Die Psychologie des Wilderers

Menschen wie Alois H. leben in zwei Welten. Eine davon ist ihre Fantasiewelt, sagt der Leiter des psychologischen Dienstes im Innenministerium, Claus Polndorfer. Er präsentierte gemeinsam mit Kollegen den Abschlussbericht der Einsatz-Evaluierung.

Acht Monate nach dem Wilderer-Fall in Annaberg, wurde am Donnerstag der Evaluierungsbericht über den Polizeieinsatz präsentiert - mehr dazu in Fall Alois H: Polizeieinsatz „ohne Fehler“. Claus Polndorfer erläuterte dabei die psychologischen Aspekte. Er ist Leiter des psychologischen Dienstes im Innenministerium und spricht im Interview mit Anna Wohlmuth über die Persönlichkeit des Alois H. sowie den psychologischen Aspekt des Einsatzes, aus Sicht der Polizisten.

noe.ORF.at: Man hat Bilder gesehen, die Alois H. in Tarnausrüstung zeigen. Es gibt viele, die sagen, so etwas hätten wir ihm nie zugetraut. Hatte er so etwas wie zwei Gesichter, wie ist das psychologisch erklärbar?

Polndorfer: Derartige Menschen haben immer mehrere oder auch zwei Perspektiven beziehungsweise zwei Welten, in denen sie leben. Es hat sich offensichtlich auch hier eine Fantasiewelt aufgebaut, in der er in einem völlig anderen Menschsein gelebt hat, wo er Bestätigungen gesucht hat, wo er kriminelle Handlungen gemacht hat, und zum anderen, wo er aber auch ein „ziviles Leben“ relativ unauffällig geführt hat. Rückblickend erleben wir es immer wieder, dass dann auch andere, die ihn kannten, natürlich sagen: ‚Das war für mich völlig unverständlich, ich verstehe nicht, wie ein Mensch so etwas machen konnte.‘

Rückblickend tauchen dann immer mehr Fakten auf, die einen derartigen Zustand doch besser erklären können. Das Signifikante ist, dass oft in dieser dualen Welt in der jemand lebt, es nicht ad hoc festgestellt werden kann, und es auch meistens keine Auffälligkeiten gibt, weil diese Fantasiewelt nur in der anderen Welt ausgelebt wird. Deshalb ist er für den zivilen Bereich unauffällig, aber höchst anders und auch pathologisch ausgerichtet in anderen Lebenswelten.

Claus Polndorfer

ORF

Claus Polndorfer ist Leiter des psychologischen Dienstes im Innenministerium

noe.ORF.at: Man hat gehört, er hat sich ab einem Zeitpunkt so verhalten, dass er sich nicht mehr stoppen ließ. Muss es dafür, psychologisch gesehen, so etwas wie eine Initialzündung geben?

Polndorfer: Es ist davon auszugehen, wenn jemand von langer Hand den Tod des eigenen Lebens in Kauf nimmt bzw. auch den Suizid von langer Hand plant, dass er sich durch niemanden und nichts stoppen lässt. Eine Initialzündung ist es dann, wenn die Fantasiewelt zusammenbricht und ich erkenne, dass meine Parallelwelt, die ich mir aufgebaut habe, nicht mehr haltbar ist. Und es ist davon auszugehen, dass diese Person sich bereits entschlossen hat, wenn es eine Aufklärung seiner strafbaren Handlungen gibt, dass er dann auch mit seinem eigenen Leben abschließt und das dann auch in Kauf nimmt.

noe.ORF.at: Sie sprechen von einem „völlig außergewöhnlichen Täterparadigma“ - was heißt das, inwiefern ist es außergewöhnlich?

Claus Polndorfer: Außergewöhnlich und eben atypisch war insbesondere die Gewaltbereitschaft, die er gegenüber den Einsatzkräften gezeigt hat. Wie Sie wissen, hat Alois H. drei Polizisten und auch einen Sanitäter gezielt und berechnend ermordet und er hat, was wir aufgrund der objektivierbaren Faktenlage sagen können, von langer Hand seinen Suizid geplant. Das heißt, es war ihm jedes Mittel Recht, um sich - und das ist besonders wichtig - offensichtlich an seinem Wohnort das Leben zu nehmen.

noe.ORF.at: Man konnte mit ihm ja nicht mehr sprechen, aber ist das aus psychologischer Sicht auf etwas zurückzuführen, dass er unbedingt dorthin wollte und jede Barriere dafür durchbrach?

Claus Polndorfer: Letztlich ist das auch auf Mutmaßungen aufgebaut, weil wir ja, wie Sie richtig sagen, mit dem Täter nicht mehr sprechen konnten. Aber gewisse Umstände - da ersuche ich Sie um Verständnis, dass ich darauf nicht im Detail eingehen kann - sprechen dafür, auch aufgrund privater Gegebenheiten, dass genau sein Wohnhaus der Bereich war, wo er sich letztlich das Leben nehmen wollte. Er hätte ansonsten viele andere Möglichkeiten gehabt, die er nicht gewählt hat. Und letztlich kann man nie in einen Täter oder auch pathologischen Menschen hineinschauen, und es war mit Sicherheit bereits pathologisch, dieses Verhalten, was jemanden dazu führt. Aber, selbstverständlich befinde ich mich auch, wenn ich zu Hause bin, in einem völlig anderen Setting wieder, als irgendwo anders.

noe.ORF.at: Um zu den Einsatzkräften zu kommen - auch da haben Sie den psychologischen Aspekt betont. Sie sagen, derartige Situationen kann man einfach nicht trainieren - inwiefern nicht?

Polndorfer: Lebensgefahr lässt sich nicht trainieren und wäre auch ethisch nicht vertretbar. Man kann Hochstress-Situationen trainieren und das tun wir auch. Wir haben eine ausgezeichnete Ausbildung, nicht nur im psychologischen Bereich sondern auch einsatztaktisch, wo natürlich solche Situationen trainiert werden. Aber letztlich - die Verhaltensweisen so einer Person lassen sich niemals in einem künstlichen Setting nachstellen. Aber, und das Verhalten unserer Polizisten spricht auch dafür, letztlich haben sich die Kollegen trotz dieser Hochstress-Situation so verhalten, wie es auch schon wieder professionell und außergewöhnlich ist. Aber es bleibt eine höchstbelastende beanspruchende Situation für jeden.

noe.ORF.at: Sie sagen auch - „die Einsatzkräfte hätten es nicht anders machen können“. Können Sie das kurz erläutern?

Polndorfer: Die Einsatzkräfte haben den schwerstverletzten Kollegen erstversorgt. Üblicherweise, wenn jemand nicht auf gefährliche Einsatzlagen basiert ist, fehlt vielen Menschen dann die Möglichkeit hier noch konkrete, überlegte, taktische Handlungsweisen setzen zu können. Diese Beamten haben höchst professionell reagiert, die Erstversorgung vorgenommen und auch alle anderen Maßnahmen eingeleitet. Das bedeutet, trotz massiver externer Belastungsfaktoren ist hier ein höchst professionelles Vorgehen im hoch konzentrativen Bereich gezeigt worden.

Das Gespräch führte Anna Wohlmuth, noe.ORF.at

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Publiziert am 24.05.2014

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