Wie soll ein Schauspieler seine Liebe zum Ruhrgebiet anders erklären als in einer Anekdote? Hartmut Stanke jedenfalls hatte es damals von Oberhausen ans Theater Ingolstadt verschlagen, da klingelt es an der Tür: ein Drücker. „Der Mann kam zweifellos aus dem Ruhrgebiet, sprachlich eindeutig identifizierbar. Ich hab’ dem gleich zwei Zeitschriften abgekauft – aus Heimweh!“
Er kam dann (über Dortmund) zurück. Oberhausen hält er seit 1992 die Treue, ist übers Pensionsalter hinaus fest im Ensemble. Es war Nacht, da Stanke als jüngerer Schauspieler das erste Mal im Revier ankam. „Ich sah aus dem Dunkel diese Wahnsinns-Feuerlohe aus einem Schornstein. Das vergisst man nie.“
Mit Hartmut Stanke über seinen Beruf zu sprechen, setzt früh einen überraschenden Satz frei. „Ich glaube“, sagt er mit jener fein modulierenden, farbenreichen Stimme, die ihm bis heute reichlich Hörfunkpräsenz schenkt, „ich würde diesen Beruf nicht noch einmal wählen!“ Stanke blickt durch die kleine Poetenbrille nach oben. „Es ist ja doch, nun, praktisch nicht sehr hilfreich. Ein Arzt zum Beispiel, der kann für Menschen viel mehr tun.“ Es ist nicht der Satz eines Frustrierten. Als wir viel später – Stankes Lieblingsgrieche reicht den Abschieds-Ouzo – aufs Theater als flüchtige Kunst kommen, sagt er lächelnd: „Das ist nicht schlimm, alles ist flüchtig. Und einer, den der Arzt heilt, der stirbt ja auch, irgendwann.“
Figuren „aus mir heraus gefüttert“
Einem leisen Weisen begegnet, wer Hartmut Stanke, 72, hinter der Maske erlebt. Das Publikum erlebt einen Präzisionsarbeiter, der Menschen bannt, weil er nach Menschlichem sucht: „Psychologie, das ist es doch.“ Die gekrähten, dekonstruktiven, konzeptgetriebenen Regie-Arbeiten, die hat er gespielt, immer dienend — aber auf der Bühne zuhause fühlt sich einer wie Stanke, wenn er Menschen zeichnet: „Echt muss es sein, aus mir heraus gefüttert, echt“, ob Lessings Nathan und Kleists Dorfrichter Adam, antike Tragödie in Badehose (Penelope), ob Jelinek oder Shakespeare. Noch kleine Rollen adelt der Nuancenspieler: In Oberhausens „Romeo und Julia“ war er Lorenzo, so nebenbei in Sandalen, und doch die Jenseitsgüte eines Paters berührend substanziell ins Jetzt führend.
Woher aber nimmt man Schufte, Schurken, Königsmonster, Shakespeares dritten Richard? Hartmut Stanke antwortet ohne Zögern: „Ich bin kein Richard. Aber wenn man nicht mehr jung ist, hat man genug unglückliche oder böse Menschen aus der Nähe erlebt. Die hake ich nicht ab, die habe ich versucht zu verstehen. An die erinnere ich mich bei der Rollensuche.“
Es kam ein bisschen anders
Am Anfang stand: die Liebe. Hartmut, 9, sitzt in seiner Heimatstadt Göttingen im Kino: „Pünktchen und Anton“. Pünktchen spielt Sabine Eggerth, ebenfalls neun. Hartmut meint, in dem auch er Schauspieler würde, käme man ja zwangsläufig in Sabines Gesellschaft. Und dann werde er sie heiraten! Es kam ein bisschen anders. Immerhin: Schauspieler wurde der Max-Reinhardt-Absolvent.
Wenn ich nicht Schauspieler geworden wäre, ...
...wäre ich Journalist geworden.
Vor einem leeren Parkett zu spielen, ...
...wird mehr und mehr leider zu einer unangenehmen Erfahrung.
Mein wichtigster Rat an Anfänger...
... „Seid direkt!“
Ohne Maske...
...bin ich glücklicher als mit Maske.
Liebe. Wieso sind wir plötzlich beim BVB? Stanke jedenfalls, Fan und Kenner, hat seinen ersten Hund damals Povlsen getauft. Und wie er ihn von der Leine lässt auf den Feldern vor Dortmund, rennt sein Münsterländer auf eine Familie mit kleinem Kind zu, „und ich schrie panisch ,Povlsen! Povlsen!! Povlsen!!!’“ Bis Stanke keuchend vor dem Familienvater steht: „Und das war Fleming Povlsen. Aber ich hab’s nicht über die Lippen gebracht zu sagen: „,Sie sind mein Lieblingsspieler!’“
Hartmut Stanke lacht – über Sabine, Fleming, das Leben und wie es so gespielt hat: „Die große Karriere ist es nicht, aber wer weiß, ob das schön geworden wäre, ob ich das gekonnt hätte. Man muss sich da ja auch furchtbar anwanzen.“
Die Suche nach dem richtigen Ton
Eine Größe ist er aber doch, unverkennbar, ob König oder Penner. Es gibt ihn immer, diesen schönen Stanke-Ton. „Ich habe etwas gefunden, auf das ich mich verlassen kann, ohne in Routine zu verfallen. Das lasse ich mir auch von Regisseuren nicht nehmen“, bekennt Stanke und erzählt eine asiatische Geschichte, die er sehr mag. „Über Wochen und Monate spielt ein Musiker auf seinem Instrument immer nur einen Ton. Bis seine Frau sagt: Ich kann es nicht mehr hören! Es gibt eine solche Palette von Tönen, warum machen die anderen Musiker das denn anders? Da antwortet der Mann: Die
suchen noch!“