Ebola lässt ihn nicht los – Tages

Die Äffchen werden auf einen Rahmen aus biegsamen Ruten gespannt, Arme und Beine gespreizt, der Leib aufgeschlitzt und ausgenommen. Derart gekreuzigt werden sie über einem offenen Feuer geräuchert: die Haare abgesengt, die Haut ausgetrocknet und mit Asche überzogen, bis eine für Schädlinge undurchdringliche Kruste entsteht. In den verkohlten Schädeln blecken die weissen Zähne, wie in Todesangst.

Auf Märkten in Sierra Leone und Liberia, Ghana und Nigeria, Kamerun und im Kongo, in Uganda und Ruanda stapeln sich die Holzgerüste, an denen geräucherte Affen und Ratten, Fledermäuse und Stachelschweine befestigt sind. «Bushmeat», Wildfleisch aus dem Regenwald, ist ein Grundnahrungsmittel in weiten Teilen Afrikas (und auch Asiens). Wo es bei ständiger Hitze und Feuchtigkeit keine Kühlschränke gibt, hält sich Fleisch geräuchert am besten. Als Eintopf gekocht, vielfältig gewürzt, mit Maniok als Beilage serviert, schmeckt Affenfleisch für den ungeübten Gaumen vor allem nach Rauch. Für die Einheimischen ist es eine Delikatesse – und eine tödliche Gefahr.

Der erste Tote war zwei Jahre alt

Die in Westafrika wütende Ebola-Epidemie hat nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO bisher knapp 3000 Menschen das Leben gekostet und fast 6000 infiziert – aber wahrscheinlich wurden Tausende von Fällen gar nicht gemeldet. «Patient Zero» dieser Epidemie, der erste bestätigte Ebola-Fall, war ein zweijähriger Junge in Guinea, der in der Nähe der Stadt Guéckédou wohnte, die für ihren Bushmeat-Markt bekannt ist. Wie genau er im Dezember 2013 infiziert wurde, ist unklar. Sicher aber ist: Das Virus sprang von einem wilden Tier auf einen Menschen über – und wurde dann mit rasender Geschwindigkeit von Mensch zu Mensch weitergegeben.

«Das Virus versteckt sich wahrscheinlich in Flughunden, die auch gegessen werden», sagt Peter Piot. «Wir Menschen sind ein zufälliger Wirt für das Virus, das uns entweder beim Jagen oder beim Schlachten infiziert – und uns dann innerhalb von zwei Wochen tötet.» Der Belgier gehörte 1976 zu dem Team, welches das Ebola-Virus entdeckte und ihm seinen Namen gab – nach einem Fluss im Kongo, der in der Nähe des Entdeckungsortes lag.

Piot, heute Chef des Instituts für Hygiene und tropische Medizin in London, ist einer der angesehensten Epidemiologen weltweit, ein Experte für Erreger, die von Tieren auf Menschen wechseln und Seuchen auslösen. Derzeit gibt er in seinem Büro, umgeben von afrikanischen Masken und Stoffen, ein Interview nach dem anderen. Er nutzt seine Prominenz, um vor den verheerenden Folgen der Ebola-Epidemie in Westafrika zu warnen und die Industriestaaten zu schneller, substanzieller Hilfe anzuspornen.

«Ebola ist leicht einzudämmen»

Lange Zeit verhallten seine Warnungen ungehört. Als im März bestätigt wurde, dass es sich bei der seit Dezember grassierenden Fieberkrankheit in Guinea um Ebola handelt, schrieb Piot in der britischen Zeitung «Independent»: «Ebola ist leicht einzudämmen. Da geht es nicht um Hochtechnologie, sondern um grundsätzliche Hygiene – um Isolierung, Quarantäne und den Schutz des Pflegepersonals.» An diesen einfachen Dingen fehlt es in Guinea, Sierra Leone und Liberia, die zu den ärmsten Ländern der Welt zählen und sich von jahrzehntelangen Bürgerkriegen erholen.

