Der Weg ins Unbewusste

Von Uli von Mengden

KULTUR LOKAL Max Ernst nutzt die Theorien der Psychoanalyse / Zwei Werke in der Kunstsammlung

HOCHHEIM. „Jenseits der Malerei“, titelt die Doppelgrafik von Max Ernst in der Hochheimer Kunstsammlung. So hieß auch ein berühmtes Buch über das gesamte druckgrafische Oeuvre Ernsts, das 1972 in limitierte Auflage in Hannover verlegt wurde. Daraus stammen auch die beiden vorgestellten Farblithografien.

Max Ernst wurde 1891 in Brühl bei Köln geboren und studierte zunächst Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte in Bonn. Noch ehe er sich freiwillig zum Kriegsdienst meldete, schloss er Bekanntschaft mit bekannten Künstlern wie August Macke, Hans Arp und Paul Delaunay.

Nach dem 1. Weltkrieg gehörte er zu denjenigen, die in Köln das Kunstphänomen des Dadaismus hoffähig machten. 1922 übersiedelte er nach Paris und traf dort auf die Surrealisten, die ihn fortan faszinierten. Mit dem Dichter Paul Eluard, von dem ein Gedicht in der Kunstsammlung präsent ist, machte er eine ausgedehnte Reise nach Indochina.

Ernst betätigte sich als Maler, Bildhauer und Collagenkünstler. Er erfand mit der „Frottage“ und „Grattage“ eigene Techniken, die das handwerkliche Spektrum der Grafiker und Maler bedeutend erweiterten. Er nutzte sie, um über die intensive Beobachtung des Wirklichen seinen „überwirklichen“ Inspirationen Ausdruck zu verleihen. Zunutze machte er sich die Theorien der Psychoanalyse, um Aspekte des Traums und des Unbewussten für seine Kunst fruchtbar zu machen. Traditionelle Erfahrungsgebiete werden bei Ernst erweitert. Die Mikrostrukturen der Natur verhelfen ihm, Urformen der Bewegung zu erkennen und erweitern seine eigene Formensprache.

Im Nationalsozialismus gehörte Max Ernst zu den verfemten Künstlern und er floh von Paris in die USA, wo er die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim heiratete. Zwei Jahre später ging die Ehe mit der exzentrischen Millionärin wieder in die Brüche.

1948 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft und kehrte 1953 zurück nach Paris. 1956 wurde er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. 1958 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an. Er erhielt eine Ehrenprofessur des Landes Nordrhein-Westfalen und die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn. 1976 starb Max Ernst in der Nacht vor seinem 85. Geburtstag in Paris.

Die beiden Grafiken in der Hochheimer Sammlung zeigen identische Bildmotive. Vertikale und horizontale Linien in unterschiedlichem Raster illusionieren einen Raum. Tür und Fenster scheinen angesichts ihrer Proportionen und Anordnung funktionslos. Linien und pseudomathematische Bezeichnungen imaginieren einen technischen Kontext. Ein organisch wirkendes Gebilde, von dem ein Teil auf dem Boden liegt, lassen Assoziationen zu einem Stall oder Schlachthof wach werden. Das Experiment, wie schnell sich unser Auge täuschen lässt, führt Ernst vor, in dem er die eine Grafik coloriert, bei der anderen nur rote Linien einsetzt.

Die Spannung dieser Arbeiten erzeugt das Verschwimmen von Realität. Neue Gesetzmäßigkeiten zu Formen und Proportionen sind erfunden. Hier herrscht weder Natur noch Technik. Die Tür für unbekannte Welten wird aufgestoßen. Führt uns Ernst in einen Traum oder legt er uns ein Wahngebilde vor? Nicht zuletzt ist es die Komposition des scheinbar Unvereinbaren, die eine faszinierende Wirkung hat.

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