Die Psychologie der Steuerhinterzieher

Eine Brille liegt auf einem Formular für das Finanzamt, daneben ein Taschenrechner

Kaum jemand zahlt gerne Steuern, obwohl alle von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen profitieren. Besonders Selbstständige und Unternehmer kennen die legalen Wege, Steuern zu vermeiden, oder neigen gar zur Steuerhinterziehung. Auf welchen psychologischen Mechanismen das beruht, erklärt der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler von der Uni Wien.

Wirtschaft
05.03.2012

science.ORF.at: Die Aufregung um den ehemaligen Finanzminister Karlheinz Grasser, der nach Medienberichten 2009 nur 920 Euro Einkommenssteuer gezahlt haben soll, ist nur das letzte Beispiel für den generellen Verdacht: Die Reichen können es sich beim Steuerzahlen richten, die Armen nicht. Stimmt das überhaupt?

Porträtbild von Erich Kirchler

Erich Kirchler ist Vizedekan der Fakultät für Psychologie und stellvertretender Vorstand des Instituts für Wirtschaftspsychologie, Bildungspsychologie und Evaluation an der Universität Wien.

Veranstaltung:

Am 6. März 2012, 18.00 Uhr, findet die Veranstaltung des Wissenschaftsfonds FWF Am Puls: "Moral die Marie - Steuerehrlichkeit in modernen Zeiten" statt.
Ort: Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße 13, 1090 Wien

Bücher:

Erich Kirchler: Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat; Verlag Hogrefe 2011
Erich Kirchler: The Economic Psychology of Tax Behaviour, Cambridge University Press 2007

Studien:

Links:

Erich Kirchler: Der Effekt der Einkommenshöhe auf die Steuerhinterziehung wird in der Ökonomie und in der Psychologie untersucht. Die Ergebnisse der Studien sind aber nicht eindeutig. In einer jüngst durchgeführten Untersuchung wurde nachgewiesen, dass ein höheres Einkommen eher zu Hinterziehung verführt. Ich würde dieses Ergebnis aber nicht verallgemeinern.

Was sind generell die wichtigsten Variablen, die Menschen eher zu ehrlichen Steuerzahlern oder eher zu Steuerhinterziehern machen?

Es gibt davon eine Reihe. Wer mehr Möglichkeiten hat zu hinterziehen, neigt eher dazu als andere. Selbstständige, die Möglichkeiten haben, Steuern zu reduzieren oder zu hinterziehen - die Grenzen zwischen legalem und illegalem Handeln sind ja nicht sehr scharf - neigen eher dazu. Unselbstständige Nettolohnempfänger haben kaum Möglichkeiten und neigen deshalb auch weniger zu Hinterziehung. Selbstständige und Unternehmen haben Möglichkeiten, Einnahmen und Ausgaben und damit ihre Steuererklärung kreativ zu gestalten. Individuelle Steuerzahler, die ein Bruttoeinkommen beziehen, zahlen ihre Steuern "out of pocket", aus der eigenen Tasche, und deshalb nehmen sie Steuern als einen Verlust wahr, im Gegensatz zu Personen, die ihren Nettolohn erhalten. In Verlustsituationen findet man eine höhere Neigung zur Risikoakzeptanz. Wer geneigt ist, Risiko in Kauf zu nehmen, ist auch eher in der Gruppe der Steuerhinterzieher zu finden.

Was ist der psychologische Mechanismus dahinter?

Wenn Sie Nettoeinkommen beziehen, dann werden Steuern als ein entgangener Gewinn, aber nicht als Verlust wahrgenommen. Wenn Sie die Steuern hingegen aus der eigenen Tasche bezahlen, weil Sie das Gehalt brutto erhalten haben, dann erleben Sie die Steuerzahlung als Verlust. Verluste werden etwa doppelt so stark empfunden wie Gewinne, und es wird versucht, einen Verlust wieder wettzumachen. In Verlustsituationen scheinen Menschen eher bereit, Risiko zu nehmen, also auch illegale Handlungen zu setzen.

Gegen Steuerhinterziehung setzen Behörden auf Kontrollen und Strafen. Nützen die etwas?

In den klassischen rationalen Modellen der Ökonomie wird angenommen, dass Menschen überlegen, welche Option den größten Nutzen bringt und dass sie diese Option wählen. Wenn das zutrifft, müssten sich Steuerzahler nach der Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle und der Höhe der Strafe im Falle eines entdeckten Fehlverhaltens orientieren. Kontrollen und Strafen wirken tatsächlich, aber weit weniger als theoretisch angenommen. Menschen glauben z.B. nach einer Steuerprüfung, dass die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Steuerprüfung in nächster Zeit geringer wäre, und neigen deshalb nach einer Prüfung eher zur Hinterziehung als zuvor. Wer geprüft wurde und eine Strafe zahlen musste, unterschätzt nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Prüfung, sondern ist auch bestrebt, den entgangenen Verlust - Steuer plus Strafe - wieder gutzumachen und in der nächsten Zeit dafür etwas zu riskieren.

Strafen und Kontrolle helfen also nicht immer gegen Steuerbetrug?

Es gibt einige Untersuchungen, die zeigen, dass Kontrollen zwar wirksam sind, aber nicht in dem Ausmaß wie es das rationale Menschenbild vermuten lassen würde. Strafen können auch den entgegengesetzten Effekt haben als den gewünschten. Eine klassische Studie aus dem Jahr 2000 zeigt, dass Eltern, die ihre Kinder zu spät aus einem Kindergarten abholten und dafür eine Strafe bezahlen mussten, gerne dazu bereit waren. Sie verstanden die Strafe als Preis für das Zuspätkommen, fühlten sich im Vergleich zu anderen Eltern, die keinen Preis zu zahlen hatten, nicht mehr schuldig und holten ihre Kinder noch später ab als vor Einführung der Strafe.

Kann man daraus Lehren ziehen für den Umgang mit Steuerhinterziehern?

Menschen handeln nicht nur nach rationalen Kriterien, ob sie Gefahr laufen, bestraft zu werden oder nicht, sondern auch nach sozialen Normen, nach Fairnessprinzipien und entsprechend ihrer Einstellungen. Daran sollten sich die Behörden orientieren. Die Behörden wissen seit Langem, dass die Steuergesetze nicht nur komplex sind, sondern die Grenzen zwischen legalem und illegalem Handeln mitunter unklar sind. Manche Fälle bleiben Auslegungssache und das Ergebnis einer Prüfung bleibt letztlich das Ergebnis mehr oder minder geschickten Verhandelns. Die Möglichkeiten der Behörde bestehen in erster Linie darin, Maßnahmen zu setzen, die soziale Normen, Gerechtigkeitsüberlegungen und positive Einstellungen fördern.

Anstatt in den Medien zu verbreiten, wie viele Menschen im Lande Steuern hinterziehen, ist es sinnvoller zu erklären, wie hoch die Steuerehrlichkeit ist, was mit den Steuergeldern an öffentlichen Gütern bereitgestellt wird, was fehlen würde, wenn die Steuern hinterzogen würden etc. Je mehr die Sinnhaftigkeit von Steuern betont wird, desto selbstverständlicher wird die Kooperation von Bürgern und Behörden und desto schwerer fällt es, sich unfair zu verhalten.

Kann man es quantifizieren, wie viel Prozent einer Gesellschaft Steuern hinterziehen?

Das ist schwierig. Zum einen weil es schon gar nicht leicht zu entscheiden ist, wann eine Hinterziehung überhaupt vorliegt. Es gibt einen Graubereich, die Finanz entdeckt nicht alle illegalen Fälle, manches Verhalten ist illegal, aber nicht beabsichtigt. Es gibt Versuche, die Schattenwirtschaft zu messen. Aber auch diese Messungen sind nicht unproblematisch, wo doch das gemessen werden soll, was im Dunkeln bleiben will.

Ist es dann seriös, die Steuermoral verschiedener Länder zu vergleichen?

Es gibt einige redliche Versuche in Bezug auf die Schätzung der Schattenwirtschaft, und man kann davon ausgehen, dass Steuerhinterziehung in einem ähnlichen Prozentsatz vorliegt. Diese Studien zeigen enorme Unterschiede: Österreich gehört z.B. zu jenen Ländern, wo die Steuerehrlichkeit besonders hoch und die Schattenwirtschaft besonders niedrig ist. Griechenland dürfte in Europa jenes Land sein, wo die Schattenwirtschaft am stärksten ausgeprägt ist, Italien folgt als nächstes Land. Die Schweiz steht immer an der Spitze der ehrlichen Länder.

Ändert sich in Krisenzeiten wie heute etwas an der Steuerehrlichkeit?

Wenn das Einkommen geringer und die Not größer wird, wird natürlich versucht, möglichst sparsam zu wirtschaften. Möglicherweise führt das dazu, dass auch vermehrt nach Möglichkeiten gesucht wird, Steuern legal zu reduzieren. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass deshalb mehr illegale Handlungen gesetzt werden.

Der Versuch mit höheren Steuern einen Staat zu sanieren, wie das gerade in Griechenland gemacht wird, könnte aber auch den entgegengesetzten Effekt erzielen?

Die Frage zielt darauf ab, ob die Steuerehrlichkeit vom Steuerdruck abhängt. So wie in Bezug auf Einkommen gibt es auch zum Einfluss der Steuerrate keine eindeutigen Ergebnisse. Selbstverständlich ist anzunehmen, dass sich bei besonders massivem Steuerdruck auch das Verhalten ändert. Eine schwedische Studie aus jenen Jahren, in denen Schweden eine sehr hohe Steuerrate hatte, zeigt, dass nicht die illegalen Handlungen zunahmen, sondern die Steuerzahler weniger arbeiteten. Es hatte sich nicht mehr rentiert, mehr zu arbeiten um mehr zu verdienen.

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat vor Kurzem vorgeschlagen, von einem verpflichtenden Steuersystem wegzugehen und ein freiwilliges Abgabesystem der Vermögenden einzuführen. Was halten Sie davon, und würde das überhaupt funktionieren?

Ich finde diese Überlegungen sehr interessant, über weite Strecken auch amüsant, glaube aber nicht, dass wir von heute auf morgen "den Schalter umlegen" können. So schnell ändert sich das Wohlwollen des Einzelnen für die Gemeinschaft nicht; so schnell werden wir nicht jene freiwillige Steuerzahlung etablieren, wie gewünscht wird. Bis wir diese Umstellung zum Mäzenatentum geschafft haben, untersuchen wir, inwieweit wir die Tendenz zu freiwilliger Kooperation stärken können. Dazu müssen Schritte gesetzt werden, weg von einer Machtausübung der Behörden, wie wir sie heute finden, hin zu einer Expertenmacht, von einer Misstrauenskultur zu einer Vertrauenskultur. In einer Vertrauenskultur werden Steuerzahlungen nicht erzwungen, sondern erfolgen freiwillig.

Sie halten Sloterdijks Ideen also prinzipiell für machbar?

Ich halte sie für sehr optimistisch.

Zahlen Sie selbst gerne Steuern?

Die positiven Emotionen halten sich auch bei mir in Grenzen, aber ich habe durchaus Einsicht in ihre Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit, und weiß zu schätzen, was der Staat an öffentlichen Gütern auch mir zur Verfügung stellt.

Bei Ihnen würde Sloterdijks Modell also funktionieren?

Es müsste die Sicherheit geben, dass erstens die öffentlichen Güter tatsächlich in fairem Maße zur Verfügung gestellt werden und zweitens die Einstellung des freiwilligen Steuerzahlens auch bei meinen Mitmenschen gegeben ist.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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