DREI JAHRZEHNTE SPÄTER: Seit dem Paradies lebt der Mensch vom Austausch

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02. Februar 2012

BZ-Serie (Teil 6)

Wolfgang Roth gründete einst die Ausländerinitiative mit, die es noch immer gibt und heute „Südwind“ heißt


  1. Wolfgang Roth Foto: Th. Kunz


  2. Foto: Repro:BZ

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Menschen zu begegnen, über die er schon vor 30 bis 35 Jahren schrieb – mit diesem Ansinnen hat unser Redakteur Gerhard M. Kirk jetzt einige von ihnen noch einmal besucht. Das Ergebnis ist eine 15-teilige Serie über Themen und Menschen zwischen damals und heute.

D
ie Vorbehalte in der deutschen Bevölkerung Freiburgs damals waren massiv. Denn das war vielen nicht geheuer: Lehrende und Studierende der Pädagogischen Hochschule (PH) forschen zur Situation von Ausländerkindern und machen gleichzeitig Sozialarbeit, Hausaufgabenhilfe, Beratung. "Das war der ganzheitliche Ansatz unseres Handlungsforschungsprojekts", erinnert sich Wolfgang Roth: "Die Betroffenen bestimmen, was geforscht wird." Dass daraus die Freiburger Ausländerinitiative entstanden ist, war zunächst überhaupt nicht beabsichtigt, sagt der Professor für Psychologie. "Wir haben sie dann Ende 1976 doch als Verein gegründet, obwohl wir diese bürgerlichen Strukturen ablehnten – aber nur so waren Zuschüsse zu bekommen."

Kein Wunder, dass diese Initiative von vielen misstrauisch als "linker Verein" beäugt wurde, der sich mit Ausländern abgibt. Erst recht, als es einem zweiten Forschungsprojekt um mehr geht, als Defizite auszugleichen. Vielmehr will es unter der Überschrift "Kultursozialarbeit" belegen: Die Wertschätzung anderer Kulturen bereichert, hilft, eigene Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, macht ein Zugehen aufeinander möglich. Wolfgang Roth nennt das "die Globalisierung positiv gestalten". Und wenn er schon dabei ist: Der abgeschottete Nationalstaat war nur eine kurze Episode Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts – dagegen waren Wanderbewegungen vom Auszug aus dem Paradies bis heute immer selbstverständlich, brachten einen Austausch der Kulturen mit sich. "Es geht um diesen Markt der Möglichkeiten, und wir haben viele Möglichkeiten, eine neue Kultur zu entwickeln."

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Die zunächst fremde kennenzulernen. Die eigene wieder zu entdecken. Und aus beiden im Miteinander eine neue zu entwickeln. "Dass unsere Gesellschaft diese Chance wahrnimmt, darum geht es." Die Ausländerinitiative, die sich auch mal "ausLänderinitiative" schrieb, hat mit ihrer Arbeit stets auf diese Chance aufmerksam gemacht. Und damit nicht zuletzt zu einer Befriedung in der Stadt beigetragen, ist der 72-Jährige überzeugt. "Mit unserer ,revolutionären’ Arbeit haben wir manche Konflikte vermieden." Wobei die Deutschen der Initiative gegenüber wesentlich reservierter waren als die Zugezogenen. Zu denen ergab sich der Kontakt recht einfach über die Schulen.

Mit ihrem ersten Forschungsprojekt hatten die PH-Leute um Guido Schmitt, Wolfgang Roth, Wolfgang Schwark und Helmut Schwalb nämlich eine Befragung aller Freiburger Schulen verbunden (Wer hat in Deutsch eine schlechtere Note als eine Drei?). Daraus entstanden die ersten Schularbeitskreise. Und da für die ausländischen Eltern oberstes Ziel die schulische Förderung ihrer Kinder war, "haben sie sie uns anvertraut, weil sie uns vertraut haben". Was heute selbstverständlich geworden ist (Sprachförderung, Beratung für Menschen aus anderen Ländern), "das haben wir praktisch immer nebenbei gemacht". Während der vergangenen mehr als drei Jahrzehnte hat Wolfgang Roth allerdings auch gelernt: "Dieser wechselseitige Prozess fordert sehr viel Zeit, Geduld und Umsicht." Zumal das erklärte Ziel der Ausländerinitia-
tive, die seit den 1990er Jahren "Südwind" heißt, ist: Alle sollen in der Begegnung "sehr vieler, sehr interessanter Menschen" gewinnen.

Auf der deutschen Seite sieht er den Gewinn nicht zuletzt in dem Angebot, sich ehrenamtlich zu engagieren. Fünfzig Ehrenamtliche arbeiten heute bei der Initiative mit, die viele Jahre lang aus finanziellen Gründen immer wieder vor dem Aus stand – und mittlerweile insgesamt dreißig Festangestellte hat. Zur Zeit bemüht sich "Südwind" mit seinem Schatz an Erfahrungen, auch Schulsozialarbeit zu übernehmen. Und um ein neues Stück Garten für die Menschen im Wohnheim an der Hammerschmiedstraße. Ihn in der benachbarten Kleingartenanlage zu bekommen, ist jedoch bisher gescheitert. "Da hat sich eben doch nichts geändert", bedauert Wolfgang Roth, der dennoch überzeugt ist: "Wir haben Freiburg in die Richtung einer multikulturellen Stadt bewegt."

Was vor allem außerhalb gewürdigt wird. 2002 gewann (bei 1350 Teilnehmenden) die Initiative einen bundesweit ausgeschriebenen Integrationswettbewerb. Vier Jahre später wurde der emeritierte Psychologie-Professor (stellvertretend) mit dem Bürgerpreis Ehrenamt ausgezeichnet. Überflüssig sieht der gelernte Schlosser die Initiative freilich noch lange nicht. "Es geht darum, das Soziale neu zu lernen – und es wird immer nötig sein, solche Arbeit zu machen, egal, in welcher Form." Die Schularbeitskreise sind heute immer noch notwendig. Dazu kam immer stärker die Arbeit mit Flüchtlingen. Kochen und Nähen, Musik und Tanz gehören ebenso längst zum Angebot wie interkultureller Austausch und Freizeitgruppen für Jugendliche. Nicht zu vergessen der nach wie vor unerlässliche politische Einsatz für "eine offene Stadt" und dafür, den Respekt füreinander zu fördern, voneinander zu lernen, miteinander zu leben. Im vergangenen Herbst hat Wolfgang Roth den Vorstand des Vereins verlassen, den es eigentlich nie hätte geben sollen und der noch vielen neuen Fördermitgliedern Raum bietet. Nun ist er gar dessen "Ehrenvorsitzender". Und er (der einst auch ein wenig Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte studierte) weiß ganz genau: "Das hört nie auf." Also gründete er voriges Jahr das Freiburger Forum "Aktiv gegen Ausgrenzung" mit. Ist das Fazit seiner Arbeit doch eindeutig: "Die Psychologie geriert sich zu sehr wissenschaftlich, statt praktisch zu arbeiten." Unverdrossen verband er beides – und die Ausländerinitiative wurde geboren. "Für mich ist es schön zu sehen: Das Kind steht auf guten Füßen und läuft, ohne an der Hand gehalten werden zu müssen." Allerdings betrachtet Wolfgang Roth noch immer und gerade heute wieder als gültig, was er schon in jenem Artikel vom 18. Oktober 1978 sagte (siehe Auszug links): "Ein guter deutscher Freund ist für das ausländische Kind wichtiger als der beste Lehrplan."

Autor: gmk

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