Extrovertiert: Hoppla, jetzt komm ich!

Der Grad der Extrovertiertheit, also der Ausrichtung nach außen, gilt in der Psychologie als ein grundlegendes Charaktermerkmal, das dem Menschen offenbar in Grundsätzen schon in die Wiege gelegt ist und erstaunlich stabil über seine Lebensspanne anhält. Jeder besitzt introvertierte und extrovertierte Anteile, es ist ein höchst individueller Mix im Kontinuum zwischen den beiden Extremen.

Extrovertiertheit hat Vor- und Nachteile

Extrovertierte scheinen leichtfüßiger durchs Leben zu gehen als die stillen, nach innen gekehrten Personen, wirken oft selbstbewusster, lebendiger, tatkräftiger. Allerdings landen sie wohl auch häufiger mit Verletzungen und Krankheiten im Krankenhaus, wie eine Studie an der britischen Newcastle University zeigte.

In einer „lauten“ Gesellschaft wie den USA, wo Leistung („Performance“) gleichbedeutend mit Darstellung ist, bietet der Hang zur Extrovertiertheit unter Umständen auch Vorteile für die berufliche Laufbahn.

Stille Menschen empfinden Extrovertierte manchmal als Zumutung

Stille Menschen empfinden den extrovertierten Typus bisweilen als Zumutung: Der redet zu laut und zu schnell, ist oberflächlich und weigert sich, Risiken und Probleme zu erkennen. Rampensau, Dünnbrettbohrer, Nervensäge. Wo, bitteschön, ist der Knopf zum Abschalten?

Umgekehrt halten es Extrovertierte manchmal mit allzu stillen Menschen nur schwer aus, wenn diese Probleme in sich hineinschrauben, wo doch die Lösung auf der Hand liegt; wenn sie mit der Schwerlast ihrer Bedenken alle anderen ausbremsen. Langweiler, Energieloch. Vielleicht hilft Beatmung?

Introvertierte müssen sich vor zu vielen Reizen schützen

„Extrovertierte sind nicht besser oder schlechter als Introvertierte, sonders einfach nur anders“, sagt Dr. Sylvia Löhken, Kommunikationsexpertin und Bestseller-Autorin zum Thema Introvertiertheit. „Auch ohne äußere Stimulation passiert zwischen den Ohren der Introvertierten so viel, dass sie sich vor weiteren Reizen regelrecht schützen müssen“, erklärt Dr. Löhken. Trubel empfinden sie oft als Belastung und ziehen sich deshalb lieber zurück. Bei der Arbeit konzentrieren sie sich gern ausdauernd auf ein Thema und tanken in aller Stille neue Energie.

Extrovertierte Menschen richten ihre Aufmerksamkeit hingegen eher auf die Außenwelt. Sie „empfinden es als belebend, wenn um sie herum viel passiert.“ Das Radio dudelt im Hintergrund, Handys klingeln, Kollegen schnattern – für Extrovertierte muss das kein Problem sein. „Sie arbeiten tatsächlich besser, wenn es zwischendurch Ablenkung gibt und die Aufgaben schnell wechseln“, sagt Sylvia Löhken.

Unterschiedliche Typen – oft Stress

Nicht nur in der Partnerschaft, wo der eine noch tief in die Zeitung vergraben ist, während der andere schon vor Unruhe platzt, weil er „Action“ braucht, führt dies zu Verdruss. In Unternehmen, wo „Extros“ und „Intros“ gemeinsam im Großraumbüro sitzen, bilden sich teilweise regelrechte Kampfzonen. Kein Wunder. „Ein introvertierter Kollege, der aus seiner Arbeit herausgerissen wird, braucht im Schnitt 20 Minuten, bis er zu seiner Konzentration zurückfindet“, sagt Expertin Löhken. Für den Extrovertierten hingegen bringt die Störung hingegen womöglich sogar einen kreativen Impuls.

„Nur die wenigsten Firmen nehmen bisher aber auf diese Unterschiede Rücksicht“, bemerkt der Hamburger Unternehmensberater Reinhard Ahrens. „Sie verzichten damit auf einen Teil des Potenzials ihrer Mitarbeiter.“ Dass extrovertierte Kollegen es insgesamt leichter haben, Karriere zu machen, liege nicht nur daran, dass sie auch mittelmäßige Ideen als genialen Coup präsentieren können. „Bei ihren Vorgesetzten punkten sie auch, weil sie sich schneller für Projekte begeistern lassen.“

Statussymbole und Prämien

Denn welcher Chef, von den eigenen Vorschlägen berauscht, mag schon gern auf Bedenkenträger hören? Zudem scheinen Extrovertierte eher auf „extrinsische“ (äußere) Belohnungsreize zu reagieren: „Sie sind anfälliger für Statussymbole wie Dienstwagen, größeres Büro oder Prämien und lassen sich leichter lenken als ihre introvertierten Kollegen“, sagt Berater Ahrens.

Fest steht: Die Verschiedenheit steckt seit Urzeiten in uns. Der kontaktfreudige Extrovertierte hat sich im Laufe der menschlichen Evolution gleichermaßen durchgesetzt wie der zurückhaltende Introvertierte. Vielleicht hat gerade die Kombination dieser unterschiedlichen Typen das Überleben der Gruppe gesichert.

„Wichtig ist, sich wechselseitig in seiner Unterschiedlichkeit zu verstehen, die Vorzüge des anderen wahrzunehmen – und davon zu profitieren“, sagt Expertin Sylvia Löhken.

Von einander lernen

Introvertierte Menschen könnten sich beispielsweise den Mut zur Lücke der Extrovertierten abschauen. Muss man wirklich sämtliche Faktoren überprüft haben, um eine gute Entscheidung zu treffen? Auch die Bereitschaft der Extrovertierten, Konflikte anzusprechen und diese nicht, mit schädlichen Wirkungen, still in sich hineinzufressen, ist bei vielen Introvertierten ausbaufähig. Extrovertierten Menschen wiederum täten oft mehr Geduld, Beharrlichkeit und Konzentration gut.

Wenn beide Typen gut zusammenwirken, kann daraus eine Erfolgsgeschichte werden. Sylvia Löhken nennt als Beispiel eine österreichische Großbank, die die Führung ihrer Geschäftsstellen doppelt besetzt hat: Der Vertrieb wird von einer extrovertierten Person gelenkt, Verwaltung und Kreditberechnung von einer eher introvertierten Person. „Im Doppelpack sind sie viel wirksamer als einer allein.“

Ähnlich funktioniere es im Privatleben, sagt Sylvia Löhken. „Wenn die beiden Partner ihre eigenen Bedürfnisse kennen und wissen, wie der andere ‚tickt’, können sie ihre Schwächen gegenseitig ausgleichen und ihre Stärken wechselseitig nutzen. Das ergibt ein starkes Paar.“

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