Die Psychologie der Puppen

Köln. 

Als Puppe kniet die schöne Prostituierte auf einem Förderband. Unaufhaltsam gleitet Shen Te ans Ende, dem sicheren Sturz entgegen. Doch im letzten Moment eilen die Götter herbei, fangen sie auf, stellen sie wieder aufs Band, wo sie graziös zur getragenen Musik tanzt. Eine Szene wie aus Wong Kar-Wais "In the Mood for Love", in Wahrheit aber eine Impression aus den Proben für Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" im Depot 2 des Kölner Schauspiels.

"Warum ist die jetzt locker?" fragt Regisseur Moritz Sostmann, als Shen Te die Perücke verliert. Überhaupt sprintet er oft aus dem Parkett auf die Bühne, sagt den Schauspielern, wie sie die fast menschengroßen Puppen führen sollen. Und tatsächlich, als Shen Te nun neben den Beinen auch die Arme bewegt (bekommt), wird ihr Tanz noch anmutiger. Irgendwann freilich zieht sich Puppenführerin Magda Lena Schlott in Windeseile um und stöckelt selbst als Shen Te über die Riesenbühne.

Eins merkt man schon nach wenigen Schnupperminuten: Es ist eine ganz besondere Art des Puppenspiels, die Moritz Sostmann als einer der vier Hausregisseure am Schauspiel Köln hier erstmals am 28. September zeigt.

Puppenspieler als Beruf?

Zwar hat er als Kind oft bei den Proben im Puppentheater von Halle an der Saale zugeschaut, wo seine Mutter arbeitete. "Aber eigentlich wollte ich Design studieren. Dann sind zwei Freunde und ich mit Tandems und Wagen an der Ostsee entlanggefahren und haben uns mit Puppenspiel ein bisschen Geld verdient. Da fragten plötzlich Leute, ob ich das nicht beruflich machen wollte."

Das tut er, und zwar äußerst bewusst. Die Puppen sieht er gegenüber Schauspielern sogar im Vorteil. "Mein Beispiel ist Richard III.: Was für eine Strapaze ist es für Schauspieler, bis die Leute erkennen, wie abgrundtief böse der ist. Die Puppe geht auf die Bühne, und man weiß sofort Bescheid." Das Besondere seiner Methode: Die Schauspieler sind stets als Führer der Puppen sichtbar. "Ich versuche immer auszutesten, inwieweit die Puppe autonom werden kann und inwieweit die Schauspieler zu einer puppenhaften Einfachheit kommen können."

Zwar entwickle die Puppe nur dank des Menschen Aura, "und doch hat man des Gefühl, die Aura käme aus ihr selbst". Selbst bei den "Buddenbrooks" nach Thomas Mann funktionierte das Konzept, "dass plötzlich die komplexe Psychologie der Figuren fast comic-haft lesbar wird". Als "Kind" der DDR freut sich Sostmann besonders, mit seiner vielschichtig-sinnlichen Arbeit am "Guten Menschen" die "Ideologielast von Brecht loszuwerden".

Intendant Stefan Bachmann ermunterte Sostmann in Köln zu einem aparten Experiment: "Ich durfte drei Pupenspieler meiner Wahl mitbringen - neben Magda Lena Schlott noch Philipp Plessmann und Johannes Benecke - und wir mischen das Trio mit traditionellen Schauspielern. Ich glaube, für die ist es ganz interessant, die Figur einmal nicht in sich selbst zu suchen."

Schwierige Wahl der Charaktere

Bei der Umsetzung kommt es dem 1969 in Halle geborenen Regisseur auf choreografische Präzision an - und auf die richtigen Darsteller. "Diese Menschenpuppen baut Atif Hussein. Er hat eine große Kunstfertigkeit für den Bewegungsapparat entwickelt, doch solche Finesse kostet natürlich Geld." Die Auswahl der "Charaktere" gleicht einem Film-Casting und geschieht nach einem Typenkatalog à la "Fellinis Faces". Stimmt eine Figur dennoch nicht exakt, kommt Hussein noch zum Feinschliff. "Dennoch gibt es auch Fehlbesetzungen."

Als nächstes inszeniert Moritz Sostmann hier im Januar Kafkas "Amerika", "und dabei versuchen wir, die Puppe in Gestalt von Kafka oder Karl Rossmann die Geschichte erzählen zu lassen, die dann von Menschen gespielt wird".

An Köln fasziniert Sostmann zunächst das "Hänneschen", "das ich mir unbedingt anschauen werde". Er ist nach Jahren als freier Regisseur froh, "jetzt mal wieder an dem Ort zu leben, wo ich arbeite". Mit seinem Partner Bruno Cathomas, der ebenfalls im Ensemble ist, wohnt er am Gürzenich, "wobei ich eine Hälfte des Monats für die Miete arbeite". Aber Köln, so der erste Eindruck, "macht es einem unglaublich leicht, sich wohl zu fühlen. In Berlin geht man zum Bäcker und wird angeranzt, hier habe ich noch nicht ein böses Wort gehört."

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