Ein Psychologie-Professor zwischen Hörsaal und Bühne – saarbruecker

Saarbrücken.
Stroboskop-Licht flackert, Nebelmaschinen lassen die Bühne im Nichts verschwinden, trocken stampft der Beat, dumpf hallen die Synthies. „Seabound“-Sänger Frank Spinath greift das Mikrofon: „I’m a happy man, I’m a dead man, I am what I am“. Düsteres Pathos liegt in den Zeilen. Das Publikum jubelt, Spinath wiegt den Kopf im Rhythmus. Er mag es, die Kraft der Musik auf sein Publikum zu übertragen. Eine Kraft, die sich mehr aus der Dunkelheit als aus dem Licht speist. Für all jene, die am Ostersonntag in den bunkerartigen Club in die britische Industriemetropole Sheffield gekommen sind, ist es genau das, was sie suchen. Launigen Mitklatsch-Pop gibt es hier, beim „Resistanz Festival“, nicht.

Szenenwechsel. Gestern auf dem Campus der Universität des Saarlandes: Ein Mittvierziger betritt den Hörsaal in Gebäude B2.1 und begrüßt die Studenten zur „Einführung in die Differentielle Psychologie“. Es ist der Leiter des Lehrstuhls: Prof. Dr. Frank M. Spinath – seit der Show in Sheffield sind keine 72 Stunden vergangen.

Es ist das Prinzip des Kontrasts, das diese Geschichte so charmant macht: Der „Herr Professor“, der in zweiter Identität als Grufti-Musiker durch die Lande zieht – das gibt es, nun ja, nicht alle Tage. Spinath weiß um sein Alleinstellungsmerkmal. Als er 2004 34-jährig den Ruf an die Saarbrücker Uni erhielt, wollte er über sein Hobby erst nicht sprechen. „Mittlerweile wissen es wohl alle Kollegen“, sagte er. Grund, sich zu verstecken hat Spinath wahrlich nicht: In der Fachwelt genießen seine Zwillingsstudien hohes Ansehen, Studenten und Kollegen schätzen seine unprätentiöse Art, die Unileitung seine erfolgreiche Drittmittel-Einwerbungen. Warum also nicht offensiv mit dem exotischen Hobby umgehen?

Zum Interview lädt Spinath in sein Büro auf den Campus. Neben dem Schreibtisch ist eine kleine Studioecke mit Mikrofonen, Kopfhörern und Aufnahmetechnik eingerichtet. „Die Liebe zur Musik war immer da“, sagt er. Schon als Kind habe er sich auf der Schaukel mit erfundenen Melodien in Trance gesungen, später die Begleitautomatik der elterlichen Farfisa-Orgel an ihre Grenzen gebracht. Als Jugendlicher dann die ersten Wegmarken: Spinath merkt, dass ihm der unterkühlte Sound eines Gary Numan viel näher ist als der allgegenwärtige der Iren von U2.

Wie er da vor einem sitzt, sympathisch und aufgeräumt plaudernd, mag man sich kaum vorstellen, dass diesen Mann manchmal der Blues erwischt, dass er dann abends, wenn Studenten und Doktoranden weg sind, die Musik-Dateien, die ihm Seabound-Partner Martin Vorbrodt geschickt hat, auf den Rechner lädt, sich in die brodelnden Klänge vertieft, in seinem Notizbuch nach passenden Zeilen sucht und dann voller Inbrunst Texte in die Nacht singt, die tief in die menschliche Psyche blicken lassen. Manchmal, sagt er, könne es dann passieren, dass er erst spät in der Nacht nach Hause zu Frau und den beiden Kindern komme.

Ja, einen Hang zum Morbiden, den habe er, sagt Spinath. „Für mich war der Vampir schon immer der interessantere Held.“ Folgt man ihm, liegt in der „Faszination am Menschlichen“ mit all seinen Abgründen auch die Verbindung zur beruflichen Biografie: Als Psychologe untersucht Spinath Einflüsse von Erbanlagen und Umwelt auf den Charakter, als Musiker nähert er sich dem menschlichen Innenleben auf poetischen, verschlungenen Pfaden.

Seabound ist nur eines von drei Duo-Projekten Spinaths, aber das älteste und erfolgreichste. 1995 hob er es als Bielefelder Student – inspiriert von der Electronic-Body-Music, einer eher härteren Spielart der elektronischen Musik – zusammen mit Vorbrodt aus der Taufe. Mittleweile sind die beiden mit 30?000 verkauften CDs und über 100 Live-Shows weltweit eine feste Szene-Größe. Im Februar erschien ihre vierte Studio-CD „Speak in storms“ – ein pulsierendes Electronic-Album mit dichten Sound-Strukturen und starken Melodien, das sich seit Wochen an der Spitze der German Electronic Webcharts hält. Zusammen mit Drummer Daniel Wehmeier stellen Spinath und Vorbrodt die neuen Stücke derzeit auf einer Europa-Club-Tour vor, die sie am Samstag zum Abschluss ausgerechnet nach Saarbrücken führt – eine Premiere. Und ein Wagnis? Immerhin könnte der ein oder andere Lehrstuhl-Mitarbeiter auf die Idee kommen, dem Chef beim Rocken zuzusehen. „Im Gegenteil“, sagt Spinath. „Ich würde mich freuen.“

Seabound: Speak in storms (Dependent/Alive).

Saarbrücker Konzert am Samstag, 20 Uhr, Kleiner Klub der Garage, Infos und Tickets: www.garage-sb.de

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