Die Qual mit dem Qualitätszentrum

Vor gut drei Jahren war man bei der Ärztevereinigung FMH begeistert von den Plänen des Bundes, ein Qualitätsinstitut für das Gesundheitswesen zu schaffen. «Wir begrüssen ein solches Institut und werden uns wie die Spitäler für den Vorschlag einsetzen. Endlich geht es in eine gute Richtung und zugunsten der Patienten», frohlockte der damalige Präsident Jaques de Haller im Interview.

Inzwischen heisst das geplante Institut neu Zentrum für Qualität, und der FMH-Präsident hat gewechselt. Nun findet die Ärztevereinigung das Vorhaben des Bundes plötzlich unnötig. In der Vernehmlassungsantwort zum Zentrum schreibt er: «Von Defiziten bei der ­Patientensicherheit zu sprechen, findet die FMH (. . .) weder adäquat noch zielgerichtet.» Das Zentrum bringe vor ­allem Doppelspurigkeiten zu bereits vor­handenen Aktivitäten.

Der FMH steht damit keineswegs allein da. «Wie so häufig bei Qualitäts­diskussionen sind alle im Prinzip dafür, konkret aber gegen das vorgeschlagene Modell», sagt Oliver Peters, Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit (BAG). An einer Veranstaltung des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ) in Thun stellte er unlängst die Resultate der im September abgeschlossenen Vernehmlassung vor. Die Ärzte, die Spitäler und ein Teil der Krankenversicherer sähen es demnach lieber, wenn der Bund eine ausschliesslich koor­dinierende Rolle übernehmen würde.

Zu den befürchteten Doppelspurigkeiten gehören auch die Aktivitäten des Vereins für Qualitätsentwicklung in ­Spitälern und Kliniken ANQ, der jetzt Zahlen zu Wundinfektionen an Spitälern veröffentlicht hat. Allerdings räumen Beteiligte ein, dass der ANQ zumindest teilweise deshalb existiert, weil der Bund aktiver geworden ist. Das Problem der Spitalinfektionen ist schon seit Mitte der 90er-Jahre ein grosses Thema. Es dauerte allerdings mehr als zehn Jahre, bis der von den Spitälern, Versicherern und Kantonen getragene Verein g­e­gründet wurde.

1000 vermeidbare Todesfälle

Mit dem vorgeschlagenen Qualitäts­zentrum möchte der Bund jedoch mehr als nur koordinieren. Es hätte 32 Millionen Franken jährlich zur Verfügung, um Aktivitäten im Bereich Qualitätssicherung zu verstärken. Davon würden nur fünf Millionen Franken für das Zentrum selber fliessen, der Rest ginge an Projekte von Universitäten, Fachhoch­schulen und an Private.

Von der Gesamtsumme hat der Bund 22 Millionen Franken im Bereich Qualität und Patientensicherheit vorgesehen. Finanzieren würden dies die Versicherten mit jährlich 3.50 Franken pro Person. Mit dem Geld könnten bestehende und neue nationale Programme vorangetrieben werden. Darunter die Erfassung der Spitalinfektionen, aber auch solche zur Fehlerminimierung in der Chirurgie und bei Arzneimittelgaben. Die restlichen 10 Millionen Franken, die der Bund beisteuern würde, wären für die regelmässige Überprüfung von me­dizinischen Leistungen der Kranken­versicherungen vorgesehen. Solche sogenannten Health Technology Assessments, kurz HTA, führt in der Schweiz heute das von den Kantonen und dem FMH getragene Swiss Medical Board durch. Es verfügt allerdings nur über ein schmales Budget und machte mit umstrittenen Entscheidungen zur Mammografie zuletzt von sich reden.

Zu den wenigen Befürwortern des Zentrums gehört der Dachverband Schweizerischer Patientenstellen. «Wir brauchen unbedingt ein solches Qualitätszentrum», sagt die Präsidentin Erika Ziltener. Die Zürcher SP-Kantonsrätin war bei den Vorbereitungen für die ­Qualitätsstrategie und Umsetzung in­volviert, zusammen mit Vertretern der Ärzte, Spitäler, Krankenkassen, Kantone und der Stiftung für Patientensicherheit.

Im Gegensatz zum FMH ist für Ziltener unbestritten, dass die Qualität der Medizin in der Schweiz verbessert werden muss. Einer von zehn Patienten ­erleide im Rahmen einer Behandlung einen Zwischenfall, der zu einer Schädigung führe, sagt sie. «Davon wäre die Hälfte potenziell vermeidbar.» Ziltener hätte sich beim Qualitätszentrum deshalb mehr Verbindlichkeit und Sank­tionsmöglichkeiten gewünscht. «Es gibt bereits viele Massnahmen, von ­denen man weiss, dass sie die Patienten­sicherheit deutlich verbessern, die aber nicht umgesetzt werden.»

Für die Patientenvertreterin ist klar, dass das heutige freiwillige System nicht funktioniert: «Wenn ein Spital oder ein Arzt etablierte Massnahmen zur Qualitätssicherung nicht einführt und es zu einem Behandlungsfehler kommt, möchten wir künftig dazu übergehen, dies für die Beweisführung bei einer Sorgfaltspflichtverletzung einzusetzen.»

