Kinder durch Zufall überleben.»

Warum nehmen Täter ihre ganze Familie mit in den Tod?

«Dieses Phänomen nennen wir erweiterten Suizid. Motive dafür sind Überzeugungen wie: Ich kann das nicht aushalten, ich nehme sie alle mit aus dieser Welt, die so furchtbar ist. Dahinter kann sogar ein altruistischer Gedanke stehen - weil ein Mensch seiner Familie ein scheinbar schlimmes Schicksal ersparen und sie dieser Gesellschaft oder Zukunft nicht aussetzen will. Ursache sind oft schwere Depressionen. Viel seltener auch psychotische Erkrankungen wie Schizophrenie. Es gibt aber auch Aggressoren, die rein aus Rachegründen töten. Wenn sie nicht weiterleben, soll es ihre Familie auch nicht. Das passiert oft, wenn eine Partnerschaft zerbrochen oder zerrüttet ist. Dahinter können Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus stecken. Ein Mann will zum Beispiel nicht, dass seine Frau mit einem anderen glücklich wird. Und deshalb nimmt er ihr die Kinder.»

Handeln Männer und Frauen bei solchen Taten unterschiedlich?

«Ja, es gibt deutliche Unterschiede. Frauen töten am häufigsten ihr Neugeborenes. Weil sie sich nicht in der Lage sehen, das Baby zu versorgen. Oder weil sie befürchten, dass der Partner nicht an ihrer Seite bleibt. Das ist insgesamt aber trotzdem ausgesprochen selten. Männer neigen eher zum erweiterten Suizid.»

Also bringen Frauen eher ihre Kinder oder sich selbst um als ihre Männer?

«Richtig. Es scheint so zu sein, dass Männer da ein erhöhtes Aggressionspotenzial haben. Männer töten auch anders. Frauen vergiften oder ersticken ihre Opfer eher. Männer wählen oft härtere Methoden und besorgen sich Waffen.»

Es gibt in Deutschland eine auffällige Häufung von tödlichen Familiendramen im August mit bisher 19 Toten. Gibt es so etwas wie Nachahmungstäter - auch nach Medienberichten?

«Die vielen Taten im August kann man überhaupt nicht als einen Trend oder eine Häufung betrachten. So etwas ist absolut zufällig. Insgesamt kommen solche Taten glücklicherweise nur sehr selten vor. Aber es gibt Nachahmungseffekte. Wir befürchten sie zum Beispiel immer, wenn sehr ausführlich über Amokläufer berichtet wird. Die Medien sind da in einem ethischen Dilemma. Sie müssen und sollen berichten. Auf der anderen Seite kann das Nachahmungstäter anregen.»

Menschen können sich also von einer auf die andere Minute dazu entschließen, ihre gesamte Familie umzubringen?

«Es ist immer die Frage, wie spontan so etwas passiert. Aber es gibt Fälle, wo nur eine ganz kurze Zeit zwischen dem Entschluss, dem Besorgen einer Waffe und der Tat liegt.»

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