Die «verlorene Sprache» bleibt



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Die «verlorene Sprache» bleibt

Bei Kindern erhalten sich die frühen Prägungen der Muttersprache dauerhaft, selbst wenn sie in einem komplett anderen Sprachraum aufwachsen.

Hört bereits im Bauch mit: Ein Ungeborenes nimmt den Rhythmus der Muttersprache bereits im dritten Trimester der Schwangerschaft wahr. Foto: Thomas Pompernigg / Flickr

Hört bereits im Bauch mit: Ein Ungeborenes nimmt den Rhythmus der Muttersprache bereits im dritten Trimester der Schwangerschaft wahr. Foto: Thomas Pompernigg / Flickr

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Familie Brühlhart* hatte ein Kind aus einem Waisenheim in Indien noch vor seinem ersten Lebensjahr adoptiert. Als der Junge – die Familie hatte ihn Kiran genannt – acht Jahre alt war, besuchte die Familie erstmals das Ursprungsland und staunte nicht schlecht: Ihr Sohn lernte in der kurzen Ferienzeit die Sprache seiner ersten Mutter rasant schnell, vor allem betonte Kiran die schwierigen Wörter wie aus dem Nichts richtig. Wie konnte der Junge die Sprache so gut kennen, obwohl er noch vor seinem ersten Geburtstag das Land verlassen hatte und allerhöchstens ein paar Wortfetzen im Kinderheim mitbekommen haben kann?

Dem Rätsel ist nun eine kanadische Forscherin auf die Spur gekommen. Die junge Doktorandin Lara Pierce von der McGill-Universität in Montreal untersuchte dazu chinesische Adoptivkinder, die in den französischen Sprachraum gegeben wurden. Sie hatten ihr Land wie Kiran kurz nach der Geburt verlassen und dadurch das Chinesisch nie mehr gesprochen. Pierce nannte deren Sprache deshalb eine «verlorene Sprache».

Doch ihre im Fachjournal «PNAS» veröffentlichte Arbeit zeigt nun, dass die erste Sprache, mit der ein Neugeborenes oder sogar schon der Fötus im Mutterbauch in Kontakt kommt, alles andere als verloren ist. In den Hirnbildern der Kinder blieben die Aktivitätsmuster der chinesischen Sprache bis ins Jugend­alter erhalten. «Pierce zeigt zum ersten Mal, dass die Spuren der frühkindlichen Sprachwahrnehmung Repräsentationen im Gehirn hinterlassen», erklärt die Genfer Hirnforscherin Narly Golestani. Sie ist Spezialistin für die neuronalen Grundlagen der Zweisprachigkeit und forscht an der Universität Genf. Die Arbeiten der Gruppe um Lara Pierce kennt sie sehr gut. Kinder lernen im Alter von ein bis zwei Jahren selber sprechen, doch die Anlagen für das Sprachverständnis entwickeln sie schon viel früher, vor allem in den ersten sechs Monaten des Lebens. In dieser Zeit sind die zuständigen Hirnwindungen äusserst formbar, sodass man von einem Sprachfenster spricht. Die dann gebildeten phonetischen Kategorien bilden das organisatorische Gerüst für den Erwerb der zunehmend komplexeren Sprachstrukturen, zum Beispiel Wörter, Grammatik oder Lesefähigkeit.

Schon Ungeborene hören zu

Die ersten Voraussetzungen dafür werden möglicherweise schon im Mutterbauch gelegt. Bereits im dritten Trimester nimmt das Ungeborene den Rhythmus der Muttersprache wahr. Gemäss einer Studie von 1988 haben Neugeborene sogar die Lieblingsmusik der Mutter wiedererkannt, welche diese während der Schwangerschaft hörte. «Andere feine Unterschiede wie zum Beispiel unterschiedliche Betonungen können die Ungeborenen jedoch nicht hören, weil sie vom Fruchtwasser herausgefiltert werden», sagt Narly Golestani.

