Die Psychologie des Hexenbrennens

Ein Erfolgsautor ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. 120 Literaturinteressierte wollten in der überfüllten Stadtbibliothek hören, was Roman Rausch zu seinem neuesten Roman „Die Kinderhexe“ zu sagen hat (die Main-Post brachte bereits eine ausführliche Rezension am 20. Dezember 2011). Diese Besucherzahl ist ein Vielfaches von Leuten, die in Gerolzhofen gewöhnlich eine Autorenlesung besuchen.

Zuerst einmal legte Roman Rausch – angetreten im schlichten Sakko und mit Dreitagebart – ein klares Bekenntnis zu Gerolzhofen als seiner Geburtsstadt ab. Sie war über weite Strecken seiner Kindheit neben seinem Wohnort Reupelsdorf ein Lebensmittelpunkt. In Reupelsdorf lebt heute noch Rauschs 93-jährige Mutter, die beim Gerolzhöfer Gastspiel ihres Sohnes mit im Publikum war.

In seinem Wikipedia-Eintrag und auch in der Kurzbiografie auf der Umschlagseite des Romans ist von Würzburg als Rauschs Geburtsort die Rede. Rausch dazu: „Was man einmal elektronischen Medien anvertraut hat, ist nie mehr zu löschen.“

In den Ferien oft in Gerolzhofen

Im Gespräch mit der Main-Post erzählt der Erfolgsautor, dass er in seiner Kindheit viele Ferienzeiten bei seinem Onkel Raimund verbrachte, der in Gerolzhofen in der Sudetenstraße die Gaststätte „Zur Siedlung“ führte. Dann verlor er Gerolzhofen allerdings für längere Zeit aus den Augen. Erst vor zwei Jahren kehrte er zurück, um hier Recherchen für seinen zweiten historischen Roman anzustellen.

Auch wenn das Feld Hexenverfolgung und Hexenwahn literarisch bereits stark beackert ist – der Aspekt der Kinderhexe ist neu. „Bei meinen Recherchen über die Zeit der Hexenverfolgung bin ich immer wieder dem Wort Kind begegnet“, erklärt Rausch zur Entstehungsgeschichte des Romans. Sechs- bis achtjährige Kinder seien auch hier in Franken der Hexerei bezichtigt worden und auf dem Scheiterhaufen gelandet. Das war vor 300 Jahren. Doch in Afrika, so Rausch, gibt es dieses Phänomen immer noch. Dort werden Kinder als Sündenböcke für irgendwelche Fehlentwicklungen gebrandmarkt.

90 spannende Minuten lang zitierte der Autor dann vor gebannt lauschendem Publikum teils auch längere Passagen überwiegend aus der ersten Hälfte des Romans. Immer von einer anderen Seite beleuchtet Rausch die psychologischen Hintergründe des Hexenbrennens – aus der Perspektive von Kindern, Eltern, Verwandten und dem Klerus.

Schon im 17. Jahrhundert war die Hinrichtung von Kindern eigentlich tabu, doch die apokalyptische Panik in einer Zeit von Krieg, Pest und Missernte sorgte dafür, dass das vorhandene Recht beliebig gebeugt wurde. Rausch beschreibt das im Prolog seines Romans durch das zerknirschte Schuldeingeständnis des berüchtigten Hexenkommissars Dr. Philip Dürr: „Der Himmel öffnete sich und heraus traten sieben Engel mit den sieben Plagen. Das Ende aller Tage war angebrochen. Die Abrechnung stand bevor.“ Aber noch immer glauben die Verantwortlichen auch in Kirchenkreisen, das Schicksal selbst in der Hand zu haben. In ihrer Vermessenheit, so gesteht Dürr, suchten sie nach Schuldigen. Ergebnis: das Hexenbrennen. „Die Scheiterhaufen brannten an vielen Orten, doch nirgends so oft wie zu Gerolzhofen und vor den Toren dieser Stadt {gemeint ist Würzburg}“.

Vieles in diesem Roman ist nicht Fiktion, sondern Realität des Jahres 1629. Auch die unvorstellbaren Grausamkeiten. Eine davon erspart Rausch seinen Zuhörern nicht. Einer Frau werden bei der Exekution die Brüste abgetrennt. Was einmal Kinder genährt hat, geht elendiglich zugrunde.

Aus der Vogelperspektive

Wie an diesem Beispiel zu sehen, überhöht der Autor die Vorgänge an vielen Stellen poetisch und zeigt, dass „Die Kinderhexe“ kein sensationslüstern heruntergeschriebener Roman ist. Da ist der Kolkrabe, der sich leitmotivisch als Vorbote des Todes durch den Roman zieht. „Das sind meine Augen, mit denen ich die Dinge aus der Vogelperspektive betrachte“, sagt Rausch im Gespräch. Und erklärt: Tiere, die dem Menschen keinen Nutzen bringen, werden oft als unästhetisch dargestellt, sind verhasst und verfolgt. Die gleichen Tiere werden in der Bibel viel positiver dargestellt.

Bis zum Ende von Rauschs Vortrag war kaum ein Nachlassen der Anspannung in den Gesichtern der Zuhörer aus jener Stadt zu sehen, für die die Hexenverfolgung eins der dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte bedeutet. Rausch hat offensichtlich Eindruck hinterlassen.

Der wird – ganz leicht – geschmälert, weil der Autor seinen Text vom sterilen Tablet ablas, wo er sich doch eingangs klar für das Medium Buch ausgesprochen hatte. Er hätte deshalb durchaus ein Buch aufklappen können. Schließlich ist es ja auch das Buch, mit dem Rausch seinen Lebensunterhalt verdient: Schon kurz nach dem Erscheinen war die erste Auflage der „Kinderhexe“ (10 000 Exemplare) vergriffen; die zweite liegt bereits in den Buchläden.

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