Die Psychologie der Hilfsbereitschaft

Essensausgabe, Kleiderkammer, Deutschunterricht – das Engagement der Hessen in der Flüchtlingshilfe ist groß. Psychologe Rolf van Dick erklärt, was die Menschen motiviert und warum wir die große Welle an Hilfsbereitschaft Pegida zu verdanken haben.

Fast jeder dritte Hesse engagiert sich nach Angaben des Sozialministeriums ehrenamtlich. Allein in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge und deren Außenstellen arbeiten 1.090 Ehrenamtliche, Helfer von THW, DRK und Johannitern nicht eingerechnet. Professor Rolf van Dick vom Lehrstuhl Sozialpsychologie an der Uni Frankfurt weiß, was hinter der Hilfsbereitschaft steckt.

hessenschau.de: Warum helfen Menschen anderen Menschen und aktuell vor allem Flüchtlingen?

Rolf van Dick: Zuerst einmal gibt es allgemein prosoziales Verhalten, also jedes Verhalten, was gut ist. Das kann zum Beispiel auch der Feuerwehrmann sein, der ein Feuer löscht. Beim hilfreichen Verhalten im engeren Sinne unterscheidet man zwischen reziproken und altruistischen Motiven. Die Reziprozitätsnorm gilt, wenn wir etwas für jemanden tun, weil der andere uns vorher einen Gefallen getan hat oder wir hoffen, dass er uns in der Zukunft einen Gefallen tun wird.

Diese Motivation spielt bei der Flüchtlingshilfe keine Rolle. Hier treffen altruistische Motive zu: Menschen helfen einfach deshalb, weil sie sich danach besser fühlen, ohne dass sie eine Rückleistung erwarten. Der Auslöser ist in den meisten Fällen das emotionale Mitgefühl mit den armen Menschen, die hierher kommen und Flucht und Vertreibung hinter sich haben.

hessenschau.de: Hat diese große Hilfsbereitschaft in Deutschland und Hessen auch mit Gruppendynamik zu tun?

Sozialpsychologe Prof. Dr. Rolf van Dick
Sozialpsychologe Prof. Dr. Rolf van Dick

van Dick: Solche Prozesse stecken sich natürlich gegenseitig an. In dem Moment, in dem ich sehe was andere tun, lasse ich mich dadurch beeinflussen – sowohl positiv als auch negativ. Ein Teil des Effekts, warum jetzt so viele Leute helfen wollen, liegt darin, dass es gute Beispiele gibt und dass die Medien darüber berichtet haben. Wenn wir denken, dass etwas normativ ist, weil es andere im Bekanntenkreis oder in der Stadt auch tun, werden wir auch eher motiviert, das zu tun.

hessenschau.de: Geschieht sozialer Einsatz und anderen zu helfen also immer auch aus Eigennutz?

van Dick: Das will ich nicht sagen, aber es ist von außen nie möglich Eigennutz auszuschließen. Selbst jemand wie Mutter Teresa könnte motiviert gewesen sein zu helfen, weil sie sich selbst gut gefühlt hat, durch die Berichte über sie. Das kann man als Psychologe auch nicht herausfinden, wenn man Leute befragt, weil man da natürlich auch sehr ehrlich zu sich selbst sein müsste. Aber selbst wenn jemand auch ein bisschen deswegen hilft, weil er sich dadurch besser fühlt, macht es ja die Hilfeleistung nicht weniger wert.

hessenschau.de: Welche Menschen engagieren sich?

van Dick: Um in diesem Bereich zu helfen, spielt neben Empathie auch ganz stark die eigene Einstellung eine Rolle. Es sind sicherlich keine Menschen, die besonders viele Vorurteile gegenüber Ausländern haben, sondern im Gegenteil Menschen, die Ausländern generell positiv gegenüber stehen und möglicherweise im Bekannten- und Freundeskreis Ausländer haben.

hessenschau.de: Ist das Ausmaß dieser Hilfsbereitschaft ungewöhnlich groß und wenn ja, woran liegt das?

van Dick: Eine solche Welle der Hilfsbereitschaft habe ich in der Vergangenheit tatsächlich noch nicht wahrgenommen. Ich glaube, sie ist mitunter eine Antwort auf die Pegida-Aktionen. Hier wird ein Zeichen gesetzt und gesagt: Deutschland ist anders.

Anti Pegida-Demonstranten in Frankfurt
Anti Pegida-Demonstranten in Frankfurt

Man kann die jetzige Situation ganz gut mit dem Anfang der 90er Jahre vergleichen, als ungefähr auch so viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien hergekommen sind. Dort gab es zwar keinerlei Pegida-Bewegungen. Aber es gab viele Attentate gegenüber ausländischen Mitbürgern und Flüchtlingswohnheimen (in Rostock, Solingen und Mölln) mit vielen Toten. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass im Fernsehen Bilder von jubelnden Menschen am Bahnhof gezeigt wurden, die Flüchtlinge willkommen geheißen haben, oder dass sich viele Ehrenamtliche bei Kleiderkammern oder Essensausgaben engagiert haben. Von daher glaube ich, dass das auch eine Gegenreaktion auf Pegida und AfD ist.

hessenschau.de: Viele Menschen wollen immer mehr helfen, sobald sie erst einmal angefangen haben, andere hören relativ schnell wieder auf. Woran liegt das?

van Dick: In dem Bereich spielen Verstärkerprinzipien eine große Rolle. Wenn ich für etwas bestraft werde, tue ich das wahrscheinlich nicht mehr so oft. Wenn ich für etwas belohnt werde, tue ich das in der Folge häufiger.

In der Flüchtlingshilfe besteht die Gefahr, dass man sich als Helfer manchmal etwas anderes von den Flüchtlingen verspricht, als sie bereit sind zu geben. Flüchtlinge sind häufig traumatisiert und in einer ganz ängstlichen, unsicheren Situation, in der sie nicht immer wissen, wie sie auf die Helfenden reagieren sollen. Wenn dann die Verstärkung ausbleibt, zum Beispiel freudige Gesichter, die einen dankbar anschauen, dann fragt man sich vielleicht am Ende des Tages, ob man wiederkommen soll. Wenn die Helfer wahrnehmen, dass ihre Hilfe auch anerkannt wird – sei es durch offizielle Stellen, die Medien oder die Flüchtlinge selber – dann werden sie sich sicherlich auch weiterhin und öfter engagieren.

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