«Die absolute Sicherheit wird es nie geben»

Beobachter: In einem Schweizer Reisebüro, das auf Kreuzfahrten spezialisiert ist, haben in den Tagen nach dem Unglück zehn Kunden Kreuzfahrten mit der «Costa»-Linie annulliert.
Renner: Dieses Verhalten ist typisch menschlich, wenn auch objektiv nicht immer sinnvoll – im Gegenteil. Man weiss aus der Zeit nach dem 11. September 2001, dass die Gesamtzahl der Verkehrsunfälle zunahm. Der Grund war, dass ­viele Amerikaner Flugzeuge mieden und mehr Strecken mit dem Auto zurücklegten. Und da mit Autos mehr Unfälle ­passieren als mit Flugzeugen, nahm die Zahl der Unfälle zu. Solche Tendenzen zur Über­anpassung verschwinden mit der Zeit von selbst wieder. Spätestens dann, wenn ein anderes Ereignis passiert, das seinerseits wieder solche Folgen hat.

Beobachter: Objektiv macht der «Costa»-Unfall die Seefahrt wahrscheinlich sicherer, wie 9/11 zu verstärkten Sicherheitsmassnahmen geführt hat.
Renner: Dennoch herrscht im ersten Moment eine grosse Unsicherheit. Zum einen, weil diese Situationen für uns unkontrollierbar ­waren. Wir haben mehr Angst in einem Flugzeug, als wenn wir selbst am Steuer ­eines Autos sitzen, weil wir den Piloten nicht kennen. Obwohl wir eigentlich wissen, dass statistisch gesehen die Autofahrt zum Flughafen der gefährlichste Teil der Reise ist. Zum anderen, weil oft die Kommunikation nicht optimal läuft. Unternehmen müssen zuerst lernen, wie man im Zeitalter der sozialen Medien kommuniziert. Wenn man sich ansieht – gerade im Fall der «Costa» –, wie viel da wie rasch und zum Teil aus völlig unterschiedlichen Interessen kommuniziert worden ist, versteht man, dass die Menschen mit Unsicherheit und Angst reagiert haben.

Beobachter: Was halten Menschen weshalb für gefährlich?
Renner: Früher hatte der Mensch Angst vor Raubtieren. Für diese Angst sind wir ausgerüstet, hormonell und physisch. Noch heute neigen wir dazu, vor Bedrohungen mehr Angst zu haben, wenn wir sie sehen, hören oder riechen können. Mit den sehr abstrakten Bedrohungen haben wir mehr ­Mühe. Ausserdem machen uns Ereignisse Angst, die aus Situationen entstehen, die ausserhalb unserer Kontrolle liegen, viele Menschen betreffen, Todesopfer fordern oder die nächste Generation tangieren. Doch so schrecklich die Unfälle von Fukushima oder Tschernobyl waren: So viele Tote haben sie im Vergleich mit anderen Ereignissen gar nicht gefordert. Techniker, die beruflich mit Risikoeinschätzung zu tun haben, raten denn auch: «Hört auf zu rauchen!» Statistisch ist Rauchen ein massiv grösseres Risiko als das eines Reaktorunfalls. Aber eben: Wir haben das Gefühl, wir hätten es unter Kontrolle.

Beobachter: Die Menschen blenden gewisse Gefahren offenbar einfach aus. Ist das gut oder schlecht?
Renner: Wenn ich unsere Spezies und ihre Verbreitung anschaue, denke ich, dass wir es recht gut machen. Dass unser Leben objektiv immer sicherer wird, ist definitiv positiv.

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