Der Kämpfer gegen Hepatitis C

Schräg angeschaut haben sie ihn, die Medizinerkollegen. Und den Kopf geschüttelt. Kein Wunder, Philip Bruggmann verstiess gegen sämtliche internationale Richtlinien und forderte, dass auch Drogen­abhängige und Alkoholiker mit Hepatitis-C-Virus (HCV) eine Behandlung erhalten sollten. Das war vor über zehn Jahren, seither hat sich viel geändert. Bruggmann hat Mitstreiter gefunden. Seine Vision, die er heute mit anderen Medizinern teilt: Die Schweiz soll die heimtückische Infektionskrankheit, von der hierzulande 80'000 Menschen betroffen sind, bis 2030 eliminieren.

Ecke Langstrasse/Militärstrasse in Zürich, Montagmorgen, 9 Uhr. Es herrscht verkaterte Geschäftigkeit. Die Spuren der Partygänger, die sich hier jedes Wochenende tummeln, sind weitgehend beseitigt. Hingegen trifft man bereits um diese Uhrzeit auf Drogenabhängige, die seit Jahren hier ihren Treffpunkt haben. Wenige Schritte entfernt davon praktiziert Philip Bruggmann in einem der Zentren für Suchtmedizin der Arud. Durch eine unauffällige Tür zwischen Phuket Asia Center und Toro-Bar gelangt man über eine Treppe zur Praxis im ersten Stock. Sie hat gerade eben geöffnet, doch bereits erscheinen erste Patienten zur Behandlung.

Philip Bruggmann ist Chefarzt für Innere Medizin und Arud-Geschäftsleitungsmitglied. Seine Patienten sind in der Mehrheit Alkoholiker und Drogenabhängige. Letztere kommen für eine sogenannte Substitutionsbehandlung mit Methadon oder anderen Ersatzsubstanzen hierher. Andere konsumieren hier unter kontrollierten Bedingungen Heroin. «Viele der Patienten leiden gleichzeitig unter mehreren chronischen Krankheiten, über die Hälfte hat HepatitisC», sagt der 44-Jährige. Synthetische Partydrogen, wie sie besonders während der Street-Parade zirkulieren, sind bei der Arud hingegen nicht so häufig ein Thema. «Lang anhaltender Konsum ist bei diesen Drogen seltener», erklärt Bruggmann.

Hepatitis C ist eine unterschätzte Krankheit, es wird deshalb auch von einer stillen Epidemie gesprochen. Das verursachende Virus haben Forscher erst Ende der 90er-Jahre identifiziert; es wird mit Blut übertragen. Mehr als die Hälfte der Betroffenen in der Schweiz haben sich beim Drogenkonsum angesteckt. Die anderen durch Blutkon­serven (vor den 90er-Jahren konnten diese Hepatitis-C-Viren enthalten), Tattoos, blutigen Sex oder gar beim Zahnarzt. In vielen Fällen verläuft die Infektion unbemerkt. Bei rund jedem Dritten schädigt das Virus jedoch über Jahre bis Jahrzehnte die Leber. Die Folge davon: Leberzirrhose oder gar Leberkrebs.

Hängen geblieben

Der Chefarzt führt durch das Zentrum. Behandlungszimmer, Labor und Aufenthaltsraum unterscheiden sich nicht wesentlich von einer gewöhnlichen Gruppenpraxis. Schon eher der Schalterbereich mit dicken Glasscheiben, wo nebst den Ersatzsubstanzen auch die Medikamente in der Tagesdosierung abgegeben werden. Bruggmann arbeitet vier Tage die Woche für Arud, am Freitag betreut er zu Hause in Salmsach am Bodensee seine beiden 8- und 11-jährigen Kinder. Seine Partnerin ist ebenfalls im Gesundheitswesen tätig und ist Gemeinderätin.

Als er vor 12 Jahren bei der Arud begonnen hat, wollte er noch Hausarzt werden und nur kurz bleiben. Doch dann blieb er hängen. «So geht es vielen bei uns», sagt Bruggmann. «Ich habe hier eine spannende und vielseitige Aufgabe.» Und was Aussenstehende bei Drogenpatienten nicht unbedingt vermuten würden: Er hat viele Erfolgserlebnisse. «Sucht ist eine chronische Krankheit, die Heilungschancen sind beschränkt, und Rückfälle gehören zur Erkrankung», sagt Bruggmann. Diese Einstellung schützt ihn vor Frust, wenn bei einem Patienten durch einen Absturz wieder einmal alle Anstrengungen zunichte gemacht werden. Was Bruggmann ebenfalls schätzt: Die Arud ist eine private, selbsttragende Organisation, die sich hauptsächlich über ihre medizinischen Leistungen finanziert. «Wir sind frei und unabhängig bei allem, was wir tun oder öffentlich sagen.»

Trotz dieser Freiheit ist der Hepatitis-Spezialist Bruggmann kein Polterer. Er argumentiert nüchtern, versucht mit Fakten zu überzeugen. So auch bei der Kontroverse, ob schwere Suchtpatienten eine HCV-Therapie durchhalten können. Und ob diese überhaupt sinnvoll ist, wenn die Patienten durch ihr Suchtverhalten ihre Leber ohnehin zugrunde richten. «Wir konnten in einer Studie klar zeigen, dass die Behandlungsresultate bei Süchtigen gleich gut sind wie bei anderen Patienten, wenn sie betreut werden», insistiert Bruggmann. Seiner Ansicht nach hätten diese Patienten die HCV-Behandlung sogar dringender nötig als Nichtsüchtige. «Wenn die Leber noch nicht zu sehr geschädigt ist, gewinnen wir damit Zeit für die viel schwierigere Therapie der Sucht.» Zudem: Eine erfolgreiche Behandlung der HCV-Infektion verschafft den Patienten ein grosses Erfolgserlebnis, das ihnen Zuversicht gibt und zu weiteren Schritten ermutigt.

Das Ziel ist nähergerückt

Die Vision, HCV in 15 Jahren zu eliminieren, ist nicht so unrealistisch, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag – vorausgesetzt, es wird entschlossen gehandelt, ist Bruggmann überzeugt. Die Schweiz sei zwar gut in der Prävention, weshalb es vergleichsweise wenige Neuansteckungen gebe. Bei der Erkennung von bereits Infizierten und deren konsequenten Behandlung liege jedoch noch vieles im Argen, sagt Bruggmann. Daran könnte sich nun aber einiges ändern. Neue Wirkstoffe, welche direkt in die Vermehrung des Hepatitis-C-Virus eingreifen, können die Infektion heilen; laut Studien mit viel weniger Nebenwirkungen als bisherige Therapien. Der Haken: Die neuen Medikamente sind viel zu teuer. Eine Standardtherapie von 12 Wochen kostete bis vor kurzem rund 60'000 Franken. Das Bundesamt für Gesundheit hat deshalb deren Anwendung nur auf Schwerkranke beschränkt. Für Bruggmann ein unhaltbarer Zustand. Er nennt ein Beispiel: «Eine infizierte junge Frau mit Kinderwunsch, die sonst gesund ist, dürfen wir nicht behandeln», sagt der Arzt. Durch die Geburt bestehe aber ein zehnprozentiges Risiko, dass die HCV-Infektion an das Baby weitergeben werde. «Ein unerträglicher Gedanke für eine werdende Mutter.»

Bruggmann hat sich im letzten Jahr an vorderster Front dafür eingesetzt, dass auch Patienten mit weniger schweren Symptomen behandelt werden können und im Gegenzug die Preise sinken. Nun gibt es einen ersten Erfolg zu verzeichnen. Nachdem Anfang August zwei Hersteller ihre Preise um ein Viertel gesenkt haben, zieht nun auf September auch der Marktführer Gilead nach und reduziert den Preis um 16 Prozent. Gleichzeitig hat das BAG die Einschränkungen für die Verschreibung der Medikamente gelockert. «Die Medikamente sind zwar immer noch sehr teuer», sagt Bruggmann. «Für unsere Patienten ist das Ganze dennoch eine erfreuliche Nachricht.» Das Ziel, das Virus ganz auszumerzen, ist damit ein ­beträchtliches Stück nähergerückt.

(DerBund.ch/Newsnet)

(Erstellt: 28.08.2015, 17:10 Uhr)

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