Lara Pierce untersuchte in ihrer Studie 48 Mädchen im Alter zwischen 9 und 17 Jahren, die sie in drei Gruppen unterteilte. Die erste Gruppe war im französischen Sprachraum geboren und sprach nur Französisch. In der zweiten Gruppe waren die Adoptivkinder, die als Babys aus China adoptiert wurden, aber nur noch Französisch sprachen. In der dritten Gruppe sprachen alle Mädchen fliessend Französisch und Chinesisch. Die adoptierten Kinder verliessen im Durchschnitt nach 12 Monaten, zum Teil schon mit halbjährig, den Sprachraum der Mutter. Im Experiment machten die Forscherinnen von allen Mädchen einen Gehirnscan, während dessen sie einen chinesischen Text hörten. Daraufhin wurden die Hirnregionen, die dabei aktiviert wurden, analysiert und lokalisiert. Ergebnis: Bei den adoptierten Mädchen, die während mehr als 12 Jahren ihre chinesische Muttersprache weder hörten noch praktizierten, waren die gleichen Hirnregionen aktiv wie bei den real Chinesisch sprechenden Mädchen – nämlich die Sprachzentren der linken Hirnhälfte. Bei den französischsprachigen jedoch waren andere Regionen in den Sprachzentren der rechten Hirnhälfte aktiv.

Der Vergleich der chinesischen mit der französischen Sprache eignet sich besonders gut. Denn das Chinesisch gilt als tonale Sprache. Das bedeutet, dass die Bedeutung eines Wortes auch und in vielen Fällen vor allem von der Betonung der Silben abhängt. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Sprechern einer nicht tonalen Sprache das Sprachzentrum der rechten Hirnhälfte aktiviert ist, wenn sie solche Betonungsunterschiede wahrnehmen. Wer jedoch in einer tonalen Sprache aufgewachsen ist, aktiviert beim Hören der Kontraste die Sprachzentren der linken Hirnhälfte.

Sprachen ohne Bedeutung

«Wir waren sehr erstaunt, dass die Aktivierungsmuster der Kinder, die ihre Sprache verlernt hatten, die gleichen waren wie bei den Kindern, die von Geburt an weiter Chinesisch sprachen», sagt Lara Pierce. «Diese Muster konnten bei den Adoptivkinder nur in den ersten Monaten ihres Lebens ausgeprägt worden sein, denn sie unterschieden sich vollkommen von den Mustern der Kinder, die nur Französisch sprechen.»

Das frühkindliche Sprachfenster ist offenbar entscheidend. Möglicherweise sind Kinder in dieser Zeit sogar noch mehrsprachig veranlagt. Aus Verhaltensstudien weiss man, dass bereits Neugeborene charakteristische Sprachmerkmale aller Weltsprachen unterscheiden können. Wenn sie dann die eigene Muttersprache lernen, verlieren sie diese Sprachsensibilität wieder, weil die anderen Sprachen keine Bedeutung mehr haben. Ein Beispiel: Japaner hören keinen Unterschied zwischen den Buchstaben R und L, für sie tönen zum Beispiel die Wörter Rot und Lot gleich. Japanische Kleinkinder dagegen können diese Laute bis zum 6. Monat noch unterscheiden. Doch danach, während des Erwerbs der Muttersprache, verlören sie diese Fähigkeit, weil der phonetische Kontrast für die japanische Sprache nicht wichtig sei, sagt Narly Golestani.

Das Geheimnis der Sprachgenies

So waren auch die adoptierten Kinder im frühesten Alter den tonalen Kontrasten ausgesetzt, ohne dass sie bereits sprechen konnten. Dann verloren diese Kontraste für diese Kinder an Bedeutung, weil sie den Sprachraum verliessen. Im Sprachgedächtnis wurden die Spuren der «verlorenen Sprache» jedoch nicht mit dem neu gelernten Französisch überschrieben, sondern blieben erhalten. «Die Studie zeigt, dass in den Hirnaktivitäten dieser Adoptivkinder die erste Sprache, die sie nicht mehr beherrschen, dieselbe Bedeutung hat wie die Muttersprache», sagt Narly Golestani.

Was dies für die Kinder konkret bedeutet, müsste man noch herausfinden. «Es könnte sein, dass diese Kinder besser Chinesisch lernen können», sagt Narly Golestani. Möglicherweise liegt darin auch das Geheimnis von Sprach­genies verborgen, die verschiedenste Sprachen spielend leicht lernen. Ihnen gelingt es offenbar leichter, die im frühen Wahrnehmungsfenster erworbenen Fähigkeiten zu nutzen.

* Namen geändert

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 26.01.2015, 18:26 Uhr


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