Der Verhaltensökonom Dan Ariely über die Macht des Placeboeffekts

Der Verhaltensökonom Dan Ariely über die Macht des Placeboeffekts

Dan Ariely weiß, was Schmerzen sind. Ariely wuchs in Israel auf. Er war I8, als neben ihm eine Magnesiumrakete explodierte. Nur mit knapper Not und schwersten Verbrennungen am ganzen Körper überlebte er den Unfall. Später übersiedelte er in die USA, promovierte in Psychologie und Betriebswissenschaft. Heute lehrt Ariely als Professor für Verhaltensökonomie an der Duke University. Sein Buch Denken hilft zwar, nützt aber nichts – Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen war 2008 ein Weltbestseller. Hier schreibt er darüber, was Geld mit dem Placeboeffekt zu tun hat und was Pharmazeuten von Überraschungseiern lernen können.  

Auf die Macht von Placebos wurde ich erst als junger Mann im Krankenhaus aufmerksam, wo ich drei Jahre lang wegen schwerer Verbrennungen behandelt werden musste. In der Klinik gab es für uns Verbrennungsopfer ziemlich gute Schmerzmittel auf Morphiumbasis. Leider hatten die Ärzte Angst, wir könnten abhängig werden, wofür übrigens bis heute keine sicheren Belege vorliegen. Jedenfalls bekamen wir viel, viel weniger Schmerzmittel, als nötig gewesen wäre. Es war wirklich die Hölle. Jeder Patient hatte einen bestimmten Tagesetat. Jeder wusste genau, wie viel schon verbraucht war und wie viel man noch zu kriegen hatte. Und wir wachten eifersüchtig darüber, dass all unsere Mitpatienten sich an die gleichen Regeln hielten. Da gab es eine Patientin namens Vera. Ich erinnere mich an eine Nacht, in der Vera vor Schmerzen brüllte. Die Schwester gab ihr eine Spritze, und Vera schlief ein. Ich überprüfte ihren Kontostand und merkte, dass sie gar keine Mittel mehr hätte bekommen dürfen. Also beschwerte ich mich bei der Schwester: ,,Wenn Vera eine Extraportion bekommt, will ich auch eine haben.“ Da verriet mir die Schwester, dass sie Vera nur eine Kochsalzlösung gespritzt hatte.

Es ist eine Sache, über Placebos zu lesen. Aber es ist etwas völlig anderes, einen Menschen vor Verbrennungsschmerzen schreien zu hören und zu sehen, wie er nach einer Placebospritze friedlich einschläft. Das ist eine wahnsinnige Erfahrung. Der Placeboeffekt ist weit mehr als bloße Einbildung. Gerade bei Schmerzmitteln wissen wir sehr genau, welche physiologischen Vorgänge dahinterstecken. Die Geschichte klingt ziemlich verrückt, aber auch wirklich beeindruckend:

Die Patienten haben nämlich tatsächlich weniger Schmerzen. Denn es ist das Gehirn selbst, das beginnt, Opiate auszuschütten, also körpereigene Schmerzmittel. Es lohnt sich, darüber einen Moment lang nachzudenken: Je größer unsere Erwartung an das Mittel, desto besser können wir die Selbstheilungskräfte unseres Körpers ankurbeln. Ein Placebo gibt dem Körper die Kraft, sich selbst zu heilen. Das ist unglaublich! Der Körper versteht viel mehr von Heilung als die moderne Medizin. Das klingt ein wenig esoterisch. Aber es ist reine, harte Wissenschaft.

Auch der Preis eines Medikaments ist ein wirksames Placebo. Wenn es um Medikamente geht, dann bekommen wir genau das, wofür wir bezahlt haben. Der Preis verändert unser Erleben! Wir haben Hunderte von Ärzten befragt: Könnte der Preis eines Medikaments eine Rolle für seine Wirksamkeit spielen? Keiner der Fachleute hielt das für möglich. Doch inzwischen wissen wir: Der Einfluss ist gewaltig.

Wir gaben unseren Versuchspersonen ein angeblich neues Schmerzmittel mit dem Namen „Veladone-Rx“ und testeten, wie viele Schmerzen sie vor und nach der Einnahme aushalten konnten. Der einen Gruppe erzählten wir, es handle sich um ein sehr preiswertes Produkt. Den anderen wurde gesagt, Veladone-Rx sei ein ausgesprochen teures Medikament. Das Mittel half in beiden Gruppen. Allerdings zeigte sich, dass Veladone in der zweiten Gruppe viel besser wirkte als in der ersten. Der Witz an der Sache: Sämtliche Versuchspersonen hatten in Wahrheit nur Vitamin C bekommen – die Wirkung beruhte zu 100 Prozent auf einem Placeboeffekt.

Der Preis einer Sache hat massiven Einfluss auf unsere Erwartungen. Und es ist unsere Erwartung, die unser Erleben steuert. In einem alten französischen Fachbuch heißt es, die beste Zeit, um ein Medikament zu verschreiben, liege in den Wochen direkt nach der Neueinführung des Präparats. Warum? Weil die Ärzte dann besonders gespannt sind. Diese Erwartung überträgt sich auf die Patienten, die Heilungschancen steigen. Denn auch die Zuversicht des Arztes hat einen Placeboeffekt. Das heißt: Ärzte sollten zuversichtlich sein, positiv gespannt. Sie sollten niemals sagen: Die beiden Mittel sind genau gleich, ich gebe Ihnen jetzt einfach mal das billigere. Ärzte sollten Enthusiasmus und Erwartungen erzeugen.

Auch an der Verpackung müsste man eine Menge machen, an den Beipackzetteln. Das meine ich ernst! Haben Sie schon einmal belgische Schokolade gekauft? Es liegt eine Anweisung dabei, wie man die Schokolade zu essen hat. Kauen Sie langsam. Genießen Sie den Geschmack. Achten Sie auf den Moment, in dem die Schokolade in Ihrem Mund schmilzt. So wird der Körper vorbereitet. So werden Erwartung und Konzentration erzeugt – das macht die Schokolade so lecker. Ich finde, in der Medizin könnten wir eine Menge von all dem gut gebrauchen. Was haben wir stattdessen? „Schlucken Sie die Pille mit reichlich Wasser!“ Meine Kinder lieben diese Schokoladeneier aus Deutschland, in denen kleine Spielsachen versteckt sind. Die Verpackung weckt eine enorme Erwartung. Ich würde zwar nicht so weit gehen, dass wir jede Tablette in ein Schokoladenei stecken sollten. Aber die Idee geht genau in die richtige Richtung. Die Verpackung ist ein Faktor, mit dem man die Selbstheilungskräfte unseres Körpers mobilisieren kann. Man sollte das nicht unterschätzen.

Der Placeboeffekt ist eine Methode, die Wirksamkeit von Medikamenten zu erhöhen. Und zwar kostenlos! Wir sollten diesen Effekt also optimieren, wo wir nur können. Alles andere wäre die reine Verschwendung.

    Dan Ariely

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Psychologie Heute-Buch Im Labyrinth der Seele: 100 Streifzüge durch die Psychologie (Beltz Verlag, Weinheim)

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