Die Chemie der Liebe

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25. Oktober 2014 00:49 Uhr

Oxytocin

Der Freiburger Psychologe Markus Heinrichs erforscht, warum uns erst die Hormone beziehungsfähig machen. Sein Spezialgebiet ist Oxytocin, das dafür sorgt, dass eine enge Mutter-Kind-Bindung entsteht und Partner sich vertrauen.


  1. Sieht das Liebeshormon ganz unromantisch: der Oxytocin-Forscher Markus Heinrichs. Foto: Thomas Kunz

Einfallsreiche und kluge Wissenschaftler sind die Grundlage für den Erfolg einer Universität und einer Region. Wir stellen Ihnen in dieser Serie Menschen vor, die den Forschungsstandort Südbaden starkmachen: helle Köpfe, die in der globalen Wissenschaftswelt eine Rolle spielen, die Herausragendes leisten oder faszinierende Fragen lösen. Heute: Der Psychologe Markus Heinrichs.

Um ein Haar wäre die hochrangige Auszeichnung für Markus Heinrichs im Spam-Ordner seines E-Mail-Postfachs untergegangen. Die Nachricht mit dem Betreff "Congratulations" hatte weniger das Interesse, sondern vielmehr den Argwohn des Psychologie-Professors geweckt. "Ich hab das erst mal als Spam gelöscht", gesteht der 45-Jährige und schiebt seine Brille zurecht. Erst nach dem Hinweis eines befreundeten Wissenschaftlers sah er genauer hin. Es sollte sich lohnen. Eine der weltweit größten Forschungsdatenbanken hatte die erfolg- und einflussreichsten Forscher der letzten zehn Jahre ermittelt – einer davon ist Markus Heinrichs.

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Dabei war Heinrichs noch vor 15 Jahren – zu Beginn seiner Karriere – ausgelacht worden für sein Forschungsthema. Als vermeintlich simples "Frauen-Hormon" wurde verspottet, was heute als großer Hoffnungsträger der Hirnforschung, Psychologie und Psychotherapie gilt: der körpereigene Botenstoff Oxytocin. Unter Bezeichnungen wie "Kuschelhormon", "Liebeshormon" oder gar "Orgasmushormon" kursiert es vielerorts durch die Medien.

Stolz führt Heinrichs Besucher durch die Räumlichkeiten seiner Abteilung für biologische und differentielle Psychologie an der Universität Freiburg: Labore, Therapiezimmer, Büros, Kaffeeküche; alles eng beisammen. Heinrichs Büro ist hell und aufgeräumt. Mehrere Kunstwerke, unter anderem seiner beiden Kinder, bringen Farbe in den Raum. Ein Stockwerk höher ist die Stress- und Burnout-Ambulanz, die er einrichten ließ, um Patienten mit stressbedingten Erkrankungen besser helfen zu können. "Die kurzen Wege sind Teil des Erfolgs", ist er sich sicher. Das habe Freiburg vor vier Jahren besser verstanden als andere Unis und ihm die entsprechenden Möglichkeiten geschaffen.

Als das Hormon Oxytocin Ende der 1990er Jahre erstmals Heinrichs Interesse weckte, waren die Voraussetzungen für spektakuläre Erkenntnisse nicht besonders gut. Die Substanz war bereits seit 70 Jahren bekannt und hatte in der Geburtshilfe seinen festen Platz, da sie Wehen auslöst und die Muttermilchbildung anstößt. Noch heute wird Oxytocin in diesem Zusammenhang eingesetzt. Darüber hinaus blieb das Hormon weitgehend unerforscht. "Es hat nie jemanden interessiert, dass Männer das Hormon ständig im Gehirn bilden und Frauen auch dann, wenn sie nicht stillen", wundert sich Heinrichs noch heute.

1997 las der junge Doktorand in Trier von einer spektakulären Tierstudie. Wissenschaftler hatten Oxytocin bei monogamen Präriewühlmäusen im Gehirn gehemmt. Die Folge: Die Tiere wurden untreu. Verwandte Bergwühlmäuse hingegen, Einzelgänger und polygam, gingen nach dem Spritzen des Hormons erstmals feste Bindungen ein. Für Heinrichs war klar, dass er den Einfluss von Oxytocin auch beim Menschen kennenlernen wollte. Zwei kleine Studien genehmigte ihm schließlich sein Doktorvater. "Er sagte, entweder kann ich es danach vergessen oder ich habe ein Thema fürs Leben", erinnert sich Heinrichs. 15 Jahre später erforscht der Psychologe Oxytocin intensiver denn je, die jüngste Auszeichnung ist ein deutlicher Nachweis seines Erfolgs.

Ein solches Happy End war nicht immer abzusehen: "Ich war zunächst der Einzige, der die Wirkung von Oxytocin beim Menschen erforschte", erinnert sich Heinrichs. "Das waren sieben eher frustrierende Jahre." Erst 2005 gelang ihm das, was er als "lucky punch", als Glückstreffer, bezeichnet. Mittlerweile nach Zürich gewechselt, zeigte er gemeinsam mit dem Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr im Fachmagazin Nature, dass das Hormon in Verhandlungssituationen die Partner vertrauensselig macht. Spieler waren unter Einfluss des Hormons eher bereit, anderen Geld zu leihen.

Schlagartig war Oxytocin zurück auf der großen Forschungsbühne – und mit ihm sein Wiederentdecker. Das rapide Wachstum seines Felds – über 4500 Studien wurden seither hier publiziert – sieht Heinrichs aber nicht nur positiv. "Das ist wohl so ein Mode-Ding. Wenn es gerade gut läuft, denkt jeder, ich mach auch mal eine Studie. Das ist nicht nur gut für die Forschung."

