Der nette Mann aus Südkorea – Tages

Sein erster Auftritt in der Öffentlichkeit an der gestrigen Pressekonferenz wird nicht in Erinnerung bleiben. Hoesung Lee, der designierte Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, hat nicht die vornehme Art des Vorgängers Rajendra Pachauri (der sich allerdings auch zu unflätigen Bemerkungen hinreissen liess). Lee fehlt das Temperament eines Robert Watson, der unbequem war, der Erdöllobby ein Dorn im Auge und schliesslich Pachauri weichen musste. Der südkoreanische Ökonom sitzt ruhig vor dem Mikrofon, in blauem Anzug, die Hände regungslos auf dem Tisch. Höflich gibt er Antwort. Kein Lächeln, keine Rührung. Wer ist dieser Hoesung Lee? Ein netter Herr, ist in Wissenschaftskreisen zu hören. Seit sieben Jahren Vizepräsident des IPCC, doch ohne eigene Ideen. Vorschusslorbeeren erhält er keine.

Der Professor an der Graduate School of Energy and Environment an der Universität Korea streicht seine grosse Erfahrung im Energiesektor heraus. Sonst klingt seine Vision für die Zukunft des IPCC bei seinem Medienauftritt ähnlich unbedarft wie in seiner Bewerbung: «Ich unterstütze, was funktioniert, setze mich dafür ein, was es braucht, und ändere, was verbessert werden muss.»

Die südkoreanische Regierung wollte dieses Mandat unbedingt. Der Staat hat sich auf die Fahne geschrieben, so wird gesagt, künftig mehr Ämter in internationalen Gremien zu bekleiden. Entsprechend viel wurde in die Wahlkampagne investiert. Lee sei der richtige Mann, der für «mehr Substanz» beim IPCC sorge, um praktikable politische Lösungen zu finden. In einem Interview sagt Hoesung Lee, Freunde in der Wirtschaft würden die Resultate des IPCC als wenig nützlich einstufen.

Ein Anliegen des Umweltökonomen ist denn auch, mehr in die ökonomische Klimaforschung zu investieren. In den Entwicklungsländern sieht er den Nachholbedarf, ein Netzwerk an ausgebildeten Experten aufzubauen, etwa für die wirtschaftliche Entwicklung. Schliesslich würde heute ein grosser Teil der Treibhausgase in den Schwellen- und Entwicklungsländern ausgestossen.

Konkret wird der südkoreanische Forscher allerdings nie. Ausser in einem Punkt. Das scheint seine Herzensangelegenheit zu sein: Der Ausstoss von Treibhausgasen muss besteuert werden. Eine CO2-Abgabe weltweit also. Möglich, dass der Ökonom Hoesung Lee gewählt wurde, weil die IPCC-Vollversammlung den Fokus in Zukunft mehr auf Lösungen als auf den Beschrieb des Klimazustandes der Erde legen möchte.

So wird der IPCC noch stärker im Visier der Politik sein. Damit die Wissenschaftlichkeit gewahrt bleibt, braucht es einen starken Präsidenten. Ist Hoesung Lee stark genug? «Jeder verdient einen Kredit», sagt der Berner Klimaforscher Thomas Stocker, der am Dienstag nur knapp die Endausmarchung bei der Wahl des IPCC-Chefs verpasste.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

(Erstellt: 07.10.2015, 18:51 Uhr)

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