So war es auch 1976, als Piot noch ein junger Arzt war und in einem Labor in Antwerpen arbeitete. «Wir erhielten damals zwei Reagenzgläser mit dem Blut einer belgischen Nonne, die an einer ­unbekannten Krankheit im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, gestorben war», erzählte der 65-Jährige in zahlreichen Interviews. Ein Arzt in Kinshasa, der Hauptstadt der belgischen Ex-Kolonie, hatte Eiswürfel in eine Thermosflasche gefüllt, die Glasröhren hineingetan und das Ganze als Paket mit der belgischen Fluglinie Sabena nach Europa geschickt. Niemand wusste, dass die blaue Flasche einen der tödlichsten heute bekannten Krankheitserreger enthielt.

«Als die Flasche bei uns eintraf, war das Eis darin geschmolzen, eines der Reagenzgläser war zerbrochen, und das zweite schwamm in einem Gemisch aus Scherben, Blut und Wasser», sagte Piot. Der junge Mediziner untersuchte das Blut mit seinen Kollegen ohne grössere Schutzmassnahmen – dafür war in Belgien ohnehin kein Labor ausgerüstet. Als sich herausstellte, wie gefährlich das Virus war, wurde es einem Hochsicherheitslabor in den USA übergeben. Und Piot wurde Mitglied eines internationalen Teams unter amerikanischer Leitung, das in den Kongo reiste, um die Herkunft dieser neuen Gefahr ausfindig zu machen.

Eine belgische Missionsstation

«Angst gehörte nicht zu meinen Überlegungen», sagte Piot. Schon als Zehnjähriger habe er davon geträumt, seinem konservativen Heimatort zu entfliehen und nach Afrika zu reisen. Nun bot sich eine einmalige Gelegenheit. «Wer träumt als junger Mikrobiologe nicht davon, einen neuen Erreger zu entdecken?»

Nach einer abenteuerlichen Reise erreichte das Team im zentralafrikanischen Urwald die belgische Missions­station Yambuku, in der sich Nonnen um die Gesundheit der Bevölkerung kümmerten, während Priester den christlichen Glauben verbreiteten. Man begrüsste die Besucher aus der Heimat mit einem flämischen Eintopf – aus Rindfleisch, nicht aus Bushmeat. Schnell stellte sich heraus, dass die Nonnen medizinisch kaum ausgebildet waren, ihre Spritzen mehrfach gebraucht und so mit Vitaminspritzen für Schwangere die Ebola-Krankheit verbreitet hatten. Die Forscher gelangten zum Schluss, dass das Virus ursprünglich von Tieren auf Menschen übertragen worden war.

Die Untersuchung im Kongo «war wahrscheinlich die erste derart internationale Zusammenarbeit, um einem Seuchenausbruch zu begegnen», meint Piot. Der Begriff «globales Gesundheitswesen» habe damals noch nicht existiert. Erst die Entdeckung eines weiteren Virus, das von Afrika aus die Welt bedroht, hat die Entwicklung einer wirklich globalen Planung zur Seuchenkontrolle erzwungen: HIV, das Virus, das Aids auslöst, wurde zwar zuerst bei homosexuellen Männern in den USA identifiziert. Doch Piot konnte 1983 nachweisen, dass es sich dabei keineswegs um eine «Schwulenseuche» handelte. Im Kongo fand er ebenso viele Männer wie Frauen, die an Aids litten. Und er stellte fest, dass die konservierten Ebola-Blutproben von 1976 auch HIV enthielten.

Weltweit bekannt als Mahner

Als Vorsitzender der Aids-Agentur der UNO wurde Peter Piot weltweit bekannt: als Mahner, der träge Regierungen zu grösseren Anstrengungen antreibt. Dass ihm diese Rolle im Zusammenhang mit Ebola, seiner ersten Entdeckung, erneut zufällt, hätte er nicht erwartet. Denn eigentlich sind Ebola-Ausbrüche wie Strohfeuer: Sie brennen heftig, aber schnell. «Aus der Sicht des Virus ist der Mensch kein guter Wirt», so Piot. «Wir sterben zu schnell.» Aber das Virus schlägt zu, wo die Menschen am schwächsten sind, wo Armut herrscht und ein Gesundheitssystem fehlt.