Im Gehirn beeinflusst das Neuropeptid offensichtlich vor allem über zwei Wege unser Sozialverhalten: "Zum einen werden auf allen beteiligten Ebenen Stress- und Angstsysteme besser kontrolliert", erklärt Heinrichs. "Zum anderen wird der Nucleus accumbens stimuliert." Dieses Hirnareal ist ein wichtiges Belohnungszentrum und wesentlich dafür verantwortlich, dass wir soziale Nähe als angenehm empfinden.

Die Zellen dieser Areale sind offenbar besonders empfänglich für das Hormon, wie nun vorläufige Ergebnisse einer laufenden Studie mit den Freiburger Neuropathologen zeigen. Doch trotz aller Erfolge bleibt Heinrichs zurückhaltend: "Der Strang der Grundlagenforschung ist aus meiner Sicht eröffnet, mehr nicht." Noch seien viele Fragen offen, etwa, wie sich Hormonmenge und Wirkung verhalten, wie der Stoff als Nasenspray verabreicht ins Gehirn gelangt und was auf zellulärer Ebene passiert.

Doch Schlagzeilen macht sein Forschungsgebiet trotzdem immer wieder: Oxytocin soll den Orgasmus fördern, so ist in der Presse zu lesen, mache treu und schaffe Vertrauen. Der Wissenschaftler selbst fasst die Funktion des Hormons als Förderung des "arterhaltenden Verhaltens" zusammen. So hilft Oxytocin zum Beispiel dabei, dass eine enge Mutter-Kind-Bindung entsteht oder dass Partner sich einander vertrauen. Streitende Eheleute sind dank dem Hormon eher bereit sich auszusprechen und suchen mehr Augenkontakt. Ist am Ausdruck Treuehormon also etwas dran? "Da muss man mir erst zeigen, wie man das nachweisen kann", bemerkt der Wissenschaftler trocken.

Der gebürtige Niederrheiner bevorzugt einen nüchternen Blick auf sein Forschungsobjekt. "Am Anfang habe ich mich für die reißerische Berichterstattung doch ziemlich geschämt", sagt Heinrichs. "Mittlerweile ist es mir egal." Nur mitwirken an der Aufregung will er nicht. Vorträge hält er bewusst wissenschaftlich, auch wenn mancher Zuhörer dann enttäuscht ist. "Wenn wir uns äußern, dann versuchen wir das immer nur datennah zu machen und keine Heilserwartungen zu schüren, aber auch nicht zu verschweigen, dass wir berechtigte Hoffnungen haben."

Eines hat sich mittlerweile herauskristallisiert: Nur unter dem Einfluss von Oxytocin lassen wir soziale Nähe zu und empfinden Empathie. Damit scheint es wie gemacht für die Behandlung von Menschen, die damit Schwierigkeiten haben: Autisten, Borderline-Persönlichkeiten oder Menschen mit starken sozialen Phobien – alles Störungen, die schwer oder gar nicht therapierbar sind.

Genau diese drei Patientengruppen werden derzeit in Freiburg in Oxytocin-Studien untersucht; mit ersten Erfolgen. Im vergangenen Jahr konnte ein Mitarbeiter zeigen, dass Autisten stärker auf Gesichter reagieren, wenn ihnen zuvor das Hormon in die Nase gesprüht worden war. "Das ist noch nicht geheilt, das ist auch noch kein Therapiebeweis. Aber wir sehen, dass die Hirnreaktion ,normaler’ ist", so der Psychologe vorsichtig optimistisch.

Man kann Heinrichs anmerken, dass ihm die Therapie ein großes Anliegen ist. "Wir sehen diese Effekte seit Jahren in Verhaltensexperimenten. Jetzt ist es irgendwann mal an der Zeit, dass man sagt: Was ist mit den Menschen, die genau in diesem Bereich Störungen haben und leiden?" Doch davor liegt noch ein großes Stück Arbeit auf ganz unterschiedlichen Ebenen.

Nicht nur die Grundlagenforschung, auch die klinische Umsetzung steckt noch in den Kinderschuhen: "Es gibt weltweit derzeit viele große klinische Studien, aber keine ist abgeschlossen. Wir müssen also Geduld haben. Und wir werden dann auch kein Wundermittel haben", bemüht sich der Forscher, die Erwartungen zu dämpfen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Oxytocin nur bei manchen Betroffenen helfen wird, die ein bestimmtes genetisches Profil haben. Diese Personen möglichst gut herauszufiltern, soll die Arbeit der nächsten Jahre sein.

Doch nicht nur die Wissenschaft muss noch einiges leisten. Auch Therapeuten und Ärzte sieht Heinrichs in der Pflicht: "Wir müssen vom klassischen "Medikament heilt"-Ansatz weg. Oxytocin allein macht nichts. Wenn Sie das drei Jahre lang zu Hause einnehmen, kriegen Sie höchstens eine Nasenreizung." Nur mit der entsprechenden therapeutischen Begleitung seien Verbesserungen möglich. "Das Hormon kann lediglich den nötigen Rückenwind dafür geben", wie es Heinrichs ausdrückt.

Es ist also noch viel Durchhaltevermögen gefragt. Und zwar eines, das auch noch anhält, wenn das allgemeine Interesse wieder abgeklungen ist. "Irgendwann ist der Kreis wieder überschaubar weltweit." Vielleicht will der Psychologe auch deshalb nicht so richtig laut jubeln über die aktuelle Auszeichnung. Er weiß zu genau, wie schnell sich die Interessen und Wissenschafts-Moden ändern können. "Man ist gut beraten, daraus keine große Nummer zu machen", sagt er.

Autor: Johannes Faber

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