Ein Skipper muss kein Diktator sein – FAZ

Seit Monaten kämpfen die Weltumsegler um den Titel der Titel. Etappe für Etappe. Es handelt sich auch um eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Wenn es nicht läuft, ist das Unglück manchmal unabwendbar. Aufgrund einer Unachtsamkeit in der Kursberechnung knallte im November die Vestas-Yacht inmitten des Indischen Ozeans auf ein Riff – das Ende aller Ambitionen.

Michael Ashelm



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Keine Crew beim Volvo Ocean Race ist bisher von Rückschlägen verschont geblieben: taktische Fehlentscheidungen, Mastbruch, Wetterkapriolen, miese Stimmung an Bord. „Alle schlechten Dinge müssen ganz schnell aus dem Kopf. Es geht immer wieder um morgen, eine neue Chance, Vollgas und die positive Ausrichtung nach vorne“, sagt Bouwe Bekking.

Ausgeschlossen ist nichts

Der Niederländer ist der erfahrenste Skipper im Feld, seit fast dreißig Jahren dabei. Aber noch nie konnte er gewinnen. Seit diesem Sonntag, wenn die Rennyachten vom amerikanischen Newport aus das schwere Teilstück über den Atlantik nach Lissabon navigieren, will der Seebär mit seinem Team Brunel noch einmal angreifen. Sie liegen auf dem dritten Platz. Theoretisch könnte Bekking auf den verbleibenden drei Etappen bis zum Ziel in Göteborg sogar noch auf Siegkurs kommen, wenn er immer schneller ist als die anderen und die vor ihm liegende Konkurrenz (Dongfeng sowie Team Abu Dhabi) Aussetzer hat. Ausgeschlossen ist hier nichts. Doch die Regatta ist mehr als ein extremes Rennen zwischen den besten Seglern der Welt: ein Testlabor der Psychologie, für Methoden aus dem Führungskräfte-Coaching von Wirtschaftsmanagern.

Teamcoach Anje-Marijcke van Boxtel beschäftigt sich seit fast zwei Jahren mit der Crew von Bekking. Sie ist Direktorin der Personalberatung „Schouten Global“ aus den Niederlanden und sollte von Beginn an wichtige Führungsaspekte aus der Wirtschaft in dem Team einbringen. Das war nicht einfach - gerade im Segeln. „Dieser Sport ist sehr konservativ. Und so ist auch die Distanz zwischen dem Skipper, der über alles entscheidet, und der restlichen Crew wesentlich größer“, sagt Anje-Marijcke van Boxtel.



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Teamarbeit ist auf einem Segelboot überlebenswichtig

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Um die Extrembedingungen über Monate, bedrohliche Situationen, die Enge an Bord, Enttäuschungen oder persönliche Ängste besser zu kontrollieren und auch gerade den Bedürfnissen der jüngeren, wesentlich unerfahreneren Seglern zu entsprechen, sollte eine zeitgemäße, in höchstem Maße kommunikative Entscheidungskultur eingeführt werden.

Das Ziel: Die Distanz zwischen dem üblicherweise allmächtigen Skipper und der Mannschaft musste kleiner werden, ohne die Autorität des Chefs an Bord zu kippen. „Das geht natürlich nur, wenn der Skipper zur Selbstreflexion fähig ist. Aber Bouwe Bekking hat voll mitgezogen und sich geöffnet.“ Zu jedem Zwischenstopp flog die Spezialistin Anje-Marijcke van Boxtel ein, coachte die Segler individuell. Das ist neu für diese Regatta, die bislang immer eng mit dem Image kerniger, aber auch allmächtiger Skipper verbunden war, die oft mit militärischem Drill die Entscheidungen an Bord durchgesetzt haben.

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Das hat sich geändert. Eine neue Philosophie sollte diesmal eingebracht werden. Das liegt auch am Teampartner Brunel, einem weltweit tätigen Ingenieurs-Dienstleister. Der Hauptsponsor hat eine hohe Affinität zu Technologie und zum Wissenstransfer von Experten. Für die Teambetreuerin der Segelcrew stand von Beginn an fest, dass auch bei Sportmannschaften wie in Unternehmen Transparenz vorherrschen muss. Jeder an Bord sollte in die Strategie des Skippers einbezogen werden. Hier war ein Umdenken notwendig. „Segler reden normalerweise nicht viel. Für mich ging es also darum, eine Kommunikation in Gang zu bringen. Jeder muss für den anderen ein Ohr haben, damit Probleme besprochen und gelöst werden können“, sagt Anje-Marijcke van Boxtel.

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