Die Summe ihrer Teile

Frauen sind nur Sexobjekte! Ein chauvinistischer Spruch allererster Güte - und in westlichen Gesellschaften längst tabu. Zwei Studien zeigen nun aber, dass Frauen tatsächlich so wahrgenommen werden. Das Team um den Psychologen Philippe Bernard von der Université Libre in Brüssel fand heraus, dass Frauen in Unterwäsche auf Fotos eher als Objekte wahrgenommen werden denn als Personen - ganz anders als leicht bekleidete Männer.

Um das zu zeigen, nutzten die Forscher einen psychologischen Mechanismus: den sogenannten Inversionseffekt. Werden Fotos auf den Kopf gestellt, haben Menschen Probleme, Gesichter und Personen wiederzuerkennen. Bei Objekten, wie etwa Gebäuden oder Autos, tritt der Effekt dagegen nicht auf. Für das Experiment schauten sich 78 Probanden Fotos von Männern oder Frauen in Unterwäsche an. Dann bekamen die Probanden zwei weitere Bilder zur Auswahl - das Original von vorher sowie eine gespiegelte Variante. Jetzt sollten sie sagen, welches sie zuvor gesehen hatten.

Das Ergebnis: Die Teilnehmer erkannten die ursprünglichen Männerfotos viel schlechter, wenn sie falsch herum gezeigt wurden. Bei den Frauenfotos machte es kaum einen Unterschied, ob sie auf dem Kopf standen oder nicht. Die Forscher folgern daraus, dass Männer eher als Personen, Frauen hingegen eher als Objekte wahrgenommen werden, schreiben sie im Fachmagazin "Psychological Science". Das Erstaunliche: "Wir können das nicht nur auf die Männer schieben. Frauen nehmen andere Frauen auf die gleiche Weise wahr", erläutert Sarah Gervais, Professorin für Psychologie an der amerikanischen University of Nebraska und Mitautorin der Studie. "Das könnte verschiedene Gründe haben. Männer machen es vielleicht, weil sie an einer potenziellen Partnerin interessiert sind. Frauen sehen eher eine Konkurrentin, mit der sie sich möglicherweise vergleichen wollen."

Ähnliche Ergebnisse fand eine zweite Studie, welche Gervais an der University of Nebraska durchgeführt hatte. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass Menschen Frauen - ganz so wie auch unbelebte Objekte - als eine Verbindung von Einzelteilen sehen.

"Wir teilen Menschen eigentlich nicht in Teile ein - außer, wenn es um Frauen geht, und das ist wirklich bemerkenswert", sagt Gervais. Noch seien viele Fragen offen. Etwa, wie Homosexuelle Frauen wahrnehmen oder Väter ihre Töchter. Außerdem sei zu untersuchen, ob diese amerikanische und europäische Wahrnehmung der Frau sich auf andere Kulturen übertragen lasse. Der Sozialpsychologe Jens Förster von der Universität Amsterdam vermutet, dass es in asiatischen Gesellschaften ganz anders ist. Hier spiele das Individuum im Gegensatz zur Gruppe eher eine untergeordnete Rolle - und damit eventuell auch der Blick auf die einzelne Frau.

Doch es gibt Hinweise, die dafür sprechen, dass Frauen auf der ganzen Welt ähnlich wahrgenommen werden. Der Psychologe David Buss von der Universität Michigan fand bereits 1989 in 37 Kulturen, dass Männer und Frauen hinsichtlich Sex und Partnerschaft recht stereotype Erkennungsmerkmale benutzen. Das belegt zwar nicht die Objektivierung der Frau, aber die Fixierung auf bestimmte Körperteile. Unterm Strich könnten die zwei neuen Studien dennoch zu bemerkenswerten Schlussfolgerungen führen - mit erheblichen Konsequenzen für das Zusammenleben von Mann und Frau. "Denn die Wahrnehmung durch unser Gedächtnis führt ja immer auch zu einem Urteil", erklärt der Sozialpsychologe Förster.

Die Relevanz möglicher Diskriminierung von Frauen sei daher völlig zu überdenken. Im nächsten Schritt müsse untersucht werden, ob diese Wahrnehmung auch dazu führe, dass Frauen tatsächlich anders behandelt würden als Männer.

Ein Grund zur Hoffnung sei, dass dieses Verhalten nicht angeboren ist, wie Förster vermutet. Hier widerspricht jedoch der Neurologe Gerhard Roth von der Universität Bremen. Es gebe zwar keine vergleichbare neurobiologische Studie, doch man könne schon sehen, ob eine Darstellung attraktiv erscheint. Neurobiologisch scheinen diese Mechanismen in den "tiefen Etagen" unseres Gehirns fest verankert zu sein. Für den Experten Roth bedeutet das: Die Fixierung auf weibliche Körperteile könne durch verschiedene Kulturen zwar verstärkt oder vermindert werden, sei aber nicht ganz auszuschließen.

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