Die mächtigen Verfilzungen von Psychologie und Pharma

Miteinander Verfilzte sind vor allem Alliierte in Sachen Machterhalt. Klassisch sind die Verfilzungen von Politik und Wirtschaft. Diese bedeutet heute eine weitgehende Entmachtung der Politik. Nun ist aber Demokratie eigentlich die Herrschaft des Volkes. Verständlich also, dass man allergisch geworden ist gegen jenen Filz, der gemeinhin Korruption bedeutet. Nur vordergründig geht es dabei um Geld, im Grunde geht es um den Machtkampf zwischen intransparenten Filzklüngeln und der Demokratie. Filzen macht einige mächtig und reich, entmachtet aber die meisten. Filz vernichtet Demokratie.

Die gefährlichsten Filze entstehen wohl ohne verschwörerischen Generalplan, mit zufriedenen Filzläusen und naiven Außenstehenden. Ein solcher Machtfilz besteht zwischen Medizin und Pharmaindustrie, besonders krass zwischen Psychologie und Pharma.

Wie das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 21. Jänner thematisierte, scheinen die psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft zuzunehmen. Dies stimmt sicherlich für sozial- und stressbedingte Angststörungen und Depressionen. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung sind irgendwann davon betroffen. Tendenz stark steigend, besonders bei den Jüngeren.

Wir leben heute im Gegensatz zu vor 100 Jahren in einer eminent psychologisierten Gesellschaft. Parallel zum Bedeutungsverlust der klassischen sozialen Unterstützungsnetze nahmen Einfluss und Bedeutung der professionellen Seelenklempner zu, was ja an sich nicht schlecht sein muss. Allerdings fördert dies auch Unselbstständigkeit und Abhängigkeit. War man früher vorübergehend einmal „nicht gut drauf“, wird dies heute gleich als psychische Störung und daher als behandlungswürdig diagnostiziert. Sehr oft überdiagnostiziert, wie am Beispiel des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms von Kindern klar nachweisbar. Menschen werden gesellschaftskonform gemacht, eigentlich sollte es umgekehrt sein.

Keine Entscheidung im Leben scheint mehr ohne Psycho-Coaching möglich. Orakel, Sterne und Priester sind out, Psychowuzzis einer Unzahl von Schattierungen in. Dies bedeutet eine ungeheure Machtposition, die sie zudem ständig ausbauen. So bestimmen ein paar Psychiater und Psychologen über das „DSM“ (Diagnostic and Statistical Manual), den Katalog der weltweit „anerkannten“ Geisteskrankheiten. Waren dies 1980 noch etwa 250, so sind es in der aktuellen Neuauflage bereits 300, darunter so normale Dinge wie Sammelleidenschaft oder Schusseligkeit.

Weil ein Eintrag im DSM die Profilbildung von Psychologen fördert, wird schleichend jede Marotte als Geisteskrankheit definiert. Damit ist sie behandlungswürdig, krankenkassenfähig und die Pharma kommt prompt mit dem „richtigen“ Medikament (meist bekannten Inhalts und neuen Namens) auf den Markt. 70 Prozent der DSM-Experten sind übrigens eng mit der Pharmaindustrie verbandelt. Alles klar? So resultieren aus der Psychologisierung der Gesellschaft deren Übermedikamentierung und eine Einstellung bei den Jüngeren, dass ein Leben ohne Pillen unmöglich sei. Abhängigkeit, Gesundheitsschäden, darunter ein schrumpfendes Gehirn, sind die Folgen.

Macht über die Seele bedeutet Macht in der Gesellschaft. Und am bedrohlichsten sind wohl jene Änderungen, die ganz harmlos daherkommen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2013)

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