Einzelkritik: Psychologie, Ein- und Ausfälle

Diego Benaglio

Der Keeper zeigte eine sehr auffällige Partie. Das lag aber mehr am neuen Outfit als an seiner durchschnittlichen Leistung: Muss sich die Frage gefallen lassen, warum er beim Eckball, der zum 1:1 führte, auf der Linie wie angewurzelt stehen blieb. Über sein Trikot im psychedelischen Design hatten sich im Vorfeld Mode- und Stil-Experten gewundert, Psychologen hatten das im Brustbereich an eine Zielscheibe gemahnende Muster als implizite Aufforderung des Schützen interpretiert, genau dorthin zu zielen. Dumm nur, dass sich Doppel-Torschütze Ivica Olic nicht daran hielt und beide Male die Ecke anpeilte. Der versteht wohl nichts von Psychologie.

Stephan Lichtsteiner

Auch der Juventus-Star war eine der auffälligen Figuren im Schweizer Spiel. Oft im Positiven: Über die rechte Seite mit Lichtsteiner und Shaqiri lief die Mehrzahl der Schweizer Angriffe. Hatte seine stärkste Szene, als er sich in der 20. Minute hinter die kroatische Abwehr schlich und dort ein magistrales Zuspiel von Inler erlief, wie er das im Klub mit den Pässen von Pirlo tut. Negativ fiel er vor dem 2:2 auf, als er von Torschütze Olic schlicht und ergreifend überlaufen wurde. Im Gegensatz zu Kollege Benaglio hat er als Feldspieler keine Chance, mit wild gemusterten T-Shirts Einfluss auf die Psyche des Gegners zu nehmen.

Steve von Bergen

Bleibt der meist unterschätzte Schweizer Internationale. Dank seiner Schnelligkeit und seiner Spielintelligenz meistens schon am richtigen Ort, bevor der Ball dort ist. Der YB-Abwehrpatron ist neben Pirmin Schwegler der einzige Schweizer Feldspieler im Aufgebot, der noch nie ein Länderspiel-Tor erzielt hat. Er blieb davon auch gestern meilenweit entfernt, aber leitete mit einem 60-Meter-Pass auf Josip Drmic das 2:1 ein. Erstaunlich für den defensivsten Schweizer Feldspieler, der selten Pässe spielt, die mehr als drei Meter Raumgewinn ergeben.

Johan Djourou

In der Innenverteidigung das passende Gegenstück zum eher klein gewachsenen, dafür flinken Steve von Bergen. Stark im Stellungsspiel und mit einer grossen Ruhe am Ball hat sich der lange Romand eindrücklich in der Nati zurückgemeldet. Hatte in 90 Minuten nur einen Aussetzer, nämlich vor dem 1:1: Wie sich Djourou und Kollege Von Bergen beim Eckball, der zum ersten Tor von Olic führte, von ihren Gegenspielern Jelavic und Lovren aus dem Weg räumen liessen, darf eigentlich nicht passieren.

Ricardo Rodriguez

In Wolfsburg ist der Linksverteidiger auch offensiv eine fixe Grösse. In der Nationalmannschaft spielt er eine defensivere Rolle, auch weil hier für die Standardsituationen andere zuständig sind. Ordentliche 90 Minuten, aber über die linke Seite lief deutlich weniger als über rechts.

Valon Behrami

Ist traditionell der erste, der ein verdrecktes Trikot hat, und das ist auf seiner Position ein gutes Zeichen. Der Neapolitaner machte die Drecksarbeit, gewann einmal mehr viele Zweikämpfe im defensiven Mittelfeld und hielt Nebenmann Inler den Rücken frei für offensive Aktionen. Wie wichtig Behrami für diese Mannschaft ist, wird immer dann klar, wenn er nicht mehr auf dem Feld steht. Doch die Gefahr, dass ihn Ottmar Hitzfeld auch in Ernstkämpfen ohne Not auswechselt, besteht nicht.

Gökhan Inler

Der letzte Satz stimmt so auch für den Captain. Die 60 Minuten, die Inler am Mittwoch spielte, gehören zu den besseren, die er in seinen mittlerweile 71 Länderspielen bestritten hat. Seine Unnachgiebigkeit im Zweikampf-Verhalten ist nichts Neues, dazu kamen einige Genie-Streiche: Sein Tunnel gegen Males in der 5. Minute gehört dazu wie sein Pass auf Lichtsteiner nach 20 Minuten und seine präzise Flanke auf Drmics Stirn nach einer guten halben Stunde. Eher nicht in diese Aufzählung passt sein einziger Torschuss.

