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«Ebola verfolgt dich ständig»

Marie-Michèle Houle war sechs Wochen als Helferin in Liberia. Sie sagt, warum der Ebola-Einsatz mit nichts vergleichbar ist.

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Vorbereitung auf den nächsten Einsatz: Marie-Michèle Houle (l.) im MSF-Zentrum in Foya, einer Stadt ganz im Norden Liberias. Die 30-jährige Kanadierin war sechs Wochen im Einsatz gegen Ebola.
Bild: Martin Zinggl (MSF)



Die 30-jährige Kanadierin arbeitet seit 2009 bei Médecins sans Frontières (MSF). Am Montag ist sie von einem sechswöchigen Einsatz im Ebola-Gebiet von Liberia nach Genf zurückgekehrt. Die Krankenschwester arbeitete schon in Haiti, im Kongo, im Süd­sudan und in Sierra Leone. Houles Vertrag mit MSF läuft Ende Jahr aus: Sie wird für einen letzten Einsatz vermutlich erneut in ein Ebola-Gebiet reisen und danach eine höhere Fachausbildung in Kanada machen. (TA)
Foto: Anna Pizzolante (Rezo)

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Sie sind soeben von Ihrem Einsatz in Liberia zurückgekehrt. Wie reagieren die Leute auf Sie?
Hier bei Médecins sans Frontières (MSF) sind alle entspannt. Ausserhalb des ­Büros ist es schwieriger. Ich will den Leuten nicht sagen, dass ich in Liberia war.

Weshalb?
Die Leute haben Angst, sie fürchten sich wirklich vor Ebola. Ich sehe es bei meinen Eltern und meinen Geschwistern. Freunde rufen an: Wie geht es Marie-Michèle? Sie ist doch in Liberia? Es ist aufreibend für meine Familie.

War das bei früheren Einsätzen anders?
Ja. Meine Eltern sahen weder in den Nachrichten etwas von unseren Ein­sätzen, noch lasen sie in der Zeitung ­darüber. Meine Familie vertraute darauf, dass ich ihnen sage, wenn etwas passiert. Bei Ebola hingegen sprechen alle darüber, plötzlich dreht sich alles um mich und meinen Einsatz.

Wie ist es für Sie selber?
Ich bin sehr zurückhaltend im Umgang mit anderen Menschen. Es ist schon so belastend genug. Der leiseste Kopfschmerz bereitet dir bereits Sorgen. Du fragst dich: Könnte das Ebola sein? Habe ich andere Symptome? Du hakst innerlich alle Punkte ab.

Wie war der Einsatz im Vergleich zu Ihren früheren Missionen?
Es war mein erster Ebola-Einsatz – und er war mit nichts vergleichbar. Ich ­arbeite seit 2009 für Médecins sans Frontières, drei Jahre davon im Feld. Aber es fühlte sich an, als wäre es mein allererster Einsatz gewesen.

Was macht Ebola so speziell?
Man muss schnell und gleichzeitig höchst aufmerksam handeln. Der kleinste Fehler ist lebensbedrohlich. Du kannst infiziert werden. Oder schlimmer: Du verbreitest das Virus. Bei anderen Einsätzen leidet die Qualität der ­Arbeit jeweils unter dem Tempo. Bei Ebola kannst du dir das nicht leisten, du musst immer aufpassen. Das macht einen wirklich müde.

Sie waren sechs Wochen in Liberia. Wie sah Ihr Alltag aus?
Die ersten zehn Tage arbeitete ich im Case-Management-Center. Wir nennen es bewusst so, weil es bei Ebola keine ­eigentliche Behandlung gibt. Es geht mehr um das Management der Fälle. ­Danach ging ich hinaus in die Dörfer. Wir betreiben eine Hotline, auf der die Leute anrufen, wenn in ihrem Dorf ­jemand krank oder gestorben ist. Wir fahren hin, nehmen Patienten mit ins Zentrum, kümmern uns um die Angehörigen, desinfizieren die Häuser, die Kleider, einfach alles, um sicherzugehen, dass die Zone wieder Ebola-frei ist.

Wie haben die Dorfbewohner auf Sie reagiert?
Zum Teil offen und dankbar, zum Teil skeptisch oder gar aggressiv. Manchmal versteckten sich die Leute vor uns. ­Einige sagen, wir Weissen brächten das Virus ins Dorf. Oder: Wir würden nicht Desinfektionsmittel, sondern Gift in den Häusern versprühen.

Weshalb sind die Leute so skeptisch?
Sie haben wirklich grosse Angst. Ebola zerstört Familien, Angehörige von Patienten werden ausgegrenzt. Das ist nicht nur in Afrika so: Auch in den USA oder in Spanien sieht man das.

Hatten Sie selber auch Angst?
Wenn man auf eine Ebola-Mission geht, überhaupt auf eine Mission, hat man ständig Angst. Zum Glück. Denn sobald man die Angst verliert, geht man Risiken ein. Und bringt damit sich, das Team und die Bevölkerung in Gefahr.

Weshalb setzen Sie sich einer ­solchen Gefahr überhaupt aus?
Als zehnjähriges Mädchen erzählte ich allen, ich wolle den Kindern in Afrika helfen. Als ich entschied, Krankenschwester zu werden, entschied ich mich dafür, Leuten zu helfen. Für mich ist das keine Frage: Wo ich gebraucht werde, gehe ich hin. Es ist eine Art Sucht.

Was bedeutet für Sie Erfolg bei einer solch schwierigen Mission?
Erfolg heisst nicht, dass die Epidemie eingedämmt ist, wenn ich abreise. Es sind vielmehr die kleinen Verbesserungen im Leben einzelner Menschen, die für mich zählen. Wenn wir Patienten zu uns ins Zentrum holen, weiss niemand, was mit ihnen passiert. Werden sie überleben? Werden sie sterben? Das muss ich akzeptieren.

Welche Geschichten aus Liberia erzählen Sie Ihren Freunden?
Das Zentrum, das MSF in Foya, ganz im Norden Liberias, aufgebaut hat, ist zweigeteilt: Auf der einen Seite sind die Verdachtsfälle, auf der anderen die ­bestätigten Ebola-Fälle. Die beiden ­Abteilungen sind durch einen Korridor verbunden. Ich nenne ihn den Todesgang. In der Abteilung der Verdachtsfälle traf ich kurz nach meiner Ankunft einen jungen Mann. Seine Mutter hatte Ebola und lag bereits im Koma. Er fragte, ob er ein letztes Mal zu seiner Mutter dürfe – auf die andere Seite des Gangs. Ich habe ihm dies ermöglicht.

Weshalb hat Sie gerade dieser Fall berührt?
Zwei Wochen später wurden wir in ein Dorf gerufen, ein Verdachtsfall. Es war derselbe junge Mann. Wir brachten ihn ins Zentrum, und diesmal war er positiv. Ich begleitete ihn durch den Todeskorridor. Es ist ein schwieriger Moment, es ist ein Transfer auf die Seite der Toten. Der Mann überlebte Ebola schliesslich, ich begleitete ihn durch alle Stufen – deshalb berührte mich sein Fall besonders.

Was war der eindrücklichste ­Moment?
In meiner ersten Woche arbeitete ich in der Abteilung für Verdachtsfälle. Plötzlich hörte ich ein Mädchen wie am Spiess schreien. Ein Arzt sagte mir, dass seine Mutter positiv auf Ebola getestet worden sei und sofort die Abteilung wechseln müsse – ohne ihr Kind. Ich war sprachlos. Natürlich hatte der Arzt recht, aber gleichzeitig hiess das, die Mutter und ihre sechsjährige Tochter zu trennen. Da erhob sich die Mutter von ihrem Bett und ging los. Sie schwankte, also stützte ich sie und ging mit ihr den Todesgang entlang. In diesem Moment habe ich Ebola begriffen.

Wie meinen Sie das?
Die Frau ging, ohne sich ein einziges Mal nach ihrer Tochter umzudrehen. Ohne zu wissen, ob sie ihre Tochter jemals wiedersehen würde. In den Ohren das Schreien ihrer Tochter. Das ist Ebola.

Was ist mit dieser Frau passiert?
Ich weiss es nicht. Ich habe sie nicht wieder gesehen. Manchmal ist es besser, wenn man nicht alles weiss.

Wie verarbeiten Sie solche ­Erlebnisse?
Meistens teile ich sie mit jemandem. Das hilft. Mit Freunden. Und natürlich mit Arbeitskollegen.Uns verbindet etwas, das wir mit niemandem sonst haben. Gleichzeitig weiss ich: Nur ich erlebe, was ich erlebe. Die anderen erleben ­etwas anderes. Wenn mir jemand eine Geschichte erzählt, höre ich oft einfach zu. Es gibt nichts hinzuzufügen.

Wie halten Sie das aus?
Wenn man sich dazu entscheidet, Arzt oder Krankenschwester zu werden, weiss man, dass man bei seiner Arbeit mit dem Tod konfrontiert wird. Wenn man dann humanitäre Arbeit leistet, weiss man, dass man um ein Vielfaches mehr mit dem Tod konfrontiert wird. Ja, man hält Kinder im Arm, und sie sterben. So etwas muss man aushalten können.

Sind Sie abgestumpft?
Nein. Ich bin vom Tod dieser Menschen betroffen. Jedes einzelne Mal. Aber so lange ich das Gefühl habe, alles gemacht zu haben, was ich machen konnte, ist es mir möglich, weiterzuarbeiten.

Jetzt sind Sie zurück in Genf. Was passiert hier?
Zu unserem Debriefing gehören standardmässig eine Untersuchung bei ­einem Arzt und ein Gespräch mit einer Psychologin. In ein paar Tagen fliege ich nach Brasilien.

Sie fliegen zu einem neuen ­Einsatz?
Nein, ich mache Ferien. Surfen! Es gibt nicht viele Länder, in die wir unmittelbar nach Ebola-Einsätzen reisen dürfen. Die Regeln sind sehr streng. In Brasilien muss ich innerhalb von vier Stunden ein bestimmtes Krankenhaus in Rio de Janeiro erreichen können. In anderen Ländern ist es noch strikter. Wir haben während der 21 Tage der Inkubationszeit kaum Freiheiten.

Können Sie die Angst der Leute verstehen?
Natürlich. Aber niemand will weniger als wir, dass sich Ebola weiter aus­breitet. Und niemand weiss besser als wir, wie wir uns vor einer Ansteckung schützen. Aber sogar mein Bruder sagt: «Ich ­vermisse dich, ich freue mich, dich ­wiederzusehen. Aber begib dich bitte zuerst in Quarantäne.»

Ebola verfolgt Sie also auch in Ihrem Privatleben.
Ja, eigentlich ständig. Am Abend nach meiner Ankunft in Genf habe ich meinen Freund getroffen. Ich war sehr müde. Und wenn ich müde bin, wird mir manchmal schlecht, oder ich kriege Kopfschmerzen. Plötzlich habe ich zu ihm gesagt: Moment, lass uns die Betten auseinanderschieben, ich könnte mich auch angesteckt haben. Selber an Ebola zu erkranken, ist das eine. Aber jemanden anzustecken – damit könnte ich nicht leben.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 11.10.2014, 07:13 Uhr


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