Die Börse besteht zu 90 Prozent aus Psychologie«

Nicht erst seit der Finanzkrise stehen Banken und Finanzmärkte im Fokus der politischen Debatte – und am Pranger. Nun sollen die Banken zahlen, fordern die einen. Das sei eine große Gefahr, warnen die anderen. Denn vom Wohl der Banken hänge die ganze Wirtschaft ab. Wer hat recht? Sind Banker wirklich gierig? Und woher kommt die Abhängigkeit von den ominösen „Märkten“? Ein Autorenkollektiv der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sich die gängigen Irrtümer über Banken, Börse und Kredit vorgenommen - und zeigt, dass nicht allein von Macht und Größe der Finanzmärkte alle Übel des Kapitalismus ausgehen. Klarheit statt Mythen: hier täglich in einer nd-Reihe.

»Die Börse besteht zu 90 Prozent aus Psychologie«

Was gesagt wird:

An der Börse werden Erwartungen gehandelt. Der Preis zum Beispiel einer Aktie steigt, wenn erwartet wird, dass er steigt. Hier regiert die sogenannte Erwartungserwartung – Erwartungen, die sich auf die Erwartungen eines Gegenübers beziehen. Von daher produzieren an der Börse nur vage Stimmungen ungeheure Schwankungen.

Was dran ist:

Einerseits stimmt es: Der Preis von Wertpapieren schwankt gemäß den Erwartungen der Börsenhändler. Wertpapierkurse haben daher immer mit «Psychologie» zu tun, mit Angst, Euphorie oder Herdentrieb.

Doch das heißt nicht, dass die Wertpapierkurse irrational sind. Denn erstens schwanken die Kurse nicht beliebig auf und ab, wie es der Händlerpsyche so einfällt. Der Handel wird gesteuert durch ökonomische Daten (siehe auch hier), die den Maßstab für die Erwartungen bilden. Zweitens steht hinter den Kursschwankungen ein sehr rationales Motiv: möglichst viel Gewinn machen. Daher ist es durchaus rational, eine Aktie zu kaufen, nur weil man erwartet, dass alle sie kaufen werden.

Damit entscheidet die Stimmung an der Börse darüber, was ein Unternehmen wert ist. Wie sollte der «wirkliche Wert» eines Unternehmens im Kapitalismus auch sonst bestimmt sein? «Gebäude und Maschinen einer Fabrik sind ein Haufen Metall und Steine.» Besteht der Wert vielleicht in der Summe der Anschaffungspreise? Nehmen wir ein Beispiel:

Ein Unternehmen besteht aus zehn Maschinen à 1.000 Euro, zehn ArbeitnehmerInnen mit einem Jahreslohn von 10.000 Euro und einem Fabrikgebäude, das für 100.000 Euro gekauft wurde. Ist das Unternehmen damit 210.000 Euro wert? Nein. Es ist so viel wert, wie ein Käufer dafür zahlen würde. Zweck des Kaufs ist das Erzielen von Gewinnen. Der Wert des Unternehmens hängt also davon ab, wie viel Gewinn das Unternehmen erzielt – im Verhältnis zur Kaufsumme. Dabei ist klar: Hier geht es nicht um vergangene Gewinne, sondern um zukünftige. Der Wert des Unternehmens hängt also immer ab von den Gewinnerwartungen des Käufers.

Damit ist der Wert selbst der größten Fabriken eine schwankende Sache. So kaufte zum Beispiel der Autokonzern Daimler den US-Konzern Chrysler 1998 für rund 30 Milliarden Dollar – und verkaufte Chrysler zehn Jahre später wieder für rund 5 Milliarden Dollar.

Die von einem Autorenkollektiv verfasste Broschüre »Von wegen Casino« ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen und kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden.

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