Xherdan Shaqiri

Schaffte es irgendwie, seine Muskelpakete im hautengen neuen Nati-Shirt unterzubringen und bestritt so seine erste Halbzeit nach einer Muskelzerrung. Obwohl sichtlich mit angezogener Handbremse unterwegs, war er eine Halbzeit lang ein steter Unruheherd und gefiel mit Dynamik und Spielwitz. In einer Reihe von unverzichtbaren Spielern (Rodriguez, Lichtsteiner, Inler, Behrami) der Unverzichtbarste.

Granit Xhaka

Die mittlerweile 18-monatige Lehre bei Lucien Favre in Mönchengladbach zeigt Wirkung. Interpretierte seine Rolle als Nummer 10 sehr flexibel und verrichtete auch sehr viel Defensivarbeit. Seine offensiven Aktionen blieben zu oft im Ideenstadium, sei es, weil die Kollegen zu spät oder die gegnerischen Verteidiger zu früh auf seine Einfälle reagierten.

Valentin Stocker

Als er am Montag auf das letzte Testspiel angesprochen wurde, ein durch Jetlag geprägtes 1:2 in Südkorea, erwiderte er lächelnd, in St. Gallen gegen Kroatien sei die Zeitverschiebung wohl kein Problem. War im linken (oder rotierend im zentralen) Mittelfeld mitverantwortlich, dass fast jede gefährliche Schweizer Aktion über rechts lief. Die Sonne geht in St. Gallen rund 5 Minuten früher auf als in Basel – vielleicht lag’s ja doch am Jetlag.

Josip Drmic

Antrittsschnell, laufstark, kämpferisch, torgefährlich – so muss das Bewerbungsschreiben eines Stürmers aussehen. Die Lebensversicherung des 1. FC Nürnberg (an mehr als 50 Prozent der Tore direkt beteiligt) schaffte es im fünften Länderspiel, endlich mehr internationale Tore zu haben als Vokale im Familiennamen. Bis dato hatte Ottmar Hitzfeld stets Haris Seferovic als seinen «komplettesten Stürmer» bezeichnet. Vielleicht hat der Nationaltrainer seine Meinung nach dem Doppelpack gegen Kroatien geändert.

Pirmin Schwegler

Der Captain von Eintracht Frankfurt durfte nach der Pause für Gökhan Inler aufs Feld und verbrachte 45 diskrete Minuten. Blieb auch in seinem 14. Länderspiel den Nachweis schuldig, eine valable Alternative zum Mittelfeld-Puncher der SSC Napoli zu sein.

Admir Mehmedi

Es gibt wohl keinen undankbareren Job im Schweizer Fussball, als für Xherdan Shaqiri eingewechselt zu werden. Kämpfte und rannte 45 Minuten lang ohne je einen Wirkungstreffer zu landen.

Michael Lang

Kam nach einer Stunde für Stephan Lichtsteiner und lieferte einmal mehr eine solide, fehlerfreie Leistung ab. Dass er ein tauglicher Backup für Lichtsteiner ist, wusste man schon vorher.

Blerim Dzemaili

Steht in Neapel hinter Gökhan Inler an und tut dies auch in der Nationalmannschaft. Durfte nach einer Stunde für den Captain ran, war fleissig, laufstark, versuchte etwas. Defensiv untadelig, ohne dem erlahmenden Schweizer Offensivspiel neue Impulse verleihen zu können.

Mario Gavranovic

Ein Strafraumstürmer ohne Strafraumszene. Das lag aber nicht am FCZ-Knipser, sondern auch an seiner Aufgabe. Kam zehn Minuten vor Schluss für Xhaka und blieb als hängende Spitze hinter Josip Drmic ohne Einfluss aufs Schweizer Offensivspiel. Dieses war im Laufe der in Testspielen üblichen Wechselorgie schon längst auf der Strecke geblieben und konnte auch von ihm nicht wiederbelebt werden.

Tranquillo Barnetta

Der St. Galler kam zehn Minuten vor Schluss für Stocker und wurde vom heimischen Publikum mit warmherzigem Applaus empfangen. Das blieb der Höhepunkt seines Wirkens.

Leave a Reply