Fachtagung: Glück erfordert Arbeit an sich selbst

Die heutige Glücksforschung stößt an ihre Grenzen, soll sie den Weg zum "großen, langfristigen Glück" weisen. Das war der Tenor einer Fachtagung am Samstag in Wien, die Grenzfragen zwischen Psychologie und Spiritualität unter dem Motto "Glück und Seligkeit" diskutierte. Mehr Fokus auf "glückendes Leben" sei nötig, wobei es auf die Arbeit an der eigenen Person, den Erwerb von Tugenden und das Zugehen auf andere ankomme, so die Vortragenden aus Psychologie, Philosophie, Neurowissenschaft und Theologie, darunter auch Kardinal Christoph Schönborn, der das Abschlussstatement hielt.

Der Wiener Erzbischof lenkte den Blick auf die transzendente Dimension des Glücks. "Wir sind dazu geschaffen, glücklich zu sein - weshalb uns die Sehnsucht danach von Gott mitgegeben ist", so Schönborn. Die Bedeutung von Glück eröffne sich nur in der eigenen Erfahrung, meist "portionsweise" in den kleinen Alltagsfreuden, im Leben in Frieden und Sicherheit. Gering achten sollte man es deshalb nicht, betonte der Kardinal: Das kleine Glück sei Vorgeschmack auf das "große Glück", aus dem es zugleich gespeist werde.

Kardinal Schönborn brachte hier die Seligpreisungen der Bergpredigt ins Spiel: Jesus habe in ihnen das "große Glück" verheißen, sei dabei aber von gängigen Glücksvorstellungen abgewichen, die Erfolg, Leistung und Selbstverwirklichung als Quellen des Glücks vermuten. Nach kirchlichem Verständnis mache die eigene Hingabe den Menschen glücklich, da dies dem Wesen Gottes entspreche und Anteil an dessen Glück gebe. "Deshalb sehen viele spontan die Heiligen als Menschen mit ganz gelungenem und geglücktem Leben: In ihnen leuchtet die Glückseligkeit Gottes selbst auf und sie lassen erkennen, dass Hingabe Glück bedeutet."

Glücksrezepte als Sackgasse

Bedenken gegenüber Moden der Glücksforschung äußerte Heiko Ernst, Chefredakteur der Zeitschrift "Psychologie heute": Sie habe "mehr Fragen über das Glück aufgeworfen als beantwortet", so der Psychologe, zudem habe sich in der Suche nach "Glücksrezepten" meist Überdruss breitgemacht: "Das angestrengte Streben nach Glück hat sich als direkter Weg ins Unglück entlarvt", so Ernst. Zunehmend stelle sich die Frage nach der richtigen Balance der Gefühle - schließlich trage auch Unglück zum Ermessen und Genießen des Glücks bei.

Als "allzu billig" bewertete Michael Utsch, Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche Deutschlands, die Glücksversprechen der Sekten und Esoterik. Studien zufolge könne eine Bindung in derartigen Kreisen zwar tatsächlich kurzfristig Glücksgefühle auslösen, doch erhöhten sich Druck und Kontrolle auf den Einzelnen, sobald er kritisch hinterfrage oder Eigenständigkeit und Selbstverantwortung einfordere. Psychodynamisch gehe es hier meist um Schuldzuschreibung durch Gut-Böse-Spaltung, Abgabe von Eigenverantwortung und Meiden von Ambivalenzen, so der Berliner Psychologe.

Todsünden und Beschleunigung

Zwei philosophische Beiträge lieferten Hanna Gerl-Falkowitz (Dresden) und Thomas Fuchs (Heidelberg): Die sieben Hauptsünden - "Verhaltensweisen, die das Leben verbauen und im Absturz enden" - seien brauchbare Konzepte der Selbstverortung und -einschätzung, führte Gerl-Falkowitz aus.

Fuchs, der einzige habilitierte Psychiater und Philosoph im deutschen Sprachraum, sprach über die "Zeitlosigkeit des Glücks": Dem der Vergangenheit beraubten seichten Glückserleben etwa der Sucht stehe die "erfüllte Gegenwart" des tiefen Glücksempfindens gegenüber, dessen Fähigkeit jedoch durch die heutige Beschleunigung und Verdichtung zunehmend verloren gehe.

Richtiger Umgang mit Defekten

Tagungsleiter Raphael Bonelli, Psychiater und Psychotherapeut in Wien, bezeichnete das Anerkennen eigener Defekte als eine Voraussetzung für Glück: "Unrecht tun und Unrecht erleben ist eine menschliche Realität, die dem Glück nur scheinbar im Weg steht. Durch Verdrängen von Schuld kann ein Leben nicht glücken. Vielmehr verzerrt sich auf diese Weise die Weltsicht, man verliert Freiheit und gleitet leicht in Fremdbeschuldigung ab. Das ruiniert Beziehungen und führt letztlich zur Vereinsamung und Verbitterung", so der Neurowissenschaftler.

An dem Kongress im Wiener Palais Liechtenstein nahmen 450 Fachleute aus Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie teil. Veranstaltet wurde er vom Institut für Religiosität in Psychologie und Psychotherapie (RPP), der Sigmund-Freud-Privatuniversität, dem internationalen Theologischen Institut, dem Berufsverband Österreichischer PsychologInnen und der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems.

(Informationen unter: www.rpp2013.org)

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