Einander ernst nehmen

18.05.2012 - (idw) Philipps-Universitt Marburg

Die Marburger Arbeitsgruppe Sozialpsychologie hat eine Stellungnahme zu den jngsten Vorkommnissen bei den Relegationsspielen der Fuball-Bundesliga erarbeitet. Darin betonen die Fachleute von der Philipps-Universitt, dass es zur Identifikation von Fans mit ihrem Verein gehre, Gefhle auszuleben und zur Schau zu stellen. Die Psychologen um Gruppenleiter Professor Dr. Ulrich Wagner empfehlen, einen mglichst breiten Konsens aller Beteiligten darber herzustellen, wo die Grenzen zulssiger Ausdrucksformen von Emotionen liegen.
Die Ereignisse bei den Relegationsspielen in Karlsruhe und Dsseldorf um den Aufstieg in die zweite beziehungsweise erste Fuball-Bundesliga haben einer anhaltenden Diskussion neue Nahrung geboten, schreiben die Wissenschaftler. Wie schon in der Vergangenheit, bewegt sich diese Diskussion weitgehend in pauschalen Vorwrfen und Ausgrenzungen. Diejenigen, die in Dsseldorf vor dem Schlusspfiff auf den Platz gelaufen sind und den vermeintlichen Sieg feiern wollten, werden gleichermaen als Randalierer und Chaoten bezeichnet wie diejenigen, die zuvor Bengalische Feuer und Feuerwerkskrper auf Spieler und Zuschauer geworfen haben. Eine solche Pauschalisierung ist ungerecht und fr den Fuball gefhrlich, weil sie zu Frustrationen und weiteren Eskalationen beitrgt, fhren die Autoren aus. Statt pauschaler Vorwrfe seien Ursachenanalysen gefragt, die ein Gegensteuern ermglichen.

Massensport lebt von der Identifikation der Fans mit ihren Vereinen, heit es in der Stellungnahme weiter. Mit dem eigenen Verein Freud und Leid zu erleben, gehre im Wortsinn zur Identitt der Fans: Aus psychologischer Sicht beinhaltet das zu akzeptieren, dass Emotionen ausgelebt und vorgefhrt werden knnen auch wenn die damit verbundenen Ausdrucksformen nicht jedermann gefallen. Das bedeute aber auch, klare und nachvollziehbare Grenzen zu setzen.

Abstrakt werden sich Fuballverantwortliche und Sicherheitskrfte mit den meisten Fangruppen schnell einig werden, dass Gewalt nicht zu akzeptieren ist, erklren die Psychologen. Wenn es aber darum gehe, genau festzuhalten, was unter Gewalt zu verstehen sei, gebe es sehr unterschiedliche Perspektiven: Vereinsbergreifend war vor Beginn der ablaufenden Spielzeit eine Fan-Initiative mit dem Deutschen Fuballbund DFB in Kontakt getreten, um den Einsatz von Pyrotechnik unter kontrollierten Bedingungen zu legalisieren. Der Verband hatte gefordert, dass die Fangruppen zunchst freiwillig auf das Abbrennen von Bengalos verzichten sollen, berichten die Verfasser. In den Fankurven wurde dies zumindest aus Sicht vieler Fans weitgehend eingehalten. Die in Aussicht gestellten Gesprche blieben aber aus. Ein solches Vorgehen wirkt nicht deeskalierend. Stattdessen msste bei allen Beteiligten gerade ber die Grenzen zulssiger Ausdrucksformen von Emotionen ein mglichst breiter Konsens geschaffen werden. Das wrde den Wissenschaftlern zufolge dann auch dazu beitragen, dass Fangruppen Abweichler von sich aus strker kontrollieren wrden.

Wenn Fans sich mit ihren Vereinen identifizieren, bedeutet das auch, dass sie einen Einfluss darauf haben wollen, was mit und in ihrem Verein geschieht, lautet ein weiterer Befund der Marburger Sozialpsychologen. Die Struktur der deutschen Vereine sehe vor, dass die Mitglieder Mitspracherecht bei der Entwicklung ihrer Vereine haben. Dennoch werden die Bemhungen mancher Fangruppen um Mitsprache von den Vereinen und der ffentlichkeit oft als Bedrohung dargestellt. Die Interessen der organisierten Fans und der Vereinsfhrung gehen sicherlich an einigen Stellen auseinander auf der einen Seite eine starke Tendenz zum Fuball als Event und zur Kommerzialisierung, auf der anderen Seite die Forderung nach Stehpltzen, gnstigen Ticketpreisen und Fanarbeit. Viele Fans shen sich hier mit einer Entwicklung im Fuball konfrontiert, die fr sie nicht mehr nachvollziehbar sei. Die Nicht-Beteiligung und mangelnde Mitbestimmung und die zunehmende Entfremdung der Vereinsfhrungen und Spieler von ihren Fans fhren zu Frustrationen, die sich in Gewalt niederschlagen, konstatiert die Arbeitsgruppe.

Fuball, Vereine und Fans brauchen einander, resmieren die Wissenschaftler. Fans sind mehr als Kufer von immer teurer werdenden Eintrittskarten und Merchandise-Produkten. Sie sind diejenigen, die in den Stadien fr Stimmung sorgen. Oft bilden sie die einzige Konstante, whrend Spieler, Trainer und Stadionnamen dauernd wechseln. Die Gefahr sei gro, dass die Ereignisse bei den beiden Relegationsspielen in Zukunft mehr und mehr gewaltttige Nachahmer fnden. Wir fordern dazu auf, ernst, intensiv und dauerhaft auf Augenhhe miteinander zu verhandeln, erklrt das Psychologenteam abschlieend. Pauschale Ausgrenzungen sind zu unterlassen. Und: Die Vereine und der deutsche Fuball insgesamt mssen sich die Frage stellen, ob sie ausschlielich der Maxime der Kommerzialisierung und Gewinnmaximierung folgen wollen, oder ob sie auch noch andere Ziele haben.

Die Arbeitsgruppe Sozialpsychologie am Fachbereich Psychologie der Philipps-Universitt beschftigt sich in Lehre und Forschung schwerpunktmig mit Konfliktforschung.

Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Ulrich Wagner,
Arbeitsgruppe Sozialpsychologie
Tel.: 06421 28-23664
E-Mail: wagner1@Staff.Uni-Marburg.de
Internet: http://www.uni-marburg.de/fb04/team-wagner

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