Ein guter Riecher – Tages

Obwohl wir es im Alltag kaum merken, beeinflussen Gerüche unsere Entscheidungen und Emotionen. Wohlriechende Düfte verführen uns, während Gestank uns vor Gefahren warnt. Bestimmte Gerüche können uns aber auch das Gefühl von Geborgenheit vermitteln oder Erinnerungen in uns wachrufen. «Kaum einer weiss, wie viel Macht Gerüche über uns haben und wie gut wir diese wahrnehmen», sagt der Duftforscher Andreas Keller von der Rockefeller University in New York.

Bisher nahm man an, dass der Mensch 10'000 Düfte voneinander unterscheiden kann. Ein Trugschluss, wie sich nun herausstellt. Denn die Nase kann eine viel grössere, geradezu unvorstellbare Fülle an Gerüchen auseinanderhalten. Wie Keller gemeinsam mit Kollegen in New York und Paris nun in einer Studie in der Fachzeitschrift «Science» berichtet, liegt diese Zahl sogar um ein paar Zehnerpotenzen höher – bei mehr als einer Billion.

Empfindlicher als das Auge

In der Nasenschleimhaut binden Geruchsstoffe an Rezeptoren der Riechzellen und lösen dort Nervensignale aus. Die Nase ist mit ihren rund 400 verschiedenen Duftrezeptoren ein viel empfindlicheres Sinnesorgan als etwa das hochkomplexe Auge, das nur über drei verschiedene Farbrezeptoren verfügt und dementsprechend weniger Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Rezeptoren zur Verfügung hat.

«Wir haben jetzt im Experiment erstmals nachgewiesen, dass der Geruchssinn bislang unterschätzt wurde», erklärt Keller. Der Mensch könne nämlich viel besser riechen als sehen. Und dies, obwohl er sogar in der Lage sei, ein paar Millionen Farben voneinander abzugrenzen. Im akustischen Bereich seien es dagegen deutlich weniger – «nur» eine halbe Million Töne.

Wie gut der Mensch diverse Duftkombinationen voneinander unterscheiden kann, hat der New Yorker Wissenschaftler an 26 Probanden untersucht. Dazu hat er jeweils für einen Durchgang drei Fläschchen mit einem Geruchscocktail aus 10, 20 oder 30 Einzeldüften gemischt. Zwei von diesen Mischungen enthielten stets dasselbe und die dritte eine etwas andere Duftnote. Zum Teil war nur ein einziger Stoff anders. Ziel war es, herauszufinden, welche von den drei Proben anders riecht.

Müsste man die für den Versuch kreierten Düfte beschreiben, dann hätte alles irgendwie nach Abfall gerochen, sagt Keller. Denn das Forscherteam hatte ganz bewusst keine bekannten Mixturen genommen und alle Stoffe so weit verdünnt, dass sie alle dieselbe Geruchsintensität hatten. Die Stärke der einzelnen Duftstoffe in dem Gemisch war somit stets sehr ähnlich.

Anders ist dies zum Beispiel bei einer Rose, die zwar 275 Duftkomponenten enthält, von denen aber nur einzelne dominant sind und ihr den typischen blumigen, süssen Geruch verleihen. Mischt man diese Bestandteile in einer anderen Konzentration zusammen, lässt es sich nicht mehr als den klassischen Rosenduft identifizieren.

Bei den Experimenten in New York konnten mehr als die Hälfte der Teilnehmer die anders duftende Mischung zuverlässig identifizieren, wenn bis zu 75 Prozent aller Duftkomponenten übereinstimmten. Einige Probanden hatten sogar eine auffallend gute Nase: Sie konnten noch Cocktails auseinanderhalten, die zu 75 bis 90 Prozent identisch waren. Nach den Tests rechnete Keller die Ergebnisse hoch und kam zu dem Schluss, dass die Nase mindestens eine Billion Düfte wahrnehmen kann.

Minimale Unterschiede, wichtige Hinweise

Kein Wunder, denn unser äusserst empfindlicher Geruchssinn ist massgeblich für unser Wohlbefinden zuständig. Er signalisiert uns, dass man beispielsweise ein gammelig riechendes Stück Fleisch lieber nicht verzehren sollte. Bereits minimalste Unterschiede können uns wichtige Hinweise geben. Das ist heute in Zeiten von Gefrierschränken nicht anders als damals ohne.

Mit der Entwicklung der Hochkulturen gewannen vor allem die angenehmen Gerüche an Bedeutung. So entdeckte man in der Antike die Welt der Duftstoffe und eroberte diese immer weiter. Bereits die alten Ägypter versuchten mit Weihrauch ihre Götter gnädig zu stimmen oder verwendeten Nardenöl als Grabbeigabe. Zudem gilt ein 3500 Jahre alter Flacon, beschriftet mit dem Namen der machtbewussten Pharaonin Hatschepsut, als Beleg für die Verwendung von Parfüm in der damaligen Zeit.

Ob wir einen bestimmten Geruch als angenehm oder schrecklich stinkend empfinden, kann von Mensch zu Mensch jedoch sehr variieren. Ein kleiner Unterschied im genetischen Code reicht schon aus, dass man ein und denselben Stoff individuell völlig unterschiedlich wahrnimmt. Dies fand Keller in einer früheren Studie heraus. Dabei testete er unter anderem die Reaktionen auf die Sub­stanz Androstenon, ein Abbauprodukt des Sexualhormons Testosteron.

Gestank nach Schweiss

«Es ist erstaunlich, wie gross das olfaktorische Spektrum dabei ist», sagt Keller. Für die einen stank es nach Schweiss und Urin, während andere es als süsslich und nach Blumen duftend beschrieben. Dies liegt daran, dass durch einen Duftstoff ganz bestimmte Rezeptoren aktiviert werden, die entsprechend ihrer genetischen Ausstattung unterschiedlich stark reagieren.

Ein jeder riecht seine Umgebung mit einem ganz anderen Set an Duftrezeptoren. Denn in jedem von uns sind viele Rezeptoren nicht funktionell, und der Geruchssinn hat eine ungewöhnlich hohe genetische Variabilität. «Ich selbst habe bei der Studie damals festgestellt, dass ich den Geruch von Androstenon nicht wahrnehmen kann», sagt Keller. Er habe also einen blinden Fleck im riesigen Duftuniversum.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

(Erstellt: 25.03.2014, 20:42 Uhr)

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