Die Teenie-Versteherin

Die Zeiten haben sich nicht geändert. Zumindest was die Nacht auf den 1. Mai in Oxford betrifft. Tausende feiern dort bei der Magdalen Bridge ­jedes Jahr das traditionelle Frühlingsfest. Ausgelassen tanzen sie auf den Strassen, trinken und singen. Vor allem Jugendliche schlagen dabei gern über die Stränge. «Das war schon immer so», sagt die Londoner Neurowissenschaftlerin Sarah-Jayne Blakemore, die in Oxford aufgewachsen ist. Zusammen mit ihren Freunden sei sie früher dort mitten in der stockfinsteren Nacht im Fluss Cherwell baden gegangen. Es sei zwar saukalt und nicht ganz ungefährlich gewesen, habe aber Spass gemacht.

«An solche Abenteuer im Jugendalter kann sich fast jeder ein Leben lang erinnern», erklärt die 41-jährige Forscherin vom University College London. Man nennt dies «Reminiscence Bump». Denn das Gehirn behandelt diese völlig neuen Eindrücke als besonders wertvoll und speichert sie besser ab als Erlebnisse im späteren Leben. Jugendliche lieben es, Risiken einzugehen, mit Freunden herumzuhängen, auf Partys zu gehen und gegen all die Vorschriften aus der Welt der Erwachsenen zu rebellieren. Dies sei ganz normal und auch wichtig, um seine Identität zu finden, sagt Blakemore. Sie selbst sei früher ein typischer Teenager gewesen.

Die heutige Professorin für Kognitive Neurowissenschaften ist vor kurzem in die Schweiz gekommen, um bei einer festlichen Zeremonie an der Universität Zürich den mit einer Million Franken dotierten Klaus J. Jacobs Research Award für ihre Forschung zum Verständnis von emotionaler und sozialer Hirnentwicklung im Jugendalter entgegenzunehmen. Unser Treffen findet am Abend vorher, an einem kalten, grauen Tag im Hotel Zürichberg statt, wo in einem kleinen Konferenzraum zu ihren ­Ehren ein Apéro vorbereitet wird. Während unseres Gesprächs werden schnell noch Getränke und Gläser gebracht. Doch Blakemore lässt sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen. Mit dem Preisgeld wolle sie bei Jugendlichen unter anderem ­untersuchen, wie soziale Kognition, also zum Beispiel der Einfluss Gleichaltriger, sich auf das Verhalten und Auftreten auswirkt.

Das soziale Hirn

Die bisherigen Forschungen der Britin zeigen, dass sich das typische Verhalten in der Pubertät nicht allein auf Hormone und äussere körperliche Veränderungen zurückführen lässt. Mit modernsten Methoden fahndete Blakemore gemeinsam mit ihrem Team nach den neurologischen Grundlagen etwa des jugendlichen Leichtsinns und der Bedeutung einer Peergroup. Dazu schob sie die jungen Probanden in den Magnetresonanztomografen, um deren Gehirnaktivität während einer bestimmten Aufgabenstellung zu messen.

Zudem führte sie verhaltenspsychologische Tests am Computer mit ihnen durch. Und zwar in Anwesenheit sowie auch Abwesenheit von deren Freunden. Auf diese Weise konnte sie wissenschaftlich belegen, dass Teenager riskante Situationen anders beurteilen und eher eingehen würden, wenn jemand aus der eigenen Clique im Raum hinter ihnen sitzt. Die Angst vor sozialem Ausschluss könnte die treibende Kraft sein, dass sie mehr wagten, als wenn sie allein seien, sagt die Forscherin. Dagegen schneiden Jugendliche beim Lösen schwieriger Puzzles schlechter ab, wenn ein guter Freund ihnen über die Schulter schaut. Vielleicht seien sie dadurch abgelenkt und zu sehr damit beschäftigt, was der andere gerade über sie denke. In diesem Alter spiele die Suche nach dem sozialen Ich eine grosse Rolle: Wie wirkt man auf andere?

«Die Suche nach dem sozialen Ich spielt eine grosse Rolle.»

Bis vor etwa 20 Jahren gingen Experten noch davon aus, dass die Entwicklung des Gehirns nach der frühen Kindheit weitgehend abgeschlossen sei. Denn damals war es noch nicht möglich, Pubertierenden beim Denken, Fühlen und Wahrnehmen ins Hirn zu schauen. Blakemore und Kollegen in anderen Instituten haben in den vergangenen Jahren ­jedoch immer mehr Hinweise gefunden, dass das Gehirn der Teenager sich im Umbau befindet und einer Baustelle gleicht. Zum einen wird in dieser Lebensphase das Volumen an der sogenannten Grauen Substanz in der Grosshirnrinde deutlich reduziert. Allein im Präfrontalen Cortex, ein Areal, das unter anderem für das Regulieren von Vernunft und Gefühlen bedeutend ist, um 17 Prozent.

Ergibt dieser brutale Abbau Sinn? Ja, sagt Blakemore. Es sei eine strategisch notwendige Neuorganisation. Das gesamte Hirn schrumpfe dabei aber nicht, sondern werde lediglich «weisser» und weniger «grau». Das bedeute im Prinzip mehr leitende, also weisse Nervenfasern statt gräulicher Nervenzellkörper und Synapsen in der Grosshirnrinde. Vor allem Synapsen, die Schaltstellen zwischen Nervenzellen, werden in der Adoleszenz abgebaut. Dennoch verfügt ein erwachsenes Gehirn später immer noch über zig Milliarden Synapsen. Denn bis zum Beginn der Pubertät gab es davon eine regelrechte Überproduktion.

Im Teenageralter wird dieser neuronale «Kabelsalat» unter der Schädeldecke erst einmal aufgeräumt. Und unwichtige Verbindungen praktisch gekappt. Ähnlich wie bei einem Rosenstrauch, bei dem man dünne, schwache Zweige schneide, damit nur die kräftigen weiter spriessen und gedeihen. Die Nervenfasern werden nun mehr und mehr mit schützendem Myelin verstärkt, sodass sie im Gehirn Informationen schneller weiterleiten können. Das sei recht clever, weil sich das Gehirn dadurch einem neuen Umfeld anpasse und flexibel sei, sagt die Preisträgerin.

Problem des Perspektivenwechsels

Blakemore plädiert dafür, dass pubertäres Gehabe nicht länger nur als problematisch betrachtet werden sollte, sondern auch als sein Umfeld erforschend und potenziell sozial förderlich. Schliesslich gehe es oft nur um die Anerkennung durch Freunde und die Vermeidung sozialer Ausgrenzung. Die neuen Erkenntnisse der sozialen Kognition könnten dazu beitragen, dass etwa mithilfe von Peer Education, dem Lernen von und mit Gleichaltrigen, bessere schulische Resultate erzielt werden. «Mehr Verständnis muss man auch dafür haben», so die Forscherin, «dass Jugendliche sich nicht so gut wie Erwachsene in die Perspektive eines Fremden versetzen können.» Wie ihre Studien ergeben haben, kommt dies erst viel später.

Was rät sie Eltern, die sich gerade wieder einmal über ihre heranwachsenden Sprösslinge nerven? «Am besten sich an die eigene Zeit als Teenager zu erinnern», sagt Blakemore strahlend. Dennoch weiss sie als Mutter zweier Söhne im vorpubertierenden Alter von 8 und 10 Jahren auch, dass der Alltag mit Kindern und Jugendlichen eine stetige Herausforderung ist und bleibt. Als sie ihren Jüngeren ermahnte, er solle aufhören herumzublödeln, antwortete dieser keck, dass es nicht seine Schuld sei, sondern die seines Hirns. «Ich habe ihnen schon viel zu viel über meine Arbeit erzählt», fügt sie lachend hinzu. Ein klassisches Eigentor. (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 15.01.2016, 18:00 Uhr)

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