Der unpolitische Student – Die Konstanzer Bildungsstudie und die Reaktion der …

"Ich bin Ariane Mertens, und ich studier' Psychologie hier an der Uni im 11. Semester. Politisch bin ich eigentlich kaum aktiv, auch nicht hochschulpolitisch. Also die Hochschulpolitik kommt mir immer sehr bürokratisch vor!"

Ariane Mertens sitzt an einem Tisch im Eingangsbereich der Uni Konstanz - also genau dort, wo in früheren Jahren und Jahrzehnten Transparente gegen Mittelstreckenraketen, für mehr studentische Mitspracherechte und gegen Studiengebühren mobil machten. Heute keine Spur mehr davon: An derselben Stelle hängen Plakate, die für eine Gesundheitskampagne und für einen Workshop für Psychoanalyse werben - eine Szene mit Symbolkraft.

"Es ist ein deutlicher Rückgang des politischen Interesses, der politischen Beteiligung, der Bedeutung von Politik und öffentlichem Leben als Lebensbereich, festzustellen."

Tino Bargel ist Soziologe an der Universität Konstanz. Sein Spezialgebiet: die Bildungsforschung. Im Auftrag des Bundesbildungsministeriums befragt er seit Jahrzehnten Studierende bundesweit zu ihren Einstellungen. Ergebnis: 1983 bezeichneten sich noch über die Hälfte aller Studierenden als politisch stark interessiert. 2010 war es gerade mal noch ein Drittel. Dafür führt der Bildungsforscher gleich mehrere Ursachen ins Feld: Einmal die zunehmende Komplexität des Politikbetriebes und das Gefühl, dabei nichts verändern zu können. Hinzu kommt,

"... dass die Haltung eher auch auf Konsum ausgerichtet ist. Diese Konsumhaltung hat dazu geführt, abzuwarten, was die anderen machen."

Außerdem bevorzugen junge Menschen immer häufiger individuelle Lebensstile. Auch dies führe zur Politik-Zurückhaltung,

"… weil dazu braucht man eigentlich eine Organisation mit anderen. Eine Kooperation, eine Auseinandersetzung. Und das wird im Individualismus weniger gemacht. Es ist ja auch so, dass die Solidarität untereinander verloren gegangen ist."

Moritz Heuberger nickt an dieser Stelle. Der Student der Politik- und Verwaltungswissenschaften arbeitet im Unabhängigen Studierendenausschuss der Uni Konstanz mit, gehört damit zu jener Minderheit, die sich bewusst politisch engagiert. Und die Mehrheit?

"Die Studierenden heutzutage sind sehr, sehr stark karrierefixiert und denken an das eigene Wohl mehr als an das Allgemeinwohl. Und viele wollen eher für sich ihren Weg gehen, ihr Studium machen, ihren Erfolg erzielen und schauen wenig nach rechts und nach links."

Dennoch lohne es sich, dagegen zu steuern: Immerhin sei der Konstanzer U-Asta jüngst mit etlichen Veranstaltungen auf gute Resonanz gestoßen - vom selbst organisierten Asta-Café bis hin zum Fahrrad-Reparatur-Workshop. Nur dann, wenn es darum gehe, hochschulpolitische Fragen zu diskutieren, bleiben viele Stühle leer. Dies sei auch den neu gestalteten Bachelor-Studiengängen geschuldet.

"Durch Bologna wurde das ganze Studium eben verschulter. Dadurch ist es natürlich von der Zeit her knapper geworden. Und auch von der Struktur an sich. Es ist ja nicht so, dass nur die Zeit ein Problem darstellt, sondern das auch das Prinzip anders ist: Dass man für eine Prüfung lernt, dieses typische 'Bulimie-Lernen'. Von der Struktur her ist das ja eher das schulische 'Hamsterrad' und weniger das Lernen, das Sich- Selbst-Entwickeln, das Frei-Denken, was jetzt auch politisches Engagement fordern würde."

Allerdings, so der Einwand von Bildungsforscher Tino Bargel, habe der Prozess der Entpolitisierung unter den Studierenden schon weit vor dem Bologna-Prozess begonnen. Wie dem auch sei: Nach den Erfahrungen von Moritz Heuberger vom U-Asta der Uni Konstanz komme es darauf an, Studierenden mehr Mitspracherechte einzuräumen - beispielsweise durch die angedachte Wiedereinführung der Verfassten Studentenschaft mit politischem Mandat an den baden-württembergischen Hochschulen.

"Wir hoffen natürlich, dass dadurch uns mehr Macht gegeben wird, dass wir als Asta ein größeres Gewicht haben an der Uni, durch dieses größere Gewicht mehr auffallen. Und durch dieses größere, bessere Erscheinen auch mehr Leute zum Engagement bewegen."

Ein Blick in jene Bundesländer, in denen die Studierenden solche Mitspracherechte schon haben, wirkt da aber ernüchternd: Denn auch dort ist es nur ein kleiner Prozentsatz der Studierenden, die tatsächlich mitmachen. Immerhin sieht selbst Bildungsforscher Tino Bargel einen kleinen Hoffnungsschimmer für eine Trendwende: Voraussetzung seien konkrete Ärgernisse, die das Blut der Studierenden in Wallung bringen. Der Bildungsforscher spricht hierbei konkret die Occupy-Bewegung und die zurückliegenden Bildungsstreiks an:

"Also eine Protestbereitschaft ist immer da, in größerem Maße als in anderen Bevölkerungsgruppen. Insofern können wir immer wieder beobachten, dass in solchen Protesten Studenten involviert sind. Das letzte waren ja gerade die Bildungsstreiks."

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