Wie schwer ein solcher Ausbruch eine Gemeinschaft treffen kann, stellte Piot fest, als er diesen Frühling nach Yambuku zurückkehrte. Zu seinem 65. Geburtstag besuchte er Überlebende der ersten Ebola-Epidemie, die zu Freunden geworden waren – und fand eine Ortschaft, die noch ärmer war als vor 38 Jahren. «Seit die flämischen Nonnen vor etwa zehn Jahren abgezogen sind, gibt es kein Geld mehr, um die Gebäude zu unterhalten», schrieb Piot in der «Financial Times». Die Missionsstation zerfällt. Marodierende Kämpfer unterschiedlicher Rebellengruppen haben alles an Wert mitgehen lassen, auch die Autos und das einzige Funkgerät.

«Der gesamte Gesundheitsbezirk von Yambuku umfasst 14'000 Quadratkilometer», schrieb Piot. «Für 260'000 Menschen gibt es keine Ambulanz, keine Kommunikationsmöglichkeiten, kaum Medikamente und einen einzigen Kühlschrank zur Aufbewahrung von Impfstoffen. Zwei Ärzte und einige Krankenschwestern versuchen, das Beste daraus zu machen.»

«Wir sind zu spät dran»

So schrecklich die Folgen der Seuche für einen abgelegenen Ort seien, in Westafrika drohe heute eine Katastrophe ganz anderer Dimension, warnte Piot. Dort habe sich ein «perfekter Sturm» zusammengebraut: Eine Häufung negativer Faktoren nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs biete den Nährboden für die Verbreitung des Virus. «Es ist eine Kombination von korrupten Regimes, mangelndem Vertrauen in die Behörden, einem völlig dysfunktionalen Gesundheitssystem, Misstrauen in westliche Medizin, traditionellen Beerdigungsriten und einer viel zu langsamen Reaktion der nationalen Behörden und der internationalen Gemeinschaft.» Erst im August habe die WHO den Notstand ausgerufen. «Wir waren alle viel zu spät dran», sagte Piot – und nahm sich keineswegs aus.

Inzwischen breitet sich das Ebola-Virus in Grossstädten aus, wo es noch viel schwieriger unter Kontrolle zu bringen ist. Auch wenn der Weltsicherheitsrat soeben zum zweiten Mal in seiner Geschichte (nach Aids) eine Resolution zu einer globalen Gesundheitsbedrohung verabschiedet hat und eine eigene Notmission einberuft, auch wenn die USA jetzt 3000 Soldaten entsenden, auch wenn verschiedene Länder Millionen an Hilfe zugesagt haben – es wird Wochen dauern, bis die Hilfe anläuft. Derweil steigt die Zahl der Infizierten exponentiell an.

Vergangene Woche hat Peter Piot seine Warnung deshalb noch einmal ­gesteigert. «Ohne eine massive Ausweitung der Hilfe weit über das hinaus, was bisher geplant ist, wird es unmöglich sein, diese Epidemie unter Kontrolle zu bringen», schreibt er zusammen mit dem Tropenmediziner Jeremy Farrar von der Oxford-Universität im «New England Journal of Medicine». Die beiden zeichnen im Fachmagazin ein Schreckensszenario: «Ebola hat ein Stadium erreicht, wo es sich als eine endemische Infektion festsetzen könnte.» Mit anderen Worten: Das Virus lässt sich unter den Menschen in Westafrika vielleicht nicht mehr ausrotten. Das würde nicht nur Zehntausenden das Leben kosten, es könnte die Länder der Region in die Knie zwingen. Und die weltweite Verbreitung des Virus liesse sich kaum mehr verhindern.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 30.09.2014, 06:49 Uhr)

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