Von rund 1000 vermeidbaren Todesfällen durch Behandlungsfehler pro Jahr geht Oliver Peter, Leiter Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung beim BAG, aus. «In einem Verpackungszentrum des Fleischfabrikanten Bell ist die Durchsetzung von Hygienemassnahmen rigoroser als in den Operationszentren Schweizer Universitätsspitäler.» Das Gesamtbudget von knapp zwei Millionen Franken, das heute dem BAG jährlich für Qualitätsbestrebungen zur Verfügung stehen würde, sei nicht viel im Vergleich zu den finanziellen Mitteln etwa bei der Verkehrssicherheit oder der Aids­bekämpfung. Dass es in der Schweiz Handlungsbedarf gäbe, haben zudem auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Berichten ver­schiedentlich bemängelt.

Nach der Kritik von allen Seiten suche das BAG nun den «konstruktiven Dialog» mit den Akteuren im Gesundheitswesen. Man habe bererits neue Vorschläge erarbeitet, sagt Peters. «Für mich ist ein nationales Qualitätszentrum nicht der einzig denkbare Weg.» Wie die konkrete Lösung aussehen wird, die man 2015 dem Parlament unterbreitet, ist aber noch offen.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 02.12.2014, 22:37 Uhr)

Komplikationen nach chirurgischen Eingriffen

Halbherzige Transparenz bei Spitalinfektionen

Erstmals können Patienten Spitäler anhand ausgewählter Infektionsraten vergleichen.

Es ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz für Patienten: Am Dienstag veröffentlichte der Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken ANQ zum zweiten Mal Daten zu Wund­infektionen und schlüsselte dabei erstmals die Häufigkeiten nach Institution auf. Patienten können nun auf der Website von ANQ unter den Namen der Spitäler die Infektionsraten einsehen und vergleichen.

Die Daten legen offen, dass bei den acht bei der Erhebung erfassten Operationen vielerorts Handlungsbedarf besteht. Das Spital Männedorf hat beispielsweise überdurchschnittlich hohe Infektionsraten bei Blinddarm- und Gallenblasenoperationen, das Kantons­spital Aarau bei Leistenbruchoperationen, die Kantonsspitäler Baden und Graubünden und das Berner Inselspital bei Dickdarmoperationen. Beim Kaiserschnitt steht das Spitalzentrum Biel schlecht da, bei Hüftprothesen unter anderen die Solothurner Spitäler, bei Kniegelenkprothesen das Salem-Spital Bern. Bei der Herzchirurgie waren die Infektionsraten bei allen Zentren in etwa gleich. Die Spitäler mit auffälligen Infektionsraten monieren unter anderem Einschränkungen bei der Daten­erhebung. Einige verweisen zudem darauf, dass inzwischen bereits Qualitätsverbesserungen umgesetzt worden seien.

Generell weisen Knietotalprothesen mit 0,9 Prozent die tiefste Infektionsrate auf, die Dickdarmchirurgie mit 13,6 Prozent die höchste. Im Vergleich zur ersten Erhebung, die 2013 veröffentlicht wurde, gab es keine statistisch auffälligen Änderungen bei den einzelnen Eingriffen.

Noch nicht alle Spitäler dabei

Mit der Veröffentlichung der Infektionsraten bewegt sich der ANQ auf einem Minenfeld. Der Verein wird unter anderem vom Spitalverband H+, von Krankenversicherern und den Kantonen getragen, die zum Teil gegenläufige Interessen haben. Entsprechend ist die Transparenz für Patienten nur halbherzig: Die Website ist schwer auffindbar, und auf Spitalranglisten wurde bewusst verzichtet. «Unser Hauptziel ist, dass sich die Spitäler verbessern», sagt Petra Busch, Geschäftsleiterin des ANQ. Sie erwartet zudem, dass Kantone und Krankenversicherer aufgrund der Erhebungen auf Spitäler Druck ausüben könnten.

Insgesamt wurden 38'000 chirurgische Eingriffe erfasst; Bauchoperationen und Kaiserschnitte im Zeitraum zwischen Oktober 2011 und September 2012, Gelenkimplantate und herzchirurgische Operationen ein Jahr früher. Aufgezeichnet wurden auch Infektionen, die sich erst in den 30 Tagen nach Spitalaustritt manifestierten. Wenn ­Implantate im Spiel waren, dauerte die Nachbeobachtung zwölf Monate. Eine wichtige Einschränkung ist, dass erst 118 der insgesamt 158 Spitäler mitmachten. Die restlichen lassen sich aus organisatorischen Gründen offenbar erst bei der nächsten Veröffentlichung einbeziehen.

«Wundinfektionen sind sehr relevant», sagt Christian Ruef, Infektiologe und Mitglied des Vereins Swissnoso, welcher die Erhebung für den ANQ durchgeführt hat. Er rät jedoch Patienten ab, ein Spital einzig aufgrund dieser Daten auszuwählen. Unter anderem auch, weil andere, nicht erfasste Spitalinfekte wie Blutvergiftungen oder Lungenentzündungen ähnlich bedeutsam sind.

Felix Straumann

(Tages-Anzeiger)

Leave a Reply