Ein Beitrag von Nico Rose, Diplom-Psychologe, promovierter Betriebswirt und Senior Director im Corporate Management Development bei Bertelsmann.
Die Evolution ist gnadenlos: Sie lässt typischerweise verschwinden, was dem Überleben einer Spezies nicht mehr dient. Wozu ist es also gut, dass man sich glücklich fühlt? Interessanterweise ist die Frage nach dem Sinn des Glücks ein Thema, welches die Psychologie als empirische Wissenschaft etwa 100 Jahre lang weitgehend ignoriert hat. Die Psychologie war und ist in großen Teilen eine „Weg-von-Wissenschaft“. Das heißt, es haben Fragen interessiert wie: Was ist eine Depression, eine Angststörung? Wie entsteht sie? Und wie wird man sie wieder los? Sehr wichtige Themen – doch gleichzeitig bleibt unbeantwortet, ob das Leben automatisch gut wird, wenn eine Depression überwunden scheint.
Immer mehr Wissenschaftler sagen: Das reicht nicht. Positive Psychologen glauben, dass wir mit der gleichen Rigorosität erforschen sollten, was stattdessen da sein sollte – also welche Faktoren zu einem gelungenen Leben beitragen und wie man diese stärken kann. Positive Psychologie befasst sich auf Basis von Experimenten, großzahligen Befragungen und Langzeitstudien mit all jenen Themen, die ansonsten die Regale für Ratgeberliteratur füllen. Zum Beispiel: Wie und warum entsteht Glück? Was sorgt dafür, dass Ehepartner zusammen bleiben? Was macht Menschen erfolgreich – auf und abseits der Arbeit?
Return on Flourishing = ROFL
Ein Teilbereich der Positiven Psychologie wird helfen, den ROFL-Faktor zu verstehen. Als ROFL-Faktor definiere ich den betriebswirtschaftlichen Nutzen, also die Generierung von Wert für eine Organisation, wenn diese gezielt und konzertiert in die Zufriedenheit, und ja – vielleicht sogar das Glück – ihrer Mitarbeiter investiert. Der Begriff ROFL steht in diesem Kontext für „Return on Flourishing“ – wobei mit Flourishing das Aufblühen, also die möglichst volle Entfaltung des Potenzials einer Person gemeint ist.
Die Professorin Barbara Fredrickson hat sich genau mit jener Frage beschäftigt: Was nützen positive Emotionen wie Zufriedenheit, Begeisterung, oder Glück? Eine Antwort hat sie in ihrer Broaden-and-Build-Theorie formuliert. Vereinfacht lautet die: Wenn wir ängstlich sind oder über die Maßen gestresst, ziehen wir uns zurück. Positive Emotionen hingegen lassen uns wachsen. Sie erweitern unseren Denk- und Handlungsrahmen und sind der Treibstoff für nachhaltige Lernerfahrungen. Positive Emotionen sind ein Wachstumsmotor. Sie sind der Nährboden für Exploration und Kreativität und das Boot, auf dem wir uns in unbekanntes Gewässer hinaus trauen.
Positive Emotionen sind wichtig für Erfolg, nicht nur dessen Resultat
Was bedeutet diese Erkenntnis nun für die (Führungs-)Praxis? Positive Emotionen der Mitarbeiter sind elementarer Treibstoff für wirtschaftlichen Erfolg – und jedem Unternehmen ist angeraten, Bedingungen zu schaffen, mit denen sich Mitarbeiter möglichst zufrieden und glücklich fühlen. Es handelt sich hier – auch wenn ich den Begriff abgenutzt finde – um eine klassische Win-Win-Situation. Wir glauben zu wissen, dass Glück ein Produkt des Erfolgs ist. Und wir glauben, glücklich zu sein, nachdem wir einen Erfolg verbuchen konnten.
Das wird uns wieder und wieder eingetrichtert, von unseren Eltern, in der Schule, von der Gesellschaft. Doch immer mehr Studien, und es sind mittlerweile sehr viele*, zeigen, dass die Umkehrung dieses Satzes mindestens genauso richtig ist: Glück erzeugt Erfolg! Dies gilt zunächst auf der individuellen Ebene, setzt sich jedoch nachweislich fort, wenn man die gesamte Organisation betrachtet.
Die zehn wichtigsten Mechanismen sind:
- Compensation: Glückliche Mitarbeiter sind motivierter, sie müssen also weniger durch externe Anreize motiviert werden. Eine Investition in Mitarbeiterglück hilft auf lange Sicht, die Personalkosten zu kontrollieren.
- Well-Being: Glückliche Mitarbeiter sind weniger oft und weniger lang krank (physisch wie psychisch). Sie fehlen seltener, und falls doch, dann weniger lang. Sie sind psychisch stabiler und leiden in der Folge seltener an Syndromen wie Burnout.
- Retention: Glückliche Mitarbeiter bleiben länger im Unternehmen. Außerdem empfehlen sie die eigene Firma häufiger aktiv weiter. Eine Investition in das Mitarbeiterglück senkt demnach die Kosten in den Bereichen Employer Branding, Recruiting und Training.
- Cooperation: Glückliche Menschen haben ein positiveres Selbstbild und können besser mit Konflikten und Verhandlungssituationen umgehen. Überall dort, wo Ressourcen knapp sind und/oder abteilungsübergreifende Kooperation gefragt ist, werden glückliche Menschen erfolgreicher sein.
- Engagement. Glückliche Menschen sind proaktiver und zeigen mehr Organizational Citizenship Behavior (OCB). Sie neigen demnach von sich aus dazu, anderen Menschen zu helfen – auch über den eigene Aufgabenbeschreibung und den Arbeitsbereich hinaus.
- Innovation: Glückliche Mitarbeiter sind kreativer. Hier sieht man den Kern des Broaden-and-Build-Gedankens. Positive Emotionen erweitern wie beschrieben unser Blickwelt, lassen uns spielerisch werden, machen uns offen für Neues. Wir stellen Verknüpfungen her, die wir sonst vielleicht verpassen würden. Wir trauen uns aus unserem angestammten Gebiet heraus, auch mental.
- Problem-Solving: Aus dem gleichen Grund sind glückliche Mitarbeiter auch bessere Problemlöser. Wir können bei guter Laune besser quer-denken und finden schneller zufriedenstellende Lösungen für verschiedenste Probleme.
- Meaning at Work: Glückliche Menschen sehen mehr Sinn in Ihrer Arbeit. Dies wiederum ist einer der stärksten Motivatoren überhaupt.
- Contagion: Die Netzwerk-Forschung zeigt, dass Gefühle sich in Netzwerken ausbreiten. Sprich: Wenn Sie mit einem meist gut gelaunten Kollegen zusammenarbeiten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie selbst häufig gut gelaunt sind, deutlich erhöht. Es gibt einen klassischen Schneeball-Effekt.
- Customer Satisfaction. Aus den zuvor genannten Punkten folgt: Glückliche Mitarbeiter erzeugen zufriedenere Kunden. Sie sind engagierter, hilfsbereiter, stellen kreativere Lösungen bereit und stecken zudem die Kunden mit ihrer guten Laune an.
Falls das nun alles zu fluffig klingt, zu wenig Substanz zu haben scheint: Alex Edmans von der Wharton School of Business in Philadelphia hat 2010 einen Artikel im Journal of Financial Economics veröffentlicht. Er hat für die Jahre 1984 bis 2009 einen fiktiven Aktien-Fonds aufgelegt, der jeweils aus den Best Companies to Work For in den USA bestand, die dort jährlich von einem Beratungsinstitut gekürt werden. Die Mitgliedschaft in diesem Kreis diente Näherungswert für Unternehmen mit besonders hoher Mitarbeiterzufriedenheit.
Die Kernaussage: Dieser Fonds schlägt in puncto Kapitalmarktperformance alle Benchmarks um zwei bis drei Prozent (nach Kontrollen für Firmengröße, Marktrisiken und Branchen). Zwei bis drei Prozent klingen vielleicht nicht nach sehr viel Unterschied. Aber zwei bis drei Prozent jährlich – über 25 Jahre hinweg – ist verdammt viel. Die positive Emotionen der Mitarbeiter sind also eine wichtige Vorbedingung für Erfolg, nicht nur dessen Resultat. Der ROFL-Effekt ist real und sehr wirksam.
Anmerkung: Der Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Version einer Rede, die der Autor kürzlich im Rahmen des „Handelsblatt CFO Kongress“ 2015 gehalten hat.
Bild: Brand New Images / Getty Images
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