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«Ein Kind, das sich mehr zutraut, kann auch mehr»

Der IQ steigt bei Kindern mit hoher seelischer Widerstandskraft. Kinderpsychologe Klaus Fröhlich-Gildhoff erforscht, wie man bei Kindern und Jugendlichen die sogenannte Resilienz fördern kann.

Kinder aus christlichen Gemeinschaften waren deutlich weniger traumatisiert: Opfer des Hurrikans Katrina (2005). Foto: Keystone

Kinder aus christlichen Gemeinschaften waren deutlich weniger traumatisiert: Opfer des Hurrikans Katrina (2005). Foto: Keystone

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Der 58-Jährige ist seit 2002 Professor für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Evangelischen Hochschule Freiburg im Breisgau.

Resilienz

Resilienz umfasst eine grosse Palette von Fähigkeiten, die seelische Widerstandskraft verleihen. Resiliente Menschen lassen sich von Schwierigkeiten nicht entmutigen oder brechen, sondern nehmen Herausforderungen an – und zeigen oft bessere Leistungen als andere. (ked)

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Kinder im Chaos: Wachsen sie unter Katastrophenbedingungen auf, werden sie vernachlässigt oder stehen sie unter Erwartungsdruck, zerbrechen manche Kinder. Andere hingegen kämpfen sich frei. Sind sie das, was man resilient nennt?
Jeder Primarschullehrer kann bei den Kindern solche Unterschiede im Umgang mit Herausforderungen und Krisen beobachten. Und diese Unterschiede sind entscheidend fürs ganze Leben. Darum kümmert sich die Forschung seit einiger Zeit intensiv um ein Verständnis dieser Stehaufmännchen-Qualität.

Der bekannte Psychiater und Resilienzforscher Boris Cyrulnik erzählt in «Rette dich, das Leben ruft» von seiner «zweiten Geburt» – in jener Nacht, als er den Nazis in die Hände fiel. Er beschreibt, wie er als jüdisches Waisenkind überlebte.
Cyrulniks Lebensgeschichte wird gern als Paradebeispiel für den Effekt gut entwickelter Resilienz angeführt, auch von ihm selbst. Seelische Widerstandskraft ist eine Ressource, die man kaum überschätzen kann. Mittlerweile hat man das verstanden: Resilienz wird sogar wie ein Allheilmittel gehandelt, in der Kinderkrippe, der Schule und im Elternhaus ebenso wie in Einrichtungen für jugendliche Extremtäter oder im Managerseminar. Es gibt in den Humanwissenschaften einen Paradigmenwechsel: weg von der Defizit-, hin zur Ressourcenorientierung. So fragt man im Gesundheitssystem: Wie hält man die Menschen gesund, wie macht man sie seelisch und physisch widerstandsfähig? Statt sie erst zu behandeln, wenn sie krank sind. Und in der Pädagogik stellte man fest, dass es nicht sinnvoll ist, sich nur auf die Kognition zu konzentrieren, sondern dass sozial-emotionale Kompetenzen genauso wichtig sind – zu denen wesentlich die Resilienz zählt.

Was halten Sie von dem Trend?
Es besteht die Gefahr, dass ein neuer Machbarkeitsmythos herangezüchtet wird, nach dem Motto: Lasst uns die Menschen resilient machen – dann funktionieren sie besser und beschweren sich nicht, wenn sie ausgebeutet oder ausgemustert werden. Doch Resilienzforschung ist primär kein gesellschaftliches Zurichtungsvehikel. Im Gegenteil, sie belegt auch, wie wichtig Gemeinschafts- und Solidaritätserfahrungen für die Ausbildung einer resilienten Persönlichkeit sind. Wir sprechen von «Community Resilience». Nach dem Hurrikan Katrina etwa zeigten sich jene Kinder und Erwachsene, die in christliche Gemeinschaften eingebettet waren, deutlich weniger traumatisiert als die anderen.

Aber Traumabewältigung interessiert die Schulen weniger als Pisa-Ergebnisse und Rankings.
Leider ja. Dass man sich dennoch Resilienzförderung wünscht, liegt daran, dass Systeme mit solcher Förderung in den Rankings besser abschneiden, etwa Finnland und Schweden. In diesen Ländern wird von Anfang an auf die individuellen Stärken des einzelnen Kindes geachtet. Es wird in seinen Bewältigungsstrategien unterstützt, statt immer an seinem Noch-nicht-Können anzusetzen. Und die Ergebnisse sprechen für sich. Ich kann aus eigener Forschungs­erfahrung bestätigen, dass schwedische Kinder selbstsicherer und fähiger sind, ihre sozialen und akademischen Lernprozesse selbst zu steuern. Einfach ausgedrückt: Sie trauen sich mehr zu.

Ist zu viel Lob nicht auch kontraproduktiv?
Vom gezielten, angemessenen Lob können Kinder nicht genug bekommen. Nur selbstsichere Kinder können sich gut in Gemeinschaften orientieren. Man muss jene Kompetenzen stärken, die seelische Gesundheit fördern: angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung; die Fähigkeit, die eigenen Gefühle regulieren zu können; die Erwartungshaltung, dass das eigene Handeln etwas bewirkt. Resiliente Kinder können eher realistische Lösungswege finden als unsichere. Sie glauben an sich, aber sie holen wenn nötig auch Hilfe. Kurzum, es stimmt schon: Wer sich mehr zutraut, kann auch mehr.

Wie messen Sie das?
In Deutschland gehe ich mit meinem Team in Schulen und Kinderkrippen mit Programmen, die 18 Monate dauern. Dazu machen wir Vergleiche mit einer Kontrollgruppe ohne Resilienzprogramm. In der Zeitspanne steigen bei den geförderten Kindern nicht nur – wissenschaftlich erfassbar – Selbstsicherheit und Problemlösungskompetenz, sondern auch Entwicklungskennwerte wie der IQ. Nachkontrollen ergaben, dass diese Resultate über Jahre bestehen bleiben, sofern die Einrichtung ihre ­Resilienzförderung beibehält.

Was müssen Krippen und Schulen tun?
Zunächst muss die Frage lauten: Was müssen oder können Eltern tun? Für die Resilienzentwicklung ist das Erleben einer stabilen, wertschätzenden, Halt gebenden Beziehung am bedeutendsten. «You need someone who is crazy about you», so formulierte es unlängst eine US-amerikanische Forscherin. Es geht also um eine Beziehung, die dem Kind vermittelt, dass es in Ordnung ist; dass seine Wünsche und Bedürfnisse geachtet werden, selbst wenn nicht alles erfüllt wird. Die Schlüsselwörter lauten: Sicherheit und der Glaube an die Fähigkeit, Dinge bewirken zu können.

Wann ist ein Kind sicher gebunden?
Wenn es in einer Krisensituation zu dieser Person kommt und um Hilfe bittet. Unsicher gebundene Kinder versuchen, überautonom zu sein, alles allein hinzukriegen; oder aber sie verzweifeln sehr schnell. Kinder brauchen einen verlässlichen Ansprechpartner, einen «Ich bin da»-Menschen. Optimalerweise die Eltern – aber es kann auch eine andere stabile Bezugsperson sein: eine Grossmutter, ein Nachbar, eine Erzieherin oder Lehrerin. Eine solche Figur kann entscheidend sein für die Zukunft eines Menschen. Daher fordere ich die Professionalisierung der Resilienzförderung.

Hat die Schule die Möglichkeiten für solche Zusatzleistungen?
In den Kindertageseinrichtungen ist viel passiert. Man hat verstanden, dass die Interaktionsqualität zwischen Kind und Betreuungsperson ein, wenn nicht der essenzielle Faktor für die Entwicklung des Kindes ist. An den Schulen ist es schwieriger. In der Lehrerausbildung gibts zu viel Fachdidaktik, zu wenig Pädagogik und Psychologie. Und wir stellen fest, dass Lehrer oft erst Unterstützung holen, wenn das Kind, bildlich gesprochen, in den Brunnen gefallen ist.

Was machen Sie an Schulen?
Wir helfen Lehrern, die Kinder bei ihren Stärken zu packen; wir unterstützen die ressourcenorientierte Zusammenarbeit der Institution mit Kindern und Eltern. Dass dabei meist auch das Arbeitsklima verbessert wird, ist ein schöner Nebeneffekt. Ein Beispiel: Eine Drittklasslehrerin erzählte mir, dass sie nun völlig anders ans Gedichtelernen herangehe. Früher bewertete sie Korrektheit, Intonation und Ausdruck. Heute fragt sie das Kind, wie es ihm beim Aufsagen gegangen sei; ob es stolz sei, den Auftritt gemeistert zu haben; ob es sich vorstellen könne, wie sich die anderen bei ihrem Auftritt gefühlt hätten. So stärkt sie das Vertrauen in die eigene Leistung und die Empathiefähigkeit des Kindes.

An der Primarschule ist das machbar. Aber später?
Grundsätzlich sollte es gehen. Leider ist noch viel zu tun. Die Gymnasien in Deutschland rufen nach Unterstützung durch Sozialarbeiter, 50 Prozent der Eltern fühlen sich als Erziehungsberechtigte verunsichert, was auf die Kinder ausstrahlt. Und die Fixierung auf akademischen Erfolg in den klassischen Schulfächern ist kontraproduktiv: Sie führt zu schlechteren Leistungen bei den unter Druck stehenden, verängstigten Kindern.

Sie haben auch mit jugendlichen Straftätern gearbeitet. Sehen Sie hier ein Versagen der Gesellschaft?
So würde ich das nicht sagen. Aber diese Jugendlichen haben keine stabilen Beziehungsmuster erfahren. Darum reproduzieren sie ständig ihre Grundeinschätzung: «Es gibt niemanden für mich.» Sie bestätigen durch ihr Fehlverhalten ihre Ur-Unsicherheit. Die gute Nachricht der Resilienz- und Psychotherapieforschung ist: Man kann die innere Umstellung wirkungsvoll unterstützen. Das lässt sich sogar anhand von Veränderungen in Gehirn und Hormonhaushalt nachweisen.

Wie wird ein jugendlicher Delinquent gefestigt?
Als professioneller Beziehungspartner muss man stets positive Inputs geben, verlässlich sein, so schwer es auch fällt angesichts der Provokationen. Eine solche Betreuung ist entsetzlich anstrengend; man macht sie vielleicht zwei- oder dreimal im Leben. Aber es lohnt sich nachweislich: Die Erfolgsquote bei Jugendlichen, die sich eigentlich geradewegs auf dem Weg in den Knast oder in die Prostitution befanden, beträgt 70 Prozent. Dagegen beläuft sich die Rückfallquote nach dem Jugendarrest auf 85 Prozent.

Ist eine Rundumbetreuung wie im Fall Carlos – wo man sie eben abgebrochen hat – der richtige Weg?
Absolut. Die geschlossene Unterbringung hat nur in Ausnahmefällen Erfolg. Und ein erwachsener Krimineller kostet die Gesellschaft viel, viel mehr als ein solch zeitlich beschränktes Setting. Aber am wichtigsten ist es, durch die frühe Resilienzförderung ein Abgleiten in seelische Krankheit oder die Kriminalität zu verhindern.


Klaus Fröhlich-Gildhoff u. a.: «Resilienz», UTB, aktualisiert 2014. 100 S., ca. 20 Fr.

Boris Cyrulnik: «Rette dich, das Leben ruft!». Aus dem Französischen von Hainer Kober. Ullstein, 2013. 280 S., ca. 34 Fr. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 23.06.2014, 23:47 Uhr


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