Die Dunkelheit im Herzen: Wenn Kinder depressiv werden

Hamburg/Heuchlingen (dpa/tmn) - Depression ist nicht nur eine Krankheit von Erwachsenen. Auch Kinder und Jugendliche kann sie treffen - mit ähnlichen Symptomen. Genauso wie Erwachsene brauchen Kinder dann Hilfe.

Vor dem Fenster mit den geschlossenen Jalousien scheint die Sonne. Drinnen, hinter den Jalousien, ist es dunkel. Genauso wie in Elisas* Gedanken und Gefühlen. Als die Depression Elisa fest umklammert hielt, war sie 15 Jahre alt. Doch die Krankheit kam viel früher. Wann genau, weiß Jörg Lohgard nicht. Er kennt Elisa erst, seit sie mit 15 in die betreute Wohngruppe in Hamburg kam, in der er als Sozialpädagoge arbeitet. Kinder und Jugendliche mit einer besonders schweren Lebensgeschichte oder besonders gravierenden Probleme finden dort Hilfe - wie Elisa.

Und wie sie leiden rund 12 Prozent aller Jungen und 20 Prozent aller Mädchen bis zu ihrem 18. Geburtstag mindestens einmal unter Depressionen. Das sind 4 bis 8 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland - mindestens ein Kind in jeder Schulklasse. Damit gehören Depressionen zu den häufigsten psychischen Störungen. Die World Federation for Mental Health, die jedes Jahr am 10. Oktober den Internationalen Tag der Seelischen Gesundheit ausrichtet, sieht in der Erkrankung gar eine globale Krise.

Doch die Hälfte der Fälle werde gar nicht erkannt, sagt der Kinder- und Jugendtherapeut Martin Baierl. Grund dafür sei oft, dass Eltern mit auffälligen Kindern nur zum Kinder- oder Hausarzt gehen. Wenn Kinder nicht mehr lachen können, keine Freude mehr an ihren Hobbys haben, sollten Eltern aber unbedingt einen Psychologen oder Therapeuten aufsuchen, der sich auf Kinder und Jugendliche spezialisiert hat, betont Baierl.

Die Anzeichen für eine Depression sind bei Kindern ähnlich wie bei Erwachsenen. Michael Schulte-Markwort von der Uniklinik Hamburg-Eppendorf zählt auf: Ständige Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Schlaf- und Essstörungen gehören dazu. Auch Konzentrationsstörungen, Aggressivität und ein geringes Selbstwertgefühl können Hinweise sein. «Depression hat viele unspezifische Symptome», sagt Baierl. «Die endgültige Diagnose kann nur ein Facharzt stellen.»

Ausgelöst wird die Krankheit häufig durch äußere, oft sehr einschneidende Faktoren. «Die häufigste Ursache ist die Trennung der Eltern», sagt Schulte-Markwort. Aber grundsätzlich könne jede langanhaltende Belastung oder ein kurzfristiges, schweres Problem der Auslöser sein, erklärt Baierl. Dazu gehören Überforderung in der Schule, Streit mit den Eltern, aber auch ein Migrationshintergrund. Elisas Vater war Alkoholiker, die Eltern trennten sich, die alleinerziehende Mutter konnte sich nicht ausreichend um die drei Kinder kümmern. Elisa plagten depressiontypische Verlustängste und Selbstzweifel.

Genauso wie Erwachsene brauchen Kinder Hilfe, um Depressionen zu überwinden. Nach der Diagnose folgt wie bei jeder Krankheit die Behandlung. Im Falle einer Depression ist das meist eine Gesprächs- oder Verhaltenstherapie. Bei einer mittleren bis schweren Depression wird die Behandlung in der Regel durch Antidepressiva unterstützt. Doch die wichtigste Medizin gerade in dieser Zeit ist eine gute Beziehung zu den Eltern.

Genauso wie bestimmte Lebensumstände Depressionen fördern, können andere Umstände vorbeugend wirken. Eine gute Atmosphäre zuhause, klare Grenzen, ein strukturierter Tagesablauf, ermutigende Worte der Eltern, Anerkennung stärken Kinder und machen sie immuner gegen die Folgen von Schicksalsschlägen und Belastungen. «Loben Sie ihr Kind», rät Baierl. «Und lösen Sie Probleme gemeinsam.» Bewegung, viel Licht, helle Räume sorgen außerdem für ein positives Lebensgefühl, fügt er hinzu. Und: «Eltern müssen auch dafür sorgen, dass es ihnen gut geht, sonst können sie ihren Kindern nicht zur Seite stehen.»

* Der Name wurde auf Wunsch der Betroffenen geändert.

Literatur:

- Baierl, Martin: Familienalltag mit psychisch auffälligen Jugendlichen: Ein Elternratgeber, Vandenhoeck Ruprecht, 240 S., Euro 19,90, ISBN-13: 978-3525404133

- Baierl, Martin: Wahsinnskinder? Informationen für Eltern zum Umgang mit ihren psychisch auffälligen Kindern, Broschüre als PDF kostenlos als Download auf der Seite des Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker

Hier gibt es weitere Infos zum World Mental Health Day (engl.)

Aktionswoche Seelische Gesundheit

Kostenloser Download Broschüre «Wahnsinnskinder?» (pdf.)

erschienen am 11.10.2012 um 12:53 Uhr

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