Depressionen haben nicht nur seelische Gründe

Von Andreas Rexroth, stellv. Chefredakteur Psychologie aktuell

Höchst interessante Erkenntnisse zur Depression und anderen Erkrankungen kommen vom Fachbereich Psychiatrie an der Harvard University in den USA: Depression, bipolare Störungen und andere psychische Erkrankungen werden von viele Menschen immer noch für rein "seelische" Störungen gehalten.

Schon lange zweifeln Mediziner daran und sehen vor allem entgleiste Stoffwechselvorgänge und immunologische Aspekte als Ursache, zumindest bei einem Teil der Patienten.

Eine neue Spur und neue Möglichkeiten?

Schon seit einigen Jahren weiß man, dass viele vermeintliche Fälle von Schizophrenie in Wirklichkeit die Folge einer subtilen Gehirnentzündung sind, der Anti-NMDA-Rezeptorenenzephalitis und ähnlicher Immunstörungen.

Doch gilt das auch für die Depression? Die Forscher der Elite-Universität in Boston (USA) stellten jetzt klar: Bei manchen Menschen kann auch eine schwere Infektion oder Autoimmunerkrankung der Auslöser sein.

Die Wissenschaftler analysierten akribisch dänische Datenbanken, da die Dänen einheitliche Identifikationsnummern haben und der Datenschutz dort es erlaubt, Patienten- und Gesundheitsdaten auszuwerten.

Es wurden ganz Dänemark ausgewertet

Die Forscher stellen unter anderem fest: Unter den Dänen, die zwischen 1945 und 1995 geboren worden waren, litten fast 92.000 an einer affektiven Störung. Von diesen hatten erstaunliche 36.000 zuvor an einer schweren Infektion gelitten oder an einer Autoimmunerkrankung wie Typ 1 Diabetes, Zöliakie, Lupus und dergleichen.

Menschen, die an einer schweren Infektion gelitten hatten, wiesen ein 62 Prozent größeres Risiko auf, danach eine affektive Störung zu entwickeln.

Autoimmunerkrankungen und Psyche?

Eine Autoimmunerkrankung erhöhte das Risiko, eine psychische Störung zu bekommen um satte 45 Prozent. Multiple Infektionen oder die Kombination von schweren Infektionen und Autoimmunerkrankungen erhöhen die Chance der Entwicklung einer Depressionen, einer bipolaren Störungen und anderer psychischen Erkrankungen (Achse-I-Störungen) sogar noch weiter.

Faszinierte Forscher und Hoffnung auf ganz neue Behandlungen?

"Diese Verbindung zwischen Infektionen und psychischen Störungen ist faszinierend", sagt Dr. Michael C. Miller, Professor für Psychiatrie von der Harvard Medical School.

Der aktuelle Forschungsstand spreche für die Möglichkeit, dass Infektionen latente Entzündungen oder Immunreaktionen im Gehirn und zentralen Nervensystem verursachen, die mit den heutigen Mittel noch nicht erkannt werden können. Hauptverdächtige: so genannte "Zytokine", die bei Immunreaktionen Gehirnzellen und andere Nervenstrukturen im ganzen Körper schädigen könnten.

Die Richtung ist klar

Es wird weiter in dieser Richtung geforscht werden, aber eines steht heute schon fest: Nicht jede psychiatrische Erkrankung hat seelische Gründe. Man wird in Zukunft noch viel genauer darauf achten müssen, psychische Symptome nicht vorschnell einer seelischen Ursache zuzuschreiben.

Diesbezüglich gibt es, auch in Deutschland, noch einen immensen Nachholbedarf in Sachen Ausbildung, Diagnostik sowie hinsichtlich der Zusammenarbeit von Medizin und klinischer Psychologie.

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