„Es ist ein sehr tragischer Einzelfall“

Ravensburg sz Die französische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Co-Pilot der verunglückten Germanwings-Maschine mit Absicht einen Absturz in den Alpen herbeigeführt hat, weil er offensichtlich selbst sterben wollte und auch seine Crewmitglieder und die Passagiere an Bord mit in den Tod reißen wollte. Was könnte zu diesem Entschluss geführt haben? Und könnten solche Tragödien in Zukunft vermieden werden? Alexei Makartsev sprach darüber mit der Verhaltenspsychologin Birgit Wagner von der Medical School Berlin.

Lässt sich dieser tragische Fall mit dem psychologischen Fachbegriff „erweiterter Suizid“ beschreiben?

Ja, da der Betroffene andere Menschen in den Tod mitgenommen hat. Allerdings ist eine Tragödie eines solchen Ausmaßes extrem selten. Von einem erweiterten Suizid spricht man normalerweise in Familiensituationen, etwa wenn ein Familienvater seine Ehefrau oder die Kinder mit in den Tod nimmt, weil er das Gefühl hat, es nicht mehr schaffen zu können. Oft sind noch Denkvorgänge mit dabei wie: „Es ist besser, sie sterben mit mir, als wenn sie alleine damit leben müssen“. Es ist aber sehr selten, dass jemand für ihn völlig fremde Personen mit in den Tod nimmt. Das kennen wir eigentlich nur im Zusammenhang mit Terroranschlägen. Dass so etwas ohne eine religiöse oder politische Botschaft dahinter passiert, ist wirklich sehr ungewöhnlich. Deswegen sind ja alle auch so schockiert darüber.

Glauben Sie, dass diese Tat sorgfältig geplant war?

Es ist schwer, sich in diesen Menschen hinein zu versetzen. Ja, aus der Forschung wissen wir, dass Suizide oft sehr konkret und detailliert geplant werden. Aber da ist häufig auch dieses spontane, impulsive Moment dabei. Also wenn es zum Beispiel ein Hochhaus in der Nähe gibt, von dem der Betroffene im Zusammenhang mit Suiziden gehört hat. Oft sind es also zufällige Gelegenheiten, die die Menschen dazu veranlassen, Suizide zu begehen. In diesem Fall lässt es sich noch nicht sagen, ob diese Tat geplant war oder aus einem Impuls heraus geschehen ist. Für eine Diagnose müsste die Polizei oder die Staatsanwaltschaft Bonn etwas über das Privatleben dieser Person herausgefunden haben.

Könnte vielleicht eine Depression dazu geführt haben?

Das ist vorstellbar. Aber man kann nur schwer beurteilen, ob auch eine schwere psychische Erkrankung dahinter steckt. Der Copilot scheint ja im Verhalten wirklich unauffällig gewesen zu sein.

Gerade die Piloten gelten gemeinhin als psychologisch sehr stabil. Überrascht Sie dieser Fall?

Nein, denn Suizide gibt es in allen Berufsgruppen und in allen Verantwortungspositionen. Ich denke also nicht, dass Piloten da eine Ausnahme sind. Natürlich unterzieht Lufthansa sie den psychologischen Tests. Aber wir wissen aus anderen Fällen, dass wenn jemand ein großes Problem hat, welches ihn belastet und wenn er damit zum Psychologen gehen würde, dass er krank geschrieben oder sogar seinen Arbeitsplatz verlieren würde. Darum würde er das vielleicht verheimlichen wollen. Das gibt es in allen Berufen.

Wie es heißt, haben der Copilot und der Kapitän in den Minuten vor dem Unglück normal miteinander gesprochen und gescherzt. Kann man überhaupt eine derart schwerwiegende Suizidabsicht unmittelbar vor der Tat erkennen?

Es gibt dieses Phänomen bei Betroffenen, die Suizid begehen wollen, dass sie gerade in den Tagen davor sehr ruhig sind. Solche Menschen, die in einer psychiatrischen Behandlung sind oder an einer Depression leiden, gehen nicht selten noch zu ihrem Hausarzt oder dem Psychiater und wirken dabei völlig gelassen. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, ein Gefühl, endlich einen Schluss gefasst zu haben. Das hat vielleicht etwas Entlastendes für den Betroffenen. Aber es gibt natürlich einen Unterschied, ob man alleine den Suizid begeht oder solch eine monströse Tat plant, die jenseits aller Vorstellungskraft ist. Das war etwas ganz Spezielles.

Müssen wir jetzt mit einer neuen Angst leben, dass so etwas in der Luftfahrt wieder passieren kann?

Nicht wirklich, denn solche Fälle sind in der Vergangenheit so gut wie nie vorgekommen. Suizide wird es sicher auch weiter bei Piloten geben, aber in einer anderen Form und für sich alleine genommen. Es ist wahrscheinlich so, wie wir es gestern in der französischen Pressekonferenz gehört haben: Es ist ein sehr tragischer Einzelfall.

Es gibt also aus Ihrer Sicht keine Notwendigkeit für die Fluggesellschaften, ihre Auswahlverfahren zu verändern oder neue psychologische Kontrollen einführen?

Ich denke, dass sich das kaum umsetzen lässt. Wie will man die Menschen in psychologischer Hinsicht so umfassend kontrollieren, ohne ganz tief in ihr Privatleben eingreifen zu müssen? Außerdem: Die Betroffenen, die zu solchen Taten in der Lage sind, werden auch Ärzte oder Psychologen täuschen können. Bei alldem sollte man natürlich schauen, ob sich jemand auffällig verhält oder depressiv wirkt. Ein Alarmsystem muss solche Fälle erkennen können. Und das gibt es auch bei den Airlines.

Info: Birgit Wagner ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Medical School Berlin. Ihre Forschungs- und Therapieschwerpunkte sind die Traumafolgestörungen, insbesondere die komplizierte Trauer und internetbasierten Psychotherapie. Sie ist im Beirat des Bundesverbandes